Ein neues Hörspiel kultiviert den ganzen Wahnsinn der NSU-Ermittlungen

Die Mörderpistole

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Südländischer Typ (Polizei-Erkenntnis)

Sie hörten den Schuss nicht oder wollten nicht hören: In einem neuen Hörspiel des WDR werden die haarsträubenden Versäumnisse der NSU-Ermittler zu einer bunten Collage, in deren Flow man nur mit dem Kopf schütteln kann.

In Film und Theater entspinnt sie eine Farce immer dann, wenn ein Geheimnis gewahrt werden soll, wenn, um das Sprichwort heranzuziehen, die Leiche im Keller nicht entdeckt werden darf. Dies zu verhindern, verstrickt der Geheimniswahrer sich dann in immer absurdere Lügen, die er mit immer größerer Ernsthaftigkeit verficht. Damit lässt sich manch komischer Effekt generieren.

Nach Jahren der medialen Bearbeitung der NSU-Morde und ihrer so genannten Aufklärung ist das Thema nun auch im Hörspiel angekommen. Das Hörspiel ist wie immer gut 50 Minuten lang und Eile also geboten, um den vielleicht größten Skandal, das vielleicht umfassendste Staatsversagen der Bundesrepublik in eine Form zu bringen. "Auch Deutsche unter den Opfern" ist Ralf Haarmanns Hörspielumsetzung des gleichnamigen Theaterstücks von Tuğsal Moğul. Das grauenvolle Geschehen, über das wir seit 2011 immer wieder und wieder gelesen haben, wird hier ohne Angst vor Komik kondensiert – ein probates Mittel, wie wir spätestens seit Michael Moores Dokumentarfilm "Bowling for Columbine" wissen.

Denn die Komik und das Skandalöse haben dieselbe Struktur: Grenzen werden überschritten, Tabus gebrochen, überraschende, für den normal denkenden Menschen widersinnige Dinge geschehen. So etwa, wenn der Thüringer Verfassungsschutz über Jahre die rechte Szene selber züchtet, die er zu überwachen hat. Wenn niemand sich erinnern kann, wie der Leiter dieses Verfassungsschutzes überhaupt ins Amt gekommen ist. Wenn die Kollegen in Baden-Württemberg nach diesem Modell einen badisch-schwäbischen Ku Klux Klan gründen lassen, den sie dann wieder abblasen müssen, weil er sich unter Polizisten im Ländle regen Zulaufs erfreut. Wenn die Ermittler in den NSU-Morden sich immer tiefer in ihre aus der Luft gegriffene Hypothese krallen, man habe es hier mit einer ausländischen kriminellen Organisation zu tun: "Diese Art der Hinrichtung - so können Deutsche gar nicht morden". Wenn ein dubioser hessischer Verfassungsschützer nicht bemerkt haben will, wie im Internetcafé direkt neben ihm ein Mensch erschossen wurde. Wie in Köln ausgerechnet an einem 11. November die Verfassungsschützer in Wallung geraten – um kurz nach dem Auffliegen der Mordbande plötzlich Akten zu vernichten. Wie dieselben Ermittler, die alle Hinweise auf zwei deutsche Täter an den Tatorten beiseite schieben, sich dann aber Hilfe von Wahrsagern holen...

Wenn es nicht so erschreckend wäre, könnte man sich den halben Tag weglachen. Gegruselt haben wir uns lange genug, seit die Mordserie der geistig vernagelten Provinzkiller, die ihre eigene Dumpfheit mit Deutschsein verwechselten, 2011 aufflog. Haarmann und Moğul haben sich dafür entschieden, das Geschehen als Farce zu inszenieren: Da werden Opfernamen nur so runtergerattert, werden abstruse Argumentationen mit viel Flow halbwegs runtergerappt, da weisen Revolverschüsse und kuriose Sprechchöre darauf hin, dass der Schuss doch wohl für jeden deutlich zu hören gewesen wäre innerhalb der Ermittlungsbehörden. So verfolgt man noch einmal mit hängender Kinnlade in geraffter, poppiger Form, was da alles und auf wie krasse Weise es schief gelaufen ist. Inmitten von Blutspur und Entsetzen ist die Posse gut zu erkennen, und nur eine Frage bleibt offen: welche Leiche im Keller es zu geheim zu halten galt für die beteiligten Verfassungsschützer und Polizisten. Ging es darum, die eigene Verstrickung oder die eigene Dummheit zu verbergen - vielleicht sogar vor sich selbst.

"Auch Deutsche unter den Opfern" wurde vom WDR kürzlich urausgestrahlt und ist befristet herunterladbar hier