Verständnis von Gerechtigkeit

(hpd) Der Berliner Politikwissenschaftler Bernd Ladwig legt mit „Gerechtigkeitstheorien“ einen Einführungsband vor, welcher sowohl über Grundlagen des Gerechtigkeitsverständnisses wie über die neueren Kontroversen im Anschluss an John Rawls informiert.

 

Über ein angemessenes Verständnis von Gerechtigkeit wird seit der Antike in Philosophie und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Angesichts der Verselbständigung und Vielschichtigkeit der Debatte kann man daher schnell den Überblick verlieren. Einen solchen im Sinne einer Einführung verspricht jetzt ein Band mit dem Titel „Gerechtigkeitstheorien“, der von dem Berliner Professor für Politische Theorie Bernd Ladwig vorgelegt wurde. Er will damit aufgeschlossene Leserinnen und Leser an fundierte Gedanken zu einem Schlüsselthema der Moralphilosophie und Politischen Theorie heranführen. Hierbei geht es dem Autor weniger um eine ideenhistorische und mehr um eine systematische Darstellung. Entgegen einer aktuell dominierenden Sichtweise in der Sozialphilosophie konzentriert Ladwig sich dabei nicht auf ein Gerechtigkeitsverständnis bezogen auf institutionelle Ordnungen, sondern folgt den Auffassungen der „Klassiker“ hinsichtlich der individuellen Tugendausrichtung. Es gelte hier, den Blick auf das Zusammenspiel von Individuum und Institutionen zu richten.

Die Darstellung gliedert sich in zwei große Teile: Zunächst geht es Ladwig um die Aufarbeitung theoretischer Grundlagen, welche mit Ausführungen zu Begrifflichem wie „Gerechtigkeit“ und „Moral“ beginnt. Hierbei bemerkt der Autor zunächst: „Gerechte Handlungen bestehen in der willkürfreien Befolgung von Normen, die selbst willkürfrei gerechtfertigt sind“ (S. 38). Danach geht er auf die Bereiche der Gerechtigkeit bezogen auf Personen und Verwirklichungen und die Arten der Gerechtigkeit hinsichtlich der Allgemeinheit und der Herrschaft ein. Besondere Beachtung verdient danach das Verhältnis von Gerechtigkeit und Gleichheit, das später noch im zweiten Teil anhand einer aktuellen sozialphilosophischen Richtung von Interesse sein wird. Und schließlich erörtert Ladwig auch den Kontext von Gerechtigkeit und Maximierung, denn bezogen auf das Spannungsverhältnis konstatiert er: „Jede Strategie der Maximierung findet ... ihre Grenze an den unveräußerlichen Rechten unvertretbar einzelner Menschen“ (S. 113).

Der zweite Teil widmet sich dann ausführlich den gegenwärtigen Debatten und Theorien, wobei die Auseinandersetzung mit John Rawls am Anfang steht, hatte der US-Sozialphilosoph mit seiner „Theory of Justice“ doch die Thematik wieder zum Gegenstand öffentlicher wie wissenschaftlicher Kontroversen gemacht. Dem folgend behandelt Ladwig die kritische Auseinandersetzung mit Rawls, wobei zunächst seinem „Gegenspieler“ Robert Notzick größere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Aber auch die inhaltlichen Einwände von kommunitaristischer Seite, insbesondere bezogen auf Michael Walzers Auffassung von den „Sphären der Gerechtigkeit“, stehen dabei im Mittelpunkt. Und schließlich thematisiert Ladwig auch die erwähnte Strömung der „Antiegalitaristen“, denen es entgegen eines häufig fälschlicherweise aufkommenden Eindrucks keineswegs um eine Negierung von Gleichheit geht. „Wichtig sei“, so der Autor zu deren Perspektive, „wie jemand absolut und nicht, wie er im Verhältnis zu anderen dastehe“ (S. 202).

Ähnlich wie dies bei vielen Einführungsbänden ist, handelt es sich hier streng genommen dann doch nicht um eine Einführung. Zumindest setzt der Autor bei seinen Lesern einiges an Grundwissen zu Argumentationsmustern und Problemstellungen voraus. Verfügt man über diese kann man den Band dann eher als Weiterführung lesen. Hier und da wäre eine kritische Auseinandersetzung mit manchen „klassischen“ Auffassungen mit „Leerformelcharakter“ wünschenswert gewesen wie etwa bei dem bekannten Wort „Jedem, was ihm zukommt“. Erfreulich ist demgegenüber, dass Ladwig die jeweiligen Theorien mitunter auf den „realen Boden“ zieht. So erläutert er zunächst Rawls Verständnis von Gerechtigkeit an Modellen des idealen Kuba, der idealen USA und des idealen Schweden. Danach konfrontiert er Rawls Plädoyer für das Differenzprinzip mit den Ergebnissen empirischer Experimente. Dies geschieht alles aber ein wenig zu dicht gedrängt, was aus dem Band eben eher beachtenswerte „Gerechtigkeitstheorien“ nicht zur „Einführung“, sondern zur „Weiterführung“ macht.

Armin Pfahl-Traughber

 

Bernd Ladwig, Gerechtigkeitstheorien zur Einführung, Hamburg 2011 (Junius-Verlag), 253 S., 14,90 €