(hpd) Der Historiker, Philosoph und Theologe Heiner Bielefeldt legt mit seinem Buch eine Stellungnahme zur Debatte um Menschenwürde im allgemeinen Sinne sowie bezogen auf Fallbeispiele vor. Sein Werk zeichnet sich durch den Verzicht auf ideologische und religiöse Begründungen zugunsten einer diskursethischen und rationalen Legitimation der Menschenwürde aus, welche die Individuen als Verantwortungssubjekte begreift.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es gleich zu Beginn des Grundgesetzes. Dabei handelt es sich um keine Feststellung, sondern um ein Postulat. Die Menschenwürde soll das politische, rechtliche und soziale Miteinander prägen. Doch was ist damit eigentlich gemeint?
Wie lässt sich Menschenwürde legitimieren? Einerseits sieht man keine Notwendigkeit zur Beantwortung dieser Frage, steht doch die Bezeichnung an herausragender Stelle in der Verfassung. Andererseits findet man immer mehr Einwände im intellektuellen Diskurs, wonach es sich nur um eine metaphysische Wunschvorstellung handle. Angesichts solcher Auffassungen bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung um die Begründung einer modernen Menschenwürdekonzeption. Der Historiker, Philosoph und Theologe Heiner Bielefeldt, Ordinarius für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, widmet sich dieser Problematik in dem Band „Auslaufmodell Menschenwürde? Warum sie in Frage steht und warum wir sie verteidigen müssen“.
Bereits der Untertitel macht deutlich, dass der Autor sich als entschiedener Anhänger eines Menschenwürdeverständnisses definiert. Er bleibt dabei aber nicht unkritisch gegenüber naturrechtlichen und religiösen Begründungsversuchen. Gerade der Anspruch, Akzeptanz für Menschenwürde bei Individuen aus den unterschiedlichsten Kulturen zu erhalten, macht eine säkulare Legitimation nötig. „Der Verfassung einer modernen pluralistischen Gesellschaft“, so Bielefeldt, „ein bestimmtes religiös fundiertes Konzept von Menschenwürde verbindlich einzuschreiben, kann nicht sinnvoll sein“ (S. 145). Es delegitimiere das säkulare Verfassungsrecht und diskriminiere objektiv Anders- und Nichtgläubige. Die damit eingeforderte Unabhängigkeit von religiöser Begründung hat - entgegen häufig erhobener Vorwürfe - nichts mit einer religionsfeindlichen Auffassung zu tun: Denn Menschenwürde habe ihre eigene Evidenz und könne auf eigenen Füßen stehen. „Ein religiöses Nachdenken und Weiterdenken über die Menschenwürde ist damit ... nicht ausgeschlossen“ (S. 158).
Bielefeldt kritisiert aber auch die naturrechtliche Begründung der Menschenwürde, die sie allen Individuen als anthropologisches Merkmal einschreibt. Auch in dieser Hinsicht plädiert er für die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines von ihm bevorzugten Verständnisses. So heißt es bereits zu Beginn: „Statt die Argumentation auf ein bestimmtes, stark religiös weltanschaulich oder kulturell konturiertes ‚Menschenbild’ wie etwa die Idee der Gottesebenbildlichkeit zu stützen, setze ich mit der Prämisse ein, dass der Mensch Verantwortungssubjekt ist.“ Diese Prämisse könne sehr wohl kritischen Rückfragen ausgesetzt werden. „Sie ist aber in dem Sinne praktisch unhintergehbar, als die normative Reflexion und Kommunikation nicht dahinter zurückgehen kann, ohne sich selbst aufzugeben“ (S. 32). Die Regelung des sozialen Miteinanders von Menschen über Abkommen, Rechtsordnungen oder Verträge hänge eben auch davon ab, dass sich Individuen selbst und einander als Subjekte möglicher Verantwortung betrachten.
Entlang dieser Grundannahme entwickelt Bielefeldt seine Auseinandersetzung mit anderen Positionen, wobei insbesondere die Kritik an Peter Singer und Franz Josef Wetz inhaltliche Aufmerksamkeit verdient. Der Autor verlässt aber auch immer wieder die eher abstrakte Ebene der Argumentation und wendet sich aktuell diskutierten gesellschaftlichen Fragen zu. Hierzu gehört etwa die Begründung eines absoluten Verbots der Folter, die Debatte um die Würde des ungeborenen menschlichen Lebens oder die Thematik eines individuellen Rechts auf Selbsttötung. Bielefeldts Argumentation gewinnt bei all dem seine Stärke dadurch, dass er auf ideologische und religiöse zugunsten diskursethischer und rationaler Begründungen verzichtet. Gleichwohl hätte der Autor dabei die inhaltliche Bedeutung einer solchen Menschenwürdekonzeption noch etwas klarer herausarbeiten können. Es handelt sich aber um einen bedeutenden Beitrag zur Debatte, der deutlich macht: „Die Menschwürde ... betrifft den Menschen in seiner grundlegenden Auszeichnung als Verantwortungssubjekt“ (S. 96).
Armin Pfahl-Traughber
Heiner Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde? Warum sie in Frage steht und warum wir sie verteidigen müssen, Freiburg 2011 (Herder-Verlag), 178 S., 17,95 €