Ergebnis des Volksentscheids zur Disposition?

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Pro-Ethik-Werbung, Frühjahr 2009

BERLIN. (hpd) In den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU soll auch von den Vertretern der CDU die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion/Ethik gefordert worden sein. Das wäre ein klarer Versuch, das eindeutige Ergebnis des Volksentscheides vom 26. April 2009 auszulöschen.

Vom Herbst 2008 bis zum April 2009 gab es in Berlin den Wahlkampf einer christlichen Initiative „Pro Reli“, der von den beiden großen Kirchen und ihren Verbündeten, auch der CDU wie der FDP und teilweise von SPD-Bundespolitikern unterstützt worden war. Es ging um die Forderung nach einem Wahlpflichtfach Religionsunterricht, der dem Ethikunterricht gleichgestellt wird und zwischen denen sich die Eltern / SchülerInnen entscheiden müssen. Dieses Begehren hatte im Volksentscheid keine Mehrheit bekommen und ist eindeutig abgelehnt worden: Ein doppelter Sieg der Aufklärung und Vernunft. Die Befürworter eines gemeinsamen Ethikunterrichts hatten mehrheitlich den Gesetzentwurf von „Pro Reli“ abgelehnt.

Nach dem aktuellen Scheitern der rot-grünen Koalitionsverhandlungen Anfang Oktober 2011 haben SPD und CDU Verhandlungen aufgenommen, die nach Ansicht der SPD gut vorankommen. Die CDU will erreichen, dass der Religionsunterricht in Berlin “besser gestellt“ wird. Allerdings ist eine Entscheidung darüber bisher verschoben worden. Jedoch sind für den 21. November von beiden Parteien die Parteigremien einberufen worden, die über den Kaolitionsvertrag abstimmen sollen.

Nicht nur die Grünen in Berlin und die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus haben jetzt gefordert, dass die gültige Regelung von Ethik als Pflichtfach ab der 7. Klasse und Religions- und Weltanschauungsunterricht als freiwilliges Zusatzfach („Berliner Modell“) im Koalitionsvertrag festgeschrieben wird.

Nachdem der Landesverband Berlin des Humanistischen Verband Deutschlands in einer ausführlichen Erklärung Anfang dieser Woche gegen die bekannt gewordenen Absichten der CDU protestiert hatte, erklärte der Vorsitzende des Fachverbands Ethik Peter Kriesel: „„Das Berliner integrative Modell des gemeinsamen Ethikunterrichts für alle Schüler ist das angemessene Modell für das multikulturelle und weltoffene Berlin, in dem 42 % der Schüler einen Migrationshintergrund haben.“

Der Verweis der Vertreter von „Pro Reli“ auf das „Brandenburger Modell“, bei dem sich Schüler von Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) zum Religionsunterricht abmelden können, sei für Berlin keine Option: Zum einen wäre es der Einstieg in das verdeckte Wahlpflichtmodell der Kirchen, das in Brandenburg unter einem Kirchenjuristen als Ministerpräsident durchgesetzt und einem Pfarrer als Bildungsminister im Schulgesetz verankert wurde. Zum anderen haben in Brandenburg nur 5 % Bürger einen Migrationshintergrund - im Gegensatz zu Berlin, wo 25 % der Einwohner und 42 % der Schüler einen Migrationshintergrund haben.

Und, so Peter Kriesel weiter: „In diesem Kontext leistet der gemeinsame Ethikunterricht für alle Schüler einen zentralen Beitrag zur Integration und Wertorientierung an Grundgesetz und Menschenrechten in Berlin. Eine Trennung der Schüler für katholischen, evangelischen und islamischen Religionsunterricht, Lebenskunde und Ethik in Fragen der Wertorientierung würde den integrativen Charakter des Faches Ethik zerstören. Deshalb fordert der Bundesverband der Ethiklehrer den Erhalt des gemeinsamen Ethikunterrichts für alle Schüler in Berlin.“

Dieser Forderung haben sich nun auch die Christen pro Ethik angeschlossen, aus Sorge um das Erscheinungsbild der Kirche in der Stadt. Dazu erklärte eine der Sprecherinnen der Christen pro Ethik, die evangelische Theologin Ruth Priese: „Soll denn weiterhin der Eindruck bestehen bleiben, dass wir als Christen ein Problem mit der Demokratie haben und ein so klares und öffentliches Votum der Berliner Bevölkerung so schnell wieder in Frage stellen? Bei einiger Geduld mit den Einführungsschwierigkeiten des immer noch neuen Pflichtfaches Ethik für alle - wird es sich erweisen, dass es auch der Hinführung der Jugendlichen in eine religiöse oder weltanschauliche Lebenswelt gut tut, wenn der Religions- und Weltanschauungsunterricht ein Wahlfach ist und bleibt.“

Es wird sich in den kommenden Tagen zeigen, ob sich die Erwartung des Sprechers des Bündnis Pro Ethik, Gerhard Weil, erfüllen wird. Nachdem kurz nach Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU sich umgehend wieder der „Pro Reli“-Vorsitzende Christoph Lehmann mit seinen alten Forderungen zu Wort gemeldet hatte, erklärte Weil: „Wir vertrauen unseren Bündnismitgliedern, den Berliner Sozialdemokraten und ihrer Fraktion, sich weiterhin für den verbindlichen Ethikunterricht und die seit Jahrzehnten bewährte und gerichtsfeste Berliner Regelung des Religionsunterrichtes als freiwilliges Wahlangebot einzusetzen. In den Wahlprogrammen beider Parteien steht kein Wort zum Ethikunterricht. Jetzt quasi durch die Hintertür die schallende Niederlage beim von Pro Reli veranlassten Volksentscheid in einen Sieg umzumünzen, lässt an Lehmanns Demokratieverständnis zweifeln, das sich vielleicht dem der römisch-katholischen Amtskirche nähert. Unser breites Bündnis wird mit Argusaugen die Koalitionsverhandlungen und die folgende Praxis der Bildungsverwaltung verfolgen.“

Ebenso wie der Vorsitzende der Initiative „Pro Reli“, der katholische Anwalt Christoph Lehmann, hatte auch der neu ernannte Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki bereits vor seiner Amtseinführung geäußert, dass er für den Religionsunterricht in Berlin „kämpfen" werde.
 

C.F.