Warum ich und warum jetzt?

Scheps: Das ist ja auch ein Leistungsprinzip in Deutschland, das sich da widerspiegelt.

Beispielbild
Simone Scheps und Andreas Dresen

Dresen: Ja, genau. Entweder, du kommst in den Himmel, oder der Abgrund kommt auf dich zu. Ich bin atheistisch erzogen, aber ich würde durchaus sagen, dass ich ein religiöser Mensch bin. Aber die christliche Symbolik finde ich teilweise wirklich schwierig. Ich weiß, wie ich als Kind in der Kirche immer erschaudernd vor dem Kreuz mit Christus stand und gedacht habe, mein Gott, das zentrale Symbol dieser Religion ist eine „Folterszene“. Als Kind hat mir das Angst gemacht. Die hohen Kirchen mit langem Gang zum Altar, das beeindruckt. Ein buddhistischer Tempel ist flach und klein. Und man geht über die breite Seite auf Buddha zu. Es ist offen und licht. Und Buddha ist eine freundliche, gemütliche Figur. Das fand ich immer bemerkenswert.

Wirkung des Films

Scheps: Erhoffen Sie sich denn eine bestimmte Wirkung durch den Film?

Dresen: Das ist immer schwierig zu sagen. Ich weiß nicht, wie stark Filme in das Leben der Menschen hineinragen. Ich weiß auch nicht, wie viele Menschen sich überhaupt überwinden werden, in den Film hineinzugehen. Wie sie Angst vorm Sterben haben, so haben sie auch Angst, sich innerhalb des Films damit auseinanderzusetzen.

Ich glaube aber, wenn man sich hinein traut, dann macht man durchaus eine positive Erfahrung. Man muss natürlich durch das Tal, wie die Figuren in dem Film auch, gehen. Aber am Ende des Films steht doch ein lichter, versöhnlicher Moment. Ich glaube, dass die Auseinandersetzung damit einem auch sehr helfen kann, auch etwas sehr Befreiendes haben kann, auch bei all dem Schmerz, den man dabei durch sich durchlässt. Ich persönlich bin ein Mensch, der gerne im Kino weint. Ich finde, das Kino ist ein Ort zum Lachen und zum Weinen, wo Emotionen Platz haben, die man mit anderen Menschen teilt. Wenn das stattfände, fände ich das gut.

Echte Ärzte und authentisches Pflegepersonal

Scheps: Können Sie etwas zu der Art sagen, wie der Film entstanden ist? Was vorher schon fix war, oder was Sie mit den Schauspielern erarbeitet haben? Ich habe gelesen, dass Sie sehr viel Wert auf den Prozess legen, also wenige strikte Vorgaben geben, sondern schauen, wie es sich entwickelt.

Dresen: Es begann mit einer langen Recherche von der Dramaturgin Conny Ziesche und mir, wo wir viel Material gesammelt und angehäuft haben, auch in unseren Köpfen. Wir haben dann aber doch ein paar Geschichten aufgeschrieben, die wir gehört hatten, wo es interessante Vorgänge gab, die wir uns nur noch nicht hatten vorstellen können. Dann haben wir im Juni 2010 die beiden Hauptdarsteller dazugeholt. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht einmal fest, wer in diesem Film sterben wird, ob es die Frau oder der Mann sein wird. Wir haben uns dann mit dem Material gemeinsam auseinandergesetzt. Wir waren auch teilweise mit den Schauspielern nochmal gemeinsam bei Betroffenen, auch bei Ärzten. Dann haben wir angefangen in dieser Viererrunde, die Figuren zu entwickeln und ein paar grundlegende Entscheidungen getroffen, beispielsweise, dass es der Vater in der Familie sein wird, der stirbt. Und so nach und nach kam dann das Team dazu.

Und wir haben versucht, aus den Geschichten, die wir gehört hatten, so eine Art szenischen Fahrplan zu entwickeln, ohne dass das ein Drehbuch gewesen wäre. Das haben wir dann gemeinsam mit dem Team, das sehr klein war, nur sieben Leute, gemeinsam diskutiert. Und daraus sind gelbe Zettel entstanden, die hingen an der Wand. Das war im Prinzip unser Drehbuch. Da stand drauf, was für Szenen es geben sollte. Und auf dieser Basis haben wir angefangen zu drehen. In der richtigen Reihenfolge, chronologisch. Und haben dann innerhalb der Dreharbeiten, wo wir häufig nur zur dritt am Drehort waren, angefangen, die Szenen zu entwickeln.

Wir hatten sehr viele Leute dabei, die sozusagen aus ihren realen Berufen in den Film kamen. Sämtliches medizinisches Personal in dem Film ist authentisch. Das sind wirkliche Ärzte, wirkliche Pflegekräfte, die einfach wissen, was sie tun. Das war für uns eine unglaubliche Hilfe, aber auch eine Herausforderung für die Schauspieler, weil speziell Milan [Anm. d. Red.: Milan Peschel spielt den schwerstkranken Frank Lange] sich dem Druck ausgesetzt fühlte, dass er es hier mit Profis zu tun hatte, die jeden falschen Ton sofort spüren würden. Und das ist natürlich auch so. Das war recht interessant und es war ein sehr offener Prozess, in dem man gemeinsam versucht, diese Vorgänge Schritt für Schritt zu durchleben. Das ging einem teilweise auch ganz schön an die Nieren.

Hospiz als lichter Ort

Scheps: Bei dem Ende bin ich etwas ambivalent gewesen, weil es sehr schön, fast idealistisch angehaucht war. Die Pflegerealität sieht häufig anders aus. Warum haben Sie sich für diesen Schluss entschieden?

Dresen: Na ja, es ging uns ja nicht darum, jetzt alle Schrecken so einer Phase des Lebens, die jeder von uns durchleiden muss, nur mit härtestem Strich auf die Leinwand zu malen. Letztendlich geht es ja auch immer darum: wohin kann ein Film einen Menschen führen, der sich das anguckt und fragt, wie kann es denn sein?

Hier stellt sich eine Familie dem Schicksal, das ist weiß Gott nicht einfach. Sie durchlaufen dabei allerschwierigste Phasen und Konflikte. Ich glaube, da wird auch wenig geschönt. Am Ende ging es mir darum, zu zeigen, dass es auch zum Seelenfrieden für alle Beteiligten führen kann, wenn man es denn schafft, dieses Tal zu durchlaufen. Es ist natürlich in gewisser Weise eine Idealkonstruktion. Frank hat eine Frau, die fast engelsgleich ist und die das mitmacht, und letztendlich auch die Kinder, bei allen Ressentiments, die sie haben. Und es gibt eine großartige Stützung von außen durch eine fantastische Home-Care-Ärztin. Und das bringt alle Beteiligten letztendlich zu dem Punkt, dass es möglich ist, in Frieden Abschied zu nehmen. Die Schmerzen, die mit dem Vorgang verbunden sind, sind am Ende ausgestanden, wenn der Tod eintritt.

Da gibt es auch wenige Tränen am Ende des Films, die sind davor schon vergossen wurden. Und hier entscheidet sich die Familie gegen das Hospiz. Was nicht bedeutet, dass der Tod im Hospiz ein schrecklicher sein muss. Ich habe das Hospiz hier in Berlin als einen durchaus lichten, für mich auch heiteren, freundlichen Ort erlebt. Das war für mich auch eine ganz schöne Erfahrung, weil ich mir das ganz anders vorgestellt habe. Es gibt viele Wege, die da sicherlich möglich sind. Es gibt auch relativ viele gesellschaftliche Angebote, die viel zu wenig bekannt sind.

Scheps: Es gibt ja viele schwerstkranke Personen, auch jüngere, die sich wünschen, sterben zu dürfen, weil die Schmerzmittel nicht mehr greifen. Sollte es für diese Personen Ausnahmen geben, z. B. im Betäubungsmittelgesetz, dass man sagt, ein ärztlich begleiteter Suizid sollte für diese Personen möglich sein, wenn sie sich dies wünschen?

Dresen: Wir haben das Thema Sterbehilfe explizit nicht thematisiert. Uns ging es wirklich darum, wie geht man mit einer so schwierigen Situation, wo ein Mensch diese Welt verlassen muss, in einer familiären Struktur mit Würde um.
Viele Menschen wissen ja auch, dass es durchaus auf eine sehr diskrete Weise praktiziert wird. Das wird nicht ausgesprochen, aber es ist natürlich auch durch die bei schweren Krankheiten verabreichten Betäubungsmittel durchaus möglich. Wenn man das von staatlicher Seite regeln würde, müsste es über Patientenverfügungen, über die Familien eine Absicherung geben für die Ärzte.
Letztendlich ist es ja tatsächlich so, dass in Deutschland die großen Ärzteverbände das ablehnen. Weil es mit dem Eid unvereinbar ist. Und – wie gesagt – ich weiß, dass es – diskret gehandhabt, einfach Möglichkeiten gibt. Und das werden die meisten Menschen, die in eine solche Situation geraten, auch mitkriegen.

Scheps: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Erstveröffentlichung in „Humanes Leben – Humanes Sterben“ (HLS) der DGHS, Ausgabe 2011-4.