Humanismus und Armut

NÜRNBERG. Die Humanistische Akademie Bayern veranstaltet vom 23. bis 25. März

eine wichtige Tagung. Sie soll für den heutigen modernen Humanismus ein neues Thema öffnen – neue Armut, Unterschicht und Prekariat.

Humanismus ist eine säkulare Definition von Menschenwürde. Verletzungen dieser Würde, z.B. durch Armut, führen zum Verlust der Selbstachtung. Selbstachtung ist aber eine Kernbedingung für geistige Kompetenz und die soziale Fähigkeit zur Selbstbeurteilung und Selbstbestimmung. Deshalb müssen organisierte Humanistinnen und Humanisten nicht nur ernsthaft über ein Grundeinkommen und das Gleichheitsprinzip nachdenken. Sie haben sich den Konzepten der humanistischen Egalitarismuskritik zu stellen, wie sie z.B. aus den USA durch Angelika Krebs hierher gekommen sind. Und sie sollten sich überhaupt erst einmal ein Wissen über sozialkulturelle Tatbestände und ihre Bewertungen zu diesen Phänomenen verschaffen. Deshalb führen <Humanistische Akademien> in diesem Jahr zwei Tagungen durch – die erste in Nürnberg und am 23. Juni in Berlin zum Thema: „Hartz lV und Wertedebatte. Menschenbilder in der Sozialpolitik. Beiträge zum Streit um ’Leitkultur’" (das Programm ist noch nicht öffentlich).

Die Konferenz in Nürnberg „Neue Armut, Unterschicht und Prekariat. Aspekte sozialer und ökonomischer Unterprivilegierung“ – die Einladung zur Tagung mit Programm und Anmeldung finden Sie im Anhang – wird organisiert von der <Humanistischen Akademie Bayern>. Der Akademiepräsident Dr. Alexander Endreß ist Jahrgang 1971, Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter am <Lehrstuhl für Soziologie und Sozialanthropologie> der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Kunst-, Musik- und Kultursoziologie sowie qualitative Methoden der Sozialforschung. Sein Buch <Die Kulturpolitik des Bundes. Strukturelle und inhaltliche Neuorientierung zur Jahrtausendwende?> stellte Dr. Endreß im Oktober bei der Humanistischen Akademie Berlin vor. Sein Referat „Säkulare Geschichtsschreibung als kulturpolitische Aufgabe“ erscheint in Heft 20 von <„humanismus aktuell“>.

 

Dr. Alexander Endreß stellte sich freundlicherweise dem hpd zum Interview:

hpd
: Im Alltagsverständnis verstehen die meisten Menschen unter Humanismus noch immer klassische Bildung. Sie teilen diese Einengung offensichtlich nicht. Welche Sichtweise hat Sie veranlasst ein solches Tagungsthema zu wählen?

Dr. Endreß: Das kommt im Wesentlichen erst einmal darauf an, was Sie unter „klassischer Bildung“ verstehen. Das klassische Bildungsbürgertum zeichnete sich traditional ja vor allem durch sein breites Allgemeinwissen und seine kulturellen Interessen und sein Wirken aus. All dies wird neben der eigentlichen Profession und beruflichen Spezialisierung stetig gepflegt und ausgebaut. Hinzu kommt, dass das Bildungsbürgertum sich durch sein hohes soziales Engagement auszeichnete und die Verantwortung, die Bildung mit sich bringt, auch im eigenen Wirkungskreis wahrnahm.
Wir halten den klassischen Begriff „Humanismus“ daher eher für sehr offen und gar nicht eingeengt. Insofern rekurrieren wir eigentlich auf traditionale Werte, die mit der Bewegung verbunden sind. Es geht uns mit unserer Akademiearbeit vor allem um Aufklärung und um Ergebnisoffenheit in der Interpretation der Informationen. Humanismus ist ein Schlagwort, das unseres Erachtens heute für das Sicherstellen von freiem Zugang zu Informationen, für freie Meinungsbildung und vor allem für Motivation zum Handeln steht.
Unter diesen Aspekten ist es daher sogar nur konsequent, wenn wir uns mit unseren Aktivitäten aktuellen und sozialpolitisch relevanten Themen widmen. Dabei ist uns vor allem wichtig, dass wir die Dinge so unvoreingenommen wie möglich darstellen oder – um es mit den Worten Max Webers auszudrücken – dem Grundsatz des Wertfreiheitspostulats in der Wissenschaft gerecht zu werden.

hpd: In den Debatten über das „Prekariat“ oder die „Unterschichten“ sind bisher vor allem politische, soziologische und kirchliche Meinungen vorgetragen worden. Worin meinen Sie, sich von diesen zu unterscheiden?

Dr. Endreß: Die Antwort ist bereits implizit in ihrer Fragestellung. Wir wollen alle diese verschiedenen Blickwinkel bei unserer Tagung präsentieren, um die fachliche Enge, in der sich die Experten befinden, durch den Input aus anderen Disziplinen aufzubrechen. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass Bewegung in die Sache kommt, sobald verschiedene Aspekte aus unterschiedlichen Wissens- und Forschungsfeldern zum gleichen Zeitpunkt diskutiert werden. Diesbezüglich liegt der Unterschied in erster Linie darin, Erkenntnisse zu schaffen, die interdisziplinär angelegt sind. Außerdem geht es uns nicht darum, eine Meinung zu finden. Es geht – wie bereits erwähnt – vielmehr um Aufklärung und um „Hilfestellung“ für den eigenen Meinungsbildungsprozess.
Zudem unterscheidet sich die Veranstaltung dadurch von anderen, dass wir versuchen werden, vom Reden zum Handeln überzugehen. Die Tagung wird als Spin-Off-Veranstaltung für einen ehrenamtlichen Arbeitskreis „Schuldnercoaching“ genutzt. Wir haben die Hoffnung, dadurch zumindest einen kleinen Teil dazu beitragen zu können, die Problematik auch aktiv anzugehen.

hpd: Unterprivilegierung ist ja kein neues Phänomen. Was ist Ihrer Ansicht nach neu?

Dr. Endreß: Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass es heute noch weniger als noch vor einigen Jahren Veranlassung zu der Annahme gibt, dass man sich vor Armut und der damit verbundenen konsequenten Unterprivilegierung schützen kann. Früher galt eine abgeschlossene Berufsausbildung, eine entsprechende berufliche Weiterbildung oder ein Hochschulabschluss als Garantie für eine Existenz sichernde Erwerbstätigkeit. Heute ist dem nicht mehr so.
Nicht nur, dass die fachlichen Ansprüche in der Ausbildung mittlerweile gestiegen sind. Es werden zunehmend mehr zusätzliche Qualifikationen wie Fremdsprachenkenntnisse, Auslandsaufenthalte, berufsfremde Qualifikationen im Bereich der Informationstechnologie etc. verlangt. Hinzu kommt, dass in der Personalwirtschaft sich mittlerweile die Logik eingestellt hat, niemanden über 45 Jahre mehr einzustellen. Obwohl dies – angesichts des erhöhten Mindestrentenalters – eine absolut unzeitgemäße Einstellungspraxis bedeutet, die letztlich auch zur weiteren Ineffizienz der Wirtschaft beiträgt.
Trotz der Tatsache, dass wir in unserer Gesellschaft Ausgangspositionen geschaffen haben, die es ermöglichen – unabhängig von der individuellen sozialen Herkunft, die früher der Hauptgrund für Unterprivilegierung war – die gleichen Chancen wahrzunehmen, werden unlängst wieder Disparitäten geschaffen. Die Bildungsangebote stehen jedem offen, aber wenige können sie sich ohne enormen materiellen und immateriellen Kostenaufwand leisten. – Dies sind aber lediglich einige Aspekte von vielen, die die Situation charakterisieren. Um mehr zu erfahren, machen wir ja die Tagung.

hpd: Was erhoffen Sie sich für neue Erkenntnisse, neu für Ihre noch junge Organisation und neu vielleicht für andere?

Dr. Endreß: Wir erhoffen uns eine andere oder – besser gesagt – neue Sichtweise, mögliche Lösungsansätze für die Problematik und eine Sensibilisierung des Publikums. Ferner wünschen wir uns natürlich auch, dass wir für unsere Akademie aktive Mitglieder finden können, die sich mit einbringen wollen.

hpd: Warum gibt es eigentlich kein „Humanistisches Sozialwort“?

Dr. Endreß: Einfach, weil es noch keiner geschrieben hat. Vielleicht gibt unsere Tagung ja Anstoß hierfür.
Wir haben als Akademie allerdings eine Schriftenreihe gestartet: Die „Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Bayern“. Unsere Veranstaltungen werden hierdurch schriftlich dokumentiert.

  • Band 1: „Aspekte der Selbstbestimmung am Ende des Lebens“, herausgegeben von mir und Michael Bauer (Vizepräsident der Akademie) persönlich – die Dokumentation unserer letztjährigen <Frühjahrstagung>, erscheint in wenigen Wochen.
  • Band 2: „Was bedeutet Humanismus heute? Ein Streitgespräch zwischen Joachim Kahl und Michael Schmidt-Salomon“, herausgegeben von Helmut Fink, basiert auch auf einer hiesigen <Veranstaltung> und ist in der Erstellung.


hpd
: Was möchten Sie aus Ihrem Tagungsprogramm unseren Leserinnen und Lesern besonders empfehlen?

Dr. Endreß: Natürlich wollen wir den Leserinnen und Lesern des „Humanistischen Pressedienstes“ unser Programm als ganzheitliches Konzept schmackhaft machen. Wir wissen aber auch, dass sich die Interessen stark unterscheiden. Wir denken, dass wir für alle Interessen einzelne Tagungsmodule gestaltet haben, die die Veranstaltung besuchenswert machen. Wir haben auch die Möglichkeit geschaffen, nur einzelne Tage zu besuchen. Wichtig ist es uns noch, auf die Podiumsdiskussion am Sonntag hinzuweisen, in der die in den Tagen zuvor referierten Aspekte noch einmal aufbereitet werden und – so hoffen wir – das Thema zugespitzt wird.

 

Die Fragen stellte Gabriele Groschopp