Das ist wirklich die pure Resignation

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WIEN. (hpd) Das Interview von Spiegel Online mit der früheren deutschen Chef-Protestantin Margot Käßmann legt unfreiwillig offen, wie sehr sich die christlichen Kirchen mit dem schwer tun, was man gemeinhin Wirklichkeit nennt. Außer Gemeinplätzen fördert es nur Widersprüche zutage.

Ein Kommentar von Christoph Baumgarten und Carsten Frerk
 

Bei den ausnehmend freundlichen Fragen im Interview auf Spiegel Online von Martin Doerry und Markus Verbeet in eigentlich nie gestellte Fallen zu tappen – das muss Margot Käßmann mal jemand nachmachen. Lassen wir mal beiseite, dass sie nicht mal das erste und das letzte der Zehn Gebote evangelisch fehlerfrei zitieren kann - auch sonst liefert sie eine Fehlleistung nach der anderen. Ausführlich lassen die Interviewer sie beklagen, dass die Deutschen immer areligiöser werden.

Frau Käßmann bedauert, dass das biblische Wissen verschwinde. Auch der Hinweis, dass die Redewendungen der Bibel inzwischen zum allgemeinen Sprachschatz gehören, vermag sie nicht zu trösten. Ihr wäre es lieber, „die Menschen würden um die Wurzeln wissen. Das gibt Halt und Haltung.“

Die Menschen wissen immer weniger über Religionen, muss Käßmann eingestehen. Als prominente Vertreterin einer großen Religionsgemeinschaft stört sie das. Nur, wo sieht sie die Ursachen?

Auf die Frage, ob man nicht dann den Religionsunterricht, der diese Wissensvermittlung ja offensichtlich nicht mehr leiste, durch ein allgemeines Fach ersetzen solle und warum sich die Kirche dagegen sperre, plädiert die Theologin dafür, dass die SchülerInnen ein Gegenüber finden sollten, „das selbst in dem Glauben beheimatet ist, der unterrichtet wird.“

Missionierungsabsicht wird offen zugegeben

Ah ja. Das hat ja bisher offenbar aber nicht blendend funktioniert. Siehe Klage oben.

Warum es weder Käßmann, noch den Interviewern in den Sinn kommt, festzustellen, dass konfessioneller Religionsunterricht ganz offensichtlich nicht funktioniert, erschließt sich dem immer weniger geneigten Leser nicht. Man muss nicht böse sein, um zu sagen: Käßmann selbst hat das Scheitern eingestanden und versteht offenbar selbst nicht, was sie da gesagt hat. Womit sie in bester Gesellschaft ist.

Den Vertretern der katholischen Kirche in Österreich geht’s nicht besser. Keiner kommt auf die Idee zu sagen: Der konfessionelle Religionsunterricht vermittelt offenbar kein Wissen über die jeweilige Religionsgemeinschaft. Lasst uns ihn abschaffen. Lieber tut man so, als täten die Leut‘ zu Fleiß vergessen, womit sie in der Schule indoktriniert wurden. Der böse Zeitgeist halt. Aus deren Perspektive ist das auch verständlich: Was bleibt, ist kein Wissen sondern eine frühkindliche Prägung, dass Religion irgendwie cool ist. Im Idealfall verbunden mit Herz-Jesu-Frühhippe-Hirngespinsten. Da stört es vielleicht optisch, dass die Leute nicht wissen, was zu Weihnachten gefeiert wird. Aber es stellt sicher, dass die anderen Privilegien nicht angetastet werden.

Auf die Frage, ob die Kirchen vielleicht mehr tun müssten, ob sie präsent genug seien, bekommen die Interviewer einen klaren Widerspruch. Die Kirchen seien sehr präsent und kirchliche Kindertagesstätten und Schulen seien für sie auch „zentrale Orte der Glaubensvermittlung“. Ebenso gelte das für Diakonie und Caritas – auch dort geschehe ja „Begegnung mit Kirche“. Und in die Gottesdienste könne jeder auch ohne Eintrittskarte gehen.

Wieder unabsichtlich gewährt Käßmann Einblicke in die Art und Weise, wie Religionsgemeinschaften Gesellschaft und Staat betrachten. Als Selbstbedienungsladen, den man nach Strich und Faden ausnehmen und belügen kann. Wobei, belügen vielleicht nicht. Das würde voraussetzen, dass den Vertretern der Religionsgemeinschaften bewusst ist, wie sehr sie sich in ihren eigenen Aussagen widersprechen.

Ein wenig in der Ecke sind Kinderbetreuungsstätten und konfessionelle Schulen auf einmal nicht mehr ein gesellschaftlich unverzichtbares Angebot, eine uneigennützige Leistung an den Staat, erbracht vom eigenen Herzblut und für Gotteslohn. Sie sind, Zitat: „zentrale Orte der Glaubensvermittlung.“ Viel deutlicher kann man die Missionierungsabsichten nicht zugeben.

Caritas und Diakonie müssen wieder einmal herhalten, um die Groß-Kirchen Deutschlands zu legitimieren. Dass sie zu mehr als 90 Prozent öffentlich finanziert werden – nebbich. Sie sind Kirche. Aus Punktum. Als wäre das „Violettbuch Kirchenfinanzen“ nie geschrieben worden. Und wenn es jetzt Kirche ist, wie Käßmann stellvertretend für die Hierarchien der Groß-Kirchen behauptet: Wenn man die staatlichen Subventionen streichen würde, das würde ein großes Heulen und Zähneknirschen geben. Ein wenig eleganter hätte man schon um diese nie gestellte Falle herumkommen können.

Ökumene als Selbsterfahrungsseminar

Sehr bezeichnend auch die Einblicke, die sie in die Ökumene gewährt.

Als Spiegel Online wissen will, ob sie tatsächlich viel über die Katholiken wissen würde und ob nicht die Christen in Deutschland aneinander vorbei leben würden, meint Frau Käßmann, dass Ökumene nicht Gleichmacherei zum Ziele habe, sondern „versöhnte Verschiedenheit“. Sie habe jetzt an der Ruhr-Universität in Bochum ein Seminar über Ökumene abgehalten und die katholischen wie evangelischen Studierenden hätten gegenseitig gestaunt, was der jeweils anderen Fakultät wichtig sei, den Evangelischen die Bibel, den Katholiken die Marienverehrung. Aber „in der Begegnung mit dem anderen klärt sich ja immer auch das Eigene.“ In den 25 Jahren ihre Mitarbeit in internationalen Kirchengremien sei sie immer lutherischer geworden.

Ökumene am Beispiel Käßmanns heißt: Man wird immer überzeugter vom eigenen Standpunkt. Nach außen wird Ökumene immer eher als der große Verständigungs- und Einigungsprozess der Christenheit transportiert. Da sollten alle ein bisserl anders werden, um sich der hypothetischen Wahrheit anzunähern. Theoretisch. Praktisch erwarten die Katholiken, dass die Protestanten katholisch werden, die Orthodoxen müssen nur den Papst akzeptieren. Die Protestanten erwarten sich einen evangelischen Papst usw. usf. Erreicht wird das offenbar, indem sich alle immer mehr von der Richtigkeit des eigenen Standpunkts überzeugen. Das mutet an, wie ein Selbsterfahrungsseminar bei einer Firmenklausur.

Es überrascht beinahe, dass sie sich nicht schon die längst die Schädel eingeschlagen haben vor lauter Ökumene. Dass das nicht passiert ist, liegt mehr daran, dass auch klerikale Vorgänge in ein geistiges Umfeld eingebettet sind. Das ist mit den Jahren immer demokratischer und toleranter geworden. Mit Dreißigjährigen Kriegen hat man’s nicht mehr so.

Das ist pure Resignation

Bedenkt man, dass Frau Käßmann sicher nicht zu den dümmsten evangelischen Theologinnen und Theologen zählt, kann man einfach nur mehr Mitleid haben mit ihr. Eine Einrichtung zu vertreten, um deren geistige Elite es derart schlimm bestellt ist, das muss frustrierend sein. Wenn man es denn merkt. Als Katholikin hätte sie es eine Spur einfacher: Die können sich noch hinter Weihrauch und Zeremoniell verstecken. Intellektuell ist das meist auch Einöde.

Das Interview verdeutlich auch das mediale Bild von Religionsgesellschaften. Es ist ja nicht so, dass zwei ausgefuchste Atheisten Käßmann mit allen Mitteln der Perfidie aufs Glatteis hätten führen wollen. Viel devoter kann man sich ein Interview kaum vorstellen. Dass niemandem die offenen Widersprüche Käßmanns auffallen, ist erschreckend. Belustigend ist, dass es selbst bei diesem Haus- und Hof-Interview nicht gelungen ist, die Absurditäten und Widersprüche glattzubügeln.

Was hier präsentiert wird, ist eine missratene Medien-Predigt. Das ist pure Resignation – geistige Resignation, ja beinahe bedingungslose Kapitulation, vor dem, was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet. Weder die Groß-Kirchen noch ihre medialen Verteidiger und Schönredner kommen mit ihr zurecht. Aus nicht-religiöser wie auch atheistischer Sicht beinahe eine weihnachtliche Frohbotschaft.