Religion und Werte im Ländervergleich

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Diagramme: pewresearch.org

WASHINGTON D.C. (hpd) Religion ist Amerikanern weitaus wichtiger als Westeuropäern, sie schätzen am wenigsten, wenn der Staat auf ihre Lebensziele Einfluss nehmen kann und halten – neben den Deutschen – die Kultur ihres Landes für überlegen. Die Positionen nähern sich im Vergleich mit früheren Studien jedoch an.

Schon lange weichen amerikanische Werte in vielerlei Hinsicht von jenen der Westeuropäer ab. Am bemerkenswertesten ist, dass Amerikaner individualistischer sind und am wenigsten einem starken staatlichen Sicherungsnetz zustimmen im Vergleich zur Öffentlichkeit in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Spanien. Amerikaner sind außerdem bedeutend religiöser als Westeuropäer und sozial konservativer, wenn es um Homosexualität geht.

Amerikaner neigen eher als Westeuropäer zur Meinung, es sei manchmal notwendig, militärische Macht einzusetzen, um in der Welt Ordnung aufrechtzuerhalten. Und Amerikaner sind weniger bereit als die Westeuropäer, mit Ausnahme der Franzosen, anderen Nationen zu helfen.

Diese Unterschiede zwischen Amerikanern und Westeuropäern spiegeln die Ergebnisse vorheriger Untersuchungen durch das Pew Research Center. Die vorliegende Untersuchung zeigt jedoch, dass die amerikanische Öffentlichkeit den Europäern näher rückt, indem weniger Amerikaner ihre Kultur als den Kulturen anderer Länder überlegen ansehen. Heute glaubt lediglich die Hälfte der Amerikaner, ihre Kultur sei anderen überlegen, verglichen mit sechs von zehn im Jahre 2002. Und die Umfrage kommt zum Ergebnis, dass jüngere Amerikaner weniger angetan sind, Meinungen über amerikanische Besonderheiten zu vertreten.

Die Deutschen heben sich vor allem dadurch hervor, dass sie am ehesten glauben, ihr Leben sei durch äußere Faktoren bestimmt (72%; USA: 36%, Frankreich als nächsthöherer Wert nach Deutschland: 57%), wobei diese Sicht auf das Leben in Deutschland wie in anderen Ländern vor allem durch die Höhe der Bildung beeinflusst wird: Etwa Dreiviertel (74%) der Deutschen in der Gruppe der weniger Gebildeten ist der Meinung, Erfolg sei durch Mächte jenseits der eigenen Kontrolle bestimmt, verglichen mit 55% der Hochschulabsolventen.

Die Umfrage

Das Pew Research Center’s Global Attitudes Project führt weltweite Meinungsumfragen zu einem weiten Themenspektrum durch, die von der Einschätzung des eigenen Lebens bis zur Meinung über den gegenwärtigen Stand der Welt und wichtigen Themen des Tages geht.

Mit dem Thema Religion im Ländervergleich beschäftigt sich das Pew Research Center schon länger und legt Wert auf die Meinung hochrangiger Experten. Für die vorliegende Umfrage wurden in den USA, Deutschland, Spanien, Großbritannien und Frankreich jeweils rund 1.000 Personen telefonisch befragt. Der Befragungszeitraum lag zwischen dem 22. März und dem 22. April 2011.

Amerikaner unterscheiden sich von Westeuropäern bezüglich ihrer Meinung zur Wichtigkeit von Religion. Die Hälfte der Amerikaner erachtet Religion als sehr wichtig in ihrem Leben; weniger als ein Viertel der Spanier (22%), Deutschen (21%), Briten (17%) und Franzosen (13%) sehen das so.

Darüber hinaus tendieren Amerikaner weitaus mehr als Westeuropäer zu der Aussage, es sei notwendig, an Gott zu glauben, um moralisch zu sein und gute Werte zu vertreten. In den USA meinen dies 53%, verglichen mit lediglich einem Drittel in Deutschland, 20% in Großbritannien, 19% in Spanien und 15% in Frankreich.

In den USA sind es vor allem Frauen und ältere Befragte, die Religion für wichtig halten. Sie sagen mit größerer Wahrscheinlichkeit als Männer und jüngere Menschen, dass der Glaube an Gott eine notwendige Basis für Moral und gute Werte darstelle. Etwa sechs von zehn (59%) amerikanische Frauen meinen, Religion sei in ihrem Leben sehr wichtig, verglichen mit 41% der Männer; und während eine Mehrheit (56%) der über 50-Jährigen Amerikaner sagt, Religion sei ihnen sehr wichtig, ist 48% der 30-49-Jährigen und 41% der jünger als 30-Jährigen Religion ähnlich wichtig.

Moral und Gottesglaube

In gewissem Maße spielt auch Bildung eine Rolle bezüglich der religiösen Meinungen in den USA. Obwohl Amerikaner mit einem College-Abschluss in etwa vergleichbar mit jenen ohne Abschluss angeben, Religion sei ihnen sehr wichtig (47% bzw. 51%), tendieren die weniger Gebildeten weit mehr zu der Aussage, man müsse an Gott glauben, um moralisch zu sein: 59% derjenigen ohne College-Abschluss geben dies an, verglichen mit 37% derjenigen, die das College abgeschlossen haben.

Die Perspektiven auf Religion und ob der Gottesglaube eine notwendige Basis für Moral darstellt, variiert, wenn überhaupt, nur wenig in den untersuchten demografischen Gruppen der westeuropäischen Länder. In Spanien legen über 50-Jährige mehr Wert auf Religion als jüngere Befragte, obwohl relativ wenige dieser Altersklasse angeben, sie sei ihnen sehr wichtig: 33% meinen, dies sei der Fall, verglichen mit 16% der 30-49-Jährigen und 11% der unter 30-Jährigen.

Politisch Konservative in den USA, Spanien und Deutschland, glauben mit größerer Wahrscheinlichkeit an Gott, um moralisch zu sein und gute Werte zu vertreten, aber während solide Mehrheiten der Konservativen in den USA (66%) diese Position einnehmen, teilen weniger als die Hälfte der Konservativen in Spanien (31%) und Deutschland (45%) diese Sicht. Inzwischen geben lediglich 26% der Liberalen in den USA, 11% in Spanien und 19% in Deutschland an, der Gottesglaube stelle eine notwendige Basis für Moral dar. US-Konservative stimmen außerdem eher als Liberale zu, dass Religion in ihrem Leben eine wichtige Rolle spiele (67% vs. 29%); in Westeuropa gibt es nur wenige ideologieübergreifende Gruppen, die der Religion eine hohe Bedeutung beimessen.

Religiöse vs. Nationale Identität

Eine Frage, die nur bekennenden Christen gestellt wurde, war die, ob sie sich eher als Christen oder eher als Bürger ihrer Nation betrachten. Amerikanische Christen sehen sich eher als ihre westeuropäischen Kollegen zuerst als religiös denn als Vertreter einer Nationalität; für 46% der Christen in den USA trifft dies zu und derselbe Anteil sieht sich zuerst als Amerikaner. Im Gegensatz dazu identifizieren sich die christlichen Mehrheiten in Frankreich (90%), Deutschland (70%), Großbritannien (63%) und Spanien (53%) primär mit ihrer Nationalität anstelle ihrer Religion.

In Großbritannien, Frankreich und Deutschland sehen sich mehr Christen hinsichtlich ihrer Nationalität als vor fünf Jahren, als die Identifikation mit dem Heimatland in diesen Ländern bereits weit verbreitet war. Diese Änderung ist besonders in Deutschland festzustellen, wo die Rate jener, die sich zuerst als Deutsche verstehen, um 11 Prozentpunkte gestiegen ist, gegenüber 59% im Jahre 2006.

Unter den Christen in den USA sind es vor allem die weißen Evangelikalen, die sich zuerst mit ihrem Glauben identifizieren; 70% dieser Gruppe sehen sich vor allem eher als Christen denn als Amerikaner, während 22% meinen, sie seien primär Amerikaner. Unter anderen amerikanischen Christen identifizieren sich mehr mit ihrer Nationalität (55%) als mit ihrer Religion (38%).

Unterschiede in den Ergebnissen des Pew Research Center etwa mit den Daten, die Bertelsmann 2007 in seinem Religionsmonitor erhob, sind wohl am ehesten auf die Art der Fragen sowie deren Interpretation zurückzuführen. Damals kam Bertelsmann zum Ergebnis: „Jeder fünfte Bundesbürger ist ein hochreligiöser Mensch”. Demnach seien „in der deutschen Bevölkerung Glauben und Religiosität noch weit stärker verbreitet, als dies zumeist vermutet wird. So können rund 70 Prozent der Menschen hierzulande als religiös eingestuft werden und nahezu jeder Fünfte sogar als hochreligiös. Lediglich 28 Prozent weisen in ihrer persönlichen Identität keinerlei religiöse Dimensionen auf.“

Sieht man sich die Bertelsmann-Fragen an, wundert die eigentümliche Feststellung nicht. Schließlich gilt dort bereits als religiös, wer damals als Kind mit den Eltern einen Weihnachtsgottesdienst aufsuchte oder wer sich mit Religion beschäftigt – auch als Religionskritiker. (Beispielfrage: „Wie wichtig ist es für Sie, religiöse Themen von verschiedenen Seiten aus zu betrachten?”) Auch wenn immerhin Meinungen darin möglich sind wie “Gott oder das Göttliche ist nur eine menschliche Idee ohne eigene Existenz.” (nachdem ca. 30 Fragen einzig religiöse und gotteslastige Meinungen zur Verfügung gestellt wurden). Der Selbsttest lohnt sich.

Leicht nachvollziehbar sind dagegen die Fragen und Ergebnisse des Pew Research Center, in die sich auch weniger hineindeuteln lässt:

  • Welche dieser Ansichten kommt Ihrer am nächsten? Nummer 1: Es ist nicht notwendig, an einen Gott zu glauben, um moralisch zu sein und gute Werte zu vertreten. Nummer 2: Es ist notwendig, an einen Gott zu glauben, um moralisch zu sein und gute Werte zu vertreten. Oder: Keine Antwort.
  • Wie wichtig ist Religion in Ihrem Leben? (Sehr wichtig, etwas wichtig, nicht so wichtig , überhaupt nicht wichtig, keine Antwort)
  • Frage, falls bekennender Christ: Sehen Sie sich vor allem als (Name des Heimatlandes) oder zuerst als Christ?

Insgesamt ist über die Jahre eine Bewegung der Positionen hin zu mehr Toleranz zu beobachten. Dies betrifft auch die Homosexualität, die in allen befragten Ländern auf zusehends höhere Akzeptanz stößt: Zwischen 2002 und 2011 änderten sich die Akzeptanzquoten in den USA auf 60% (vorher 51%), Großbritannien 81% (vorher 74%), Frankreich 86% (vorher 77%), Deutschland 87% (vorher 83) und in Spanien sogar von 82% (hier im Jahr 2007) auf 91%. Die Wichtigkeit der Religion hielt in Westeuropa seinen relativ niedrigen Stand, in den USA nahm sie um 9% ab, ebenso wie die Notwendigkeit, an einen Gott zu glauben, um moralisch zu sein, in den USA um 5% weniger Zustimmung erhielt, als noch im Jahre 2002.

Möglicherweise lassen die Ergebnisse den vorsichtigen Schluss zu, dass die Globalisierung und die Verfügbarkeit von Informationen über demokratischere und andere kulturelle Lebensmodelle eine Annäherung der Kulturen sowie mehr Toleranz auch mittels des Schwunds religiöser Vorstellungen bewirken kann.
 

Fiona Lorenz

Zu den detaillierten Untersuchungsergebnissen des Pew Research Centers geht es hier.