Bundespräsident: Showdown in den Medien

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Das Internet lachte gestern über Christian Wulff. Bild: ZDF / Screenshot

BERLIN. (hpd) Bundespräsident Christian Wulff hat die Bitte von Bild-Chef Kai Diekmann abgelehnt, einer Veröffentlichung der vieldiskutierten Mailbox-Nachricht zuzustimmen. Und wer gestern noch glaubte, man dürfe nicht den Bundespräsidenten lästern, sah sich bald eines Besseren belehrt. Kurze Nachlese zum großen Spektakel um den "Wulff im Schafspelz".

Welt Online zitierte zur naheliegenden Frage nach der Wulffs Absage widersprechenden Veröffentlichung der Mailbox-Nachricht eine Juristin, die eine eigenmächtige Veröffentlichung durch Diekmann rechtlich unbedenklich findet. Skeptischer äußerte sich der Medienrecht-Professor Rolf Schwartmann gegenüber der dpa, wie die Berliner Morgenpost berichtete.

Die Bild-Chefredaktion teilte darauf in für fast niemanden übersehbarer Form mit, dass sie Wulffs Entscheidung sehr bedauere.

Auch Focus Online sah deshalb den Showdown zwischen Diekmann und Wulff, was nach Aussage des Politikerberaters Michael Spreng im Tagesspiegel ein Duell von „Wasserpistole gegen scharf geladenen Colt“ sei.

Dem Fazit zum Tage voraus ging ein furioses Medienspektakel. Mittlerweile scheint es, dass halb Deutschland über den Bundespräsidenten lacht, den Kopf schüttelt, sich für ihn schämt oder empört ist. Schon vorgestern schrieb die Financial Times Deutschland in einem Leitartikel, Wulff habe eine Grenze erreicht und könne nicht länger Bundespräsident sein.

Für mehr als zehn Stunden zeigte zunächst Spiegel Online zum ARD/ZDF-Interview vom Mittwochabend einen Aufmacher-Kommentar mit dem Fazit: „Das war nichts“. Heribert Prantl, Innenpolitik-Ressortleiter bei der Süddeutschen Zeitung konnte fast ebenso prominent zum Auftritt Wulffs feststellen: „Mitleid mit ihm kann man, Mitleid mit dem Amt muss man haben.“ Das Fachportal Meedia veröffentlichte eine größere Zusammenfassung der Resonanz von Leitmedien.

Zwischenzeitlich veröffentlichte Spiegel Online Zahlen, nach denen Wulffs Ansehen seit Bekanntwerden der Drohanrufe rapide gefallen sei. Die Hälfte der Deutschen wolle Wulffs Rücktritt, hieß es. Anderen Umfragen nach fänden rund zwei Drittel sein Verhalten peinlich.

Auch erste Betrachtungen von Spezialisten zu Wulffs Verhalten gab es. Spiegel Online ließ den Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli und den Kommunikationstrainer Karsten Noack mit ihren Einschätzungen dazu zu Wort kommen. Beim Onlinemagazin und Communityportal evangelisch.de sah der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister wiederrum einen „Krieg der Journalisten gegen die politische Klasse“.

Derweil präsentierten die Financial Times Deutschland, Spiegel Online und Welt Online ihre Analysen noch verbleibender Ungereimtheiten, nachdem am Vormittag die Anwälte Wulffs eine Erklärung zu den rund 400 bei Wulff eingegangenen Fragen abgaben.

Das Online-Magazin Telepolis stellte zwischenzeitlich die Frage, ob „aus einer privaten und persönlichen Nachricht auf der Mailbox des Bild-Chefs ein Angriff auf die Pressefreiheit konstruiert“ werden könne und fragte gleichzeitig offen, wer Wulffs Nachfolger werden soll: Harald Schmidt, Helmut Schmidt oder Martin Sonneborn?

Seitens der Kirchen, die sich sonst als Hüter von Moral und Anstand gerieren, ist derweil fast nichts zur Causa Wulff zu hören. Der Berliner Bischof Markus Dröge äußerte sich mit dem Allgemeinplatz, dass die Debatte um den Bundespräsidenten eine Debatte um das Gemeinwohl sei. Weitere mahnende Worte oder Empfehlungen bei den geistlichen Hirten? Quasi ein Totalausfall. Naja, nicht ganz.

Die evangelikale Informationsplattform Idea ließ noch einige weitgehend unbekannte Theologen zu Wort kommen, den evangelischen Landesbischof Friedrich Weber ausgenommen.

Doch mittlerweile haben auch immer mehr einflussreiche Persönlichkeiten und Entscheidungsträger außerhalb der gewöhnlichen Politikerkreise klar Stellung zu Wulffs falschem Verhalten bezogen.

Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, beurteilte das Interview als „fatal“ und „Zeichen eines Politikstils, der nicht mit Fehlern umgehen kann.“ Ingo Brüggenjürgen, Chefredakteur des Kölner Domradios, warnte Wulff umissverständlich vor dem Ende seines Amtsweges. Jacob Augstein, Freitag-Gründer und Sohn Rudolf Augsteins, befand: „Wulff hat seine Ehre verspielt“. Nun müsse er gehen.

In ersten Schlussfolgerungen aus dem laufenden Skandal plädierte der Verleger Alfred Neven DuMont in einem Leitartikel in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung dafür, den Bundespräsidenten künftig durch die Bürgerinnen und Bürger wählen zu lassen. Eine Grundgesetzänderung müsse gegen die Widerstände der Parteien durchgesetzt werden, machte er deutlich. Zu Wulffs Benehmen meinte DuMont, dieser zeige „Reue ohne Einsicht“.

Zum Schluss doch noch der Blick auf die etablierten Politiker: Während die Abgeordneten aus CDU/CSU sowie ihr Gefolge den Bundespräsidenten in Schutz zu nehmen versuchen, zeigte Bild den Leserinnen und Lesern die weiterhin zaghaft kritischen Stimmen aus SPD, Grüne und Linkspartei.

Darunter SPD-Chef Sigmar Gabriel, der laut Bild warnte, dass aus der Causa Wulff eine Causa Merkel werden könne. Mit diesem Tenor schloß auch Spiegel Online gestern die Medienschlacht, nicht ohne noch gegenüber dem mittlerweile überwiegend verlachten "Pattex-Präsidenten" (Handelsblatt) zu diagnostizieren: „Wie sich die Demokratie Wulff unterwerfen muss“.

Arik Platzek