Die Doppelmoral der US-Außenpolitik

(hpd) Noam Chomsky gilt als einer der wohl bedeutendsten Intellektuellen der Welt - so jedenfalls die „New York Times". In dem Sammelband

„Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen" finden sich Texte aus den Jahren 1966 bis 2006, worin er die US-amerikanische Außenpolitik und deren affirmative Kommentierung einer heftigen Kritik unterzieht.

 

Die „New York Times" nannte ihn den „wohl bedeutendsten lebenden Intellektuellen": Noam Chomsky, der lange Jahre als Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology lehrte und durch überaus kritische Bücher zur US-Außenpolitik weltbekannt wurde. Einige seiner wichtigsten Texte finden sich nun in dem Sammelband „Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen. Zentrale Schriften zur Politik", der 15 Aufsätze aus den Jahren 1966 bis 2006 beinhaltet. Sie stehen unter dem Motto des Selbstverständnisses Chomskys als politisch engagiertem Denker und Wissenschaftler: „Die Intellektuellen sind in der Lage, die Lügen der Regierungen zu entlarven, Handlungen nach ihren Ursachen, Motiven und oft verborgenen Absichten zu analysieren." Und weiter heißt es: „Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken" (S. 14). Diese Sätze entstammen dem ersten Aufsatz, der sich kritisch mit der affirmativen Rolle von Intellektuellen während des Vietnamkriegs beschäftigt.

Ihm folgen Texte, welche die wichtigsten Themenfelder von Chomskys politisch-publizistischem Wirken aus vierzig Jahren behandeln: Es geht darin um die Notwendigkeit eines gewaltlosen Widerstands und die Rolle der Sprache bei der Befreiung des Menschen, um die intellektuellen Angebote eines libertären Sozialismus und die Macht in internationalen Beziehungen, um die politische Bedeutung des Watergate-Skandals und die Umdeutung der Geschichte des Vietnamkriegs, um die besonderen Beziehungen der USA zu Israel und die US-Pläne für eine globale Hegemonie, um die Medienkontrolle mit Feindbildern und einen Vergleich der westlichen Politik gegenüber dem Kosovo und Ost-Timor, um die politische Deutung des 11. September und das Spannungsfeld USA - Israel - Palästina, um die imperiale Strategie der USA und die Mängel einer demokratischen Außenpolitik des Landes. Überwiegend handelt es sich um kontext- und zeitbedingte Beiträge, die auf die damaligen Debatten und deren Akteure mit kritischen Bemerkungen eingehen.

Genau dies erschwert allerdings die Lektüre von Texten, die bereits vor mehreren Jahrzehnten geschrieben wurden. Das allgemein und überzeitlich Wichtige geht in der Fülle derartiger Auseinandersetzungen ein wenig verloren. Gleichwohl liefert der Sammelband einen guten Überblick zu Chomskys Positionen und Themen. Dabei veranschaulicht der Autor immer wieder, dass Doppelmoral und Verfehlungen der US-Außenpolitik keine Ausrutscher und Entgleisungen sind, sondern mit dem politischen Selbstverständnis und den wirtschaftlichen Interessen der Elite des Landes einhergehen. Dies geschieht allerdings nicht immer mit der nötigen Differenziertheit und Tiefgründigkeit, neigt Chomsky doch zu eindimensionalen und holzschnittartigen Deutungen. Gleichwohl kann ihnen nicht abgesprochen werden, dass sie mehr als nur einen wahren Kern aufweisen. Darin besteht der intellektuelle Reiz des Bandes, lädt er so doch zu weiterer Reflexion ein. Entgegen des Untertitels handelt es sich allerdings nicht um eine Art „Best of Chomsky", sollten dafür doch andere Texte präsentiert werden.

Armin Pfahl-Traughber

Noam Chomsky, Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen. Zentrale Schriften zur Politik. Herausgegeben von Anthony Arnove. Aus dem Englischen von Kolekti Druck-reif, München 2008 (Verlag Antje Kunstmann), 462 S., 24,90 €