"Verkaufte Zukunft" ist weder ein Aufreger noch ein Trostbüchlein für unruhige Zeiten. Das Buch des Frankfurter Soziologen Jens Beckert konfrontiert die Leser wissenschaftsbasiert und in sachlichem Ton mit der Erkenntnis: Allen Wünschen und Versprechungen zum Trotz kriegen wir die Klimakrise mit all ihren schlimmen Folgen nicht in den Griff. Jedenfalls nicht mit den Abwehrmaßnahmen, wie sie die Weltgemeinschaft bislang in Angriff genommen hat.
Beckert moralisiert nicht, versucht auch nicht, Bürger mit populistischen Verweisen auf Schock-Events zum Mitmachen zu gewinnen wie etwa die Aktivisten der Letzten Generation vor den Kipppunkten. Auch hebt er sich ab "von der apokalyptischen Erbauungsliteratur à la Neubauer, Göpel oder im schlimmsten Fall Welzer", wie es in einem Kommentar böse heißt, "die ja alle für sich beanspruchen, den Niedergang der Zivilisation klar vor Augen zu haben, aber zugleich auch das rettende Rezept offerieren können." Beckerts Resümee ist ausgesprochen nüchtern: "Der Kampf gegen den Klimawandel scheitert an den Macht- und Anreizstrukturen des auf Gewinnerwirtschaftung, Konsum und unbegrenztes Wachstum geeichten Gesellschaftssystems – trotz des Wissens um die Gefahren zukünftiger Klimaveränderung." Anders ausgedrückt: Die Wirtschaft kann und will von ihrem Streben nach Gewinn nicht lassen. Die Politiker wollen es sich mit der Wirtschaft nicht verderben und wiedergewählt werden. Die Bürgerinnen und Bürger wollen ihre individuelle Freiheit und ihren erworbenen Wohlstand nicht aufgeben. Das herrschende Gesellschaftssystem ist, wie der Sozioökonom Beckert zu Beginn eingehend erläutert, "die kapitalistische Moderne".
Seit 2005 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und Professor für Soziologie in Köln bemüht Jens Beckert, Jahrgang 1967, eine respektable Auswahl an Sachhinweisen und Literatur, vornehmlich aus dem angelsächsischen Bereich, um seine Thesen zu belegen. Schon im ersten Kapitel "Wissen ohne Wandel" zeigt der Autor anhand der – mittlerweile sattsam bekannten – Zahlen des Internationalen UNO-Klimarats IPCC, wie die weltweite Lufttemperatur während der letzten 50 Jahre infolge des etwa verdreifachten Kohlendioxid-Ausstoßes steil angestiegen ist. "Allein in den letzten 30 Jahren ist so viel CO2 in die Atmosphäre emittiert worden", führt Beckert an, "wie in den vorangegangenen 200 Jahren zusammen" und resümiert: "Die menschengemachte Veränderung der Biosphäre führt zur Beschädigung oder Zerstörung von Teilen derjenigen ökologischen Nische, in der menschliche Kultur stabil bestehen kann".
Im Weiteren verweist er auf die Ziele des Pariser Klima-Abkommens von 2015, in dem sich bekanntlich 190 Staaten darauf einigten, durch geeignete Maßnahmen die weitere Steigerung der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau möglichst auf 1,5 Grad Celsius, aber klar unter 2 Grad zu beschränken. Bezogen auf die eindeutigen IPCC-Daten kommt Beckert zu dem Schluss: "Es bedürfte einer Vollbremsung, die nicht und nirgends in Sicht ist. Und so wird es aller Voraussicht nach keinem der Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens gelingen, die vereinbarten Klimaziele einzuhalten".
Aber anders als die Klima-Propheten, die uns täglich den zivilisatorischen Zusammenbruch der Menschheit an die Wand malen, warnt der Soziologe vor dem "sozialen Stress", vor den gesellschaftlichen Konflikten, die in Folge der zu erwartenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verwerfungen auf uns zukommen: "Diese werden zwar regional unterschiedlich ausgeprägt sein, aber insgesamt werden die Gesellschaften durch virulenter werdende Verteilungskämpfe in Unruhe geraten. In einer um 2 oder 2,5 Grad erwärmten Welt, in der große Teile des Wohlstands für die Reparatur von Klimaschäden und Klimaanpassungen aufgebracht werden müssen, wird es sehr viel schwieriger sein, demokratische soziale Ordnungen oder auch nur ein friedliches Zusammenleben zu organisieren." Zeitzeugen, die die jüngsten Wetterunbilden wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren in den verschiedensten Weltregionen aufmerksam verfolgt haben, werden den Einschätzungen des Soziologen schwerlich widersprechen können.
Auch wer Beckerts Ausführungen im nächsten Kapitel "Kapitalistische Moderne" folgt, kann ihnen nolens volens nur mehr oder weniger zustimmen. Aufgespannt in einem auch grafisch dargestellten Dreieck zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft entwirft Beckert eine Art "analytisches Gerüst", um das "Geflecht von Macht- und Anreizstrukturen" darzustellen. Die drei Hauptkräfte schieben sich darin gegenseitig die Verantwortung zu und behindern sich so, auf den Klimawandel angemessen zu reagieren. An anderer Stelle fasst der Autor für die Jetztzeit sehr vereinfacht zusammen: "Das Gebot der Stunde lautet: weniger Autos, weniger Kreuzfahrten und kleinere Wohnungen. Doch dazu wird es nicht kommen." Beckerts vernichtendes Urteil: "Das größte Staatsversagen aller Zeiten".
Der Sozioökonom Beckert fällt sein Urteil indes nicht leichtfertig. Immer wieder zurückgreifend auf Daten aus naturwissenschaftlichen und ökonomischen Studien setzt er sich in den weiteren Kapitalen mit so gut wie allen bekannten Ansätzen zur Bewältigung der globalen Krise auseinander. Etwa mit den Vorschlägen, die die ökonomisch gebildete Journalistin Ulrike Herrmann in ihrem Spiegel-Bestseller "Das Ende des Kapitalismus" macht. Darin fordert sie ein radikales Schrumpfen der kapitalistischen Wirtschaft, etwa wie es die britische Regierung zu Kriegszeiten im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland erreichte. Immerhin hält Beckert eine "Schrumpfung der Wirtschaft" für bedenkenswert. "Es gibt viele robuste Nachweise, weshalb mehr nicht unbedingt besser ist". Jedoch, er zweifelt nachvollziehbar an ihrer Umsetzbarkeit. Denn der "Wachstumszwang der kapitalistischen Moderne" sei eben "strukturell" im System wettbewerbsorientierter Märkte und privater Eigentumsrechte verankert. Überdies sei der Verzicht auf wirtschaftliche Entwicklung im globalen Süden politisch "schlicht undurchführbar", scheitere aber auch in den Industrieländern an den Konsumansprüchen der Bürgerinnen und Bürger. Beckert: "In einer schrumpfenden Wirtschaft würden Verteilungskonflikte explodieren".
Auch in derzeit gehandelten Hoffnungsträgern wie einer CO2-Bepreisung oder zum Teil bereits umgesetzten Transformationslösungen wie mit "grünen Technologien" oder einer CO2-Entnahme aus der Atmosphäre und Speicherung durch Einlagerung erkennt Beckert keine Lösung. Die gegenwärtigen Widerstände seitens großer Teile der Wirtschaft – sowie ihrer politischen Lobby – wie etwa in der Heizungsdebatte oder bei den Bauernprotesten scheinen zu belegen, wie unattraktiv solche Maßnahmen sind. Auch die Verbraucher sehen sich durch eine Verteuerung des Konsums so sehr eingeschränkt, dass sie leicht den hohlen Versprechen populistischer Parteien auf den Leim gehen. "In der kapitalistischen Moderne", weiß der Kölner Soziologe, "sind Erhöhungen der Konsumkosten durchweg als Eingriffe in die Freiheit der Konsumenten und den Wettbewerb um soziale Anerkennung stigmatisiert und stehen damit wirtschaftlichen und kulturellen Maximen des Gesellschaftsmodells entgegen". Das Unbehagen an solchen Einschnitten in den Bereich privater Selbstbestimmung nutzen bekanntlich Demagogen aller Couleur für ihre demokratiefeindlichen Ziele.
"Wenn also nicht Resignation, was dann?"
Mit so gut wie allen diskutierten Lösungsansätzen zur Beherrschung der Klimakrise scheint Beckert sich intensiv beschäftigt zu haben. Das verlangt, dass man sein kluges Buch einfach lesen und kritisch studieren muss, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. Hat der Soziologe wirklich alles durchdacht? Geht er in seiner scharfen Analyse vielleicht zu pessimistisch mit der erhofften "Klimawende" um? Oder hat der Wissenschaftler einfach resigniert?
Wer das Buch nach dem letzten Kapitel "Wie weiter?" aus der Hand legt, weiß: Nein, resigniert hat Beckert nicht. Er selbst fragt: "Wenn also nicht Resignation, was dann?" Aber er geht hart ins Gericht mit dem bestehenden kapitalistischen System, das aus seiner Sicht die Klimawende mehr oder weniger verunmöglicht. Andererseits verwehrt er sich gegen "Erlösungserzählungen" wie der Forderung nach einem Systemwechsel. Solange sie nicht als politikfähiges Programm ausbuchstabiert würde, sei sie "nicht mehr als eine schöne Utopie".
"Verkaufte Zukunft" wurde dieses Jahr schon von der Leipziger Buchmesse für die Liste der wichtigsten Sachbücher des Jahres nominiert. Den ersten Preis gewann jedoch eine Frau: Christina Morina mit ihrem Titel "Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren". In Kürze wird auch die Zeitschrift Bild der Wissenschaft ihr "wichtigstes Wissensbuch des Jahres 2024" vorstellen. In der Kategorie "Zündstoff: Das Buch, das ein brisantes Buch am kompetentesten darstellt" nominiert ist auch Beckert mit seiner Abhandlung.
Jens Beckert, Verkaufte Zukunft – Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht, Suhrkamp-Verlag 2024, 238 Seiten, 28 Euro