Meisterwerk, Wunder oder Farbklecks?

 

Getrocknetes Blut - rot oder schwarz?

Wer sich schon mal in den Finger geschnitten hat, weiß: rot bleibt die Blutkruste nicht lange. Unter den ockerfarbenen Überbleibseln auf dem Tuch finden sich aber rote Reste: das Blut Christi!, rufen die Echtheitsbefürworter, die sich Gedanken um Jesus' Blutgruppe machen. 1973 wurden dem Tuch Fasern entnommen und 1976 die Testergebnisse der Kommission vorgestellt: alle Bluttests gingen negativ aus. Gefunden wurde stattdessen Zinnoberrot - eine typische Farbe des Mittelalters. Sarma belegte das anhand charakteristischer Spektralverteilungen.

Die Behauptung, es seien Pollen auf dem Tuch gefunden worden, die typischerweise aus Jerusalem stammten, wurde detailliert widerlegt

In den 80er Jahren wurde die Radiokarbon-Methode verfeinert: immer kleinere Stücke waren notwendig, um ein Fundstück exakt zu datieren. Auch der Vatikan wollte es genau wissen: ursprünglich sollten sieben Labore unabhängig voneinander das "Grabtuch" untersuchen. Kurzfristig reduzierte die Kirche die Zahl der Labore auf drei - und alle drei kamen 1988 zum Schluß, dass das Leinen zwischen 1260 und 1380 hergestellt wurde - passend zur ersten öffentlichen Ausstellung 1357.

Pareidolie - Gesichter in den Wolken und allerorten

Im Ende des 19. Jh. aufgenommenen Photo-Negativ erschien Jesus' Gesicht so klar, dass Echtheitsbefürworter insistierten, das könne unmöglich gemalt worden sein. Auch seien Blüten zu erkennen...

Sarma erläuterte kurz das Phänomen der Pareidolie: nicht nur in Wolkenformationen, sondern auch in Steinformationen und vielem mehr erkennen Menschen Gesichter. Das Phänomen ist der Wahrnehmungspsychologie seit langem bekannt: wenn jemand in den Flecken also Figuren erkennt, hat das mehr mit dem Betrachter als der objektiven Beschaffenheit des Tuchs zu tun.

Objektiver werden dagegen perspektivische Überlegungen: warum fällt das Haar nicht nach hinten? Wenn das Tuch wirklich auf einem Gesicht gelegen habe, warum ist es dann nicht verzerrt? Wenn man mit zweidimensionalem Tuch einen Abdruck von dreidimensionalem Gegenstand nimmt, erscheint der immer in die Breite gezogen.

Die Reprints - moderne Künstler

Trotz Klärens von Farbe und dem Alter des Tuches behaupten gläubige Geister weiter steif und fest, ein Mensch könne so etwas nicht gemalt haben, im Mittelalter schon gar nicht. Das widerlegte der italienische Chemiker Luigi Garaschelli 2009 eindrucksvoll: ausschließlich mit Farbpigmenten und Techniken, die schon im Mittelalter bekannt waren, fertigte Garaschelli ein Replikat, das er über Waschen und Erhitzen künstlich altern ließ. Das Ergebnis - wenig verblüffend: natürlich lässt sich so ein Tuch mit einfachsten Mitteln fertigen.

Warum das "Grabtuch" dennoch so anziehend wirke?, wollte Moderator Peter Menne wissen. Ein Besucher hatte Garaschellis Replikat in Turin gesehen und meinte, es sei - schon aufgrund der Größe - eindrucksvoll. Wahrscheinlich liege es an der aufwendigen Präsentation, dem Pomp, in den es eingebettet werde, dass viele Menschen sich faszinieren lassen. Womit man zum Ausgangspunkt zurückkehrte: ist der Hokuspokus nur großartig genug inszeniert, verblasst - wie jetzt in Trier - die Erinnerung an die Kinderschänder im Bistum des Missbrauchsbeauftragten Ackermann.

Peter Menne wies auf alternative Wallfahrtsrouten hin: in Trier wird neben dem "heiligen Rock" ab dem 14. April auch die "heilige Unterhose" ausgestellt: die Unterhose von Karl Marx, der jedenfalls in Trier gelebt hat - sein Geburtshaus steht in der Brückenstraße zu Trier. Am 14. April um 19:30 wird die Ausstellung "Reliquie: Fetisch in Kirche, Kunst & Konsum" in der Tufa Trier eröffnet.

Oliver Kalldewey