Wilhelm Ostwalds Erbe

(hpd) Am 11. September 1911 schloss Wilhelm Ostwald vor mehr als 3.000 Zuhörern das erste länderübergreifende Monistentreffen mit den Worten: „Hiermit schließe ich den ersten internationalen Monistenkongress und eröffne das monistische Jahrhundert!“ Drei Jahre später brach der Erste Weltkrieg aus. War der Monismus damit widerlegt?

Der Monismus vertrat ja die These, dass die Welt von einem Prinzip beherrscht wird, dass z.B. Geistiges und Materielles keine Gegensätze sind, sondern unterschiedliche Erscheinungsformen des gleichen Urstoffes. Für den Chemiker Ostwald war das die Energie, während sein Bundesgenosse, der Zoologe Ernst Haeckel, die Welträtsel mit Hilfe von Darwins Evolutionstheorie zu lösen suchte. Diese Positionen schlossen sich nicht gegenseitig aus, sie setzten lediglich andere Schwerpunkte. In einem Punkte waren sich Ostwald und Haeckel jedenfalls einig: Beide glaubten, dass der wissenschaftliche, technische, zivilisatorische Fortschritt der Menschheit etwa so Unsinniges und Schädliches wie einen Krieg künftig ausschließen müsste.

Der Monismus fand vor dem Ersten Weltkrieg viele Anhänger unter Naturwissenschaftlern, Ärzten und Technikern, weniger unter Geisteswissenschaftlern wie z. B. Historikern, und nur ganz selten unter Philosophen. Die Lehrstühle an den Universitäten besetzten Hegelianer und bestenfalls Kantianer, die den „Materialismus“ verachteten; der mochte ja für Physik und Chemie und allenfalls noch für Botanik und Zoologie ganz brauchbar sein, hatte aber in der „geistigen“ Welt der Philosophen nichts zu suchen. Ostwalds Ruf als Chemiker schadete das nicht, er hatte ja immerhin 1909 den Nobelpreis für seine bahnbrechenden Forschungen auf dem Feld der Katalyse erhalten, aber wenn er sich in das philosophisch-weltanschauliche Revier wagte, wie in seinen „Monistischen Sonntagspredigten“, dann wurde das als Steckenpferd eines ansonsten ganz tüchtigen Mannes milde belächelt.

In dem vorliegenden Sammelband haben die Herausgeber Volker Mueller und Arnher E. Lenz Fachleute für Umweltschutz, Politikwissenschaft, Geschichte, Philosophie, Weltwirtschaft, Biologie, Farblehre und Bildkunst sowie Geschichte des Monistenbundes dafür gewonnen, die Bedeutung von Ostwalds Prinzip der Energie als Grundkraft alles Seienden für das jeweilige Sachgebiet herauszustellen. Das ist in allen Fällen sehr beachtlich und hilft, sonst schwerverständliche Vorgänge zu begreifen. Vermutlich sind die neuesten Resultate der Kernphysik, die in riesigen Elektronenschleudern winzige immaterielle Energiebröckchen produzieren, eine Bestätigung von Ostwalds genialer Hypothese, dass nicht Materie die Grundsubstanz unserer Welt ist, sondern Energie. Monisten sind also keine Materialisten.

Die in dem Buch gesammelten Artikel sind durchweg allgemeinverständlich geschrieben und verzichten auf den für Laien abschreckenden Fachjargon. Was Ostwalds Energiemonismus für unser Selbstverständnis als denkende und fühlende Lebewesen bedeutet, verraten die Autoren nicht, das muss der Leser selbst herausfinden. Wenn er zu dem Ergebnis kommt, er sei ein Energiebündel mit guten und weniger guten Eigenschaften, wobei die Evolution aber dafür gesorgt hat, dass in seinem Falle die guten überwiegen, dann hat sich die Lektüre für ihn gelohnt!

Hartmut Heyder

 

Arnher E. Lenz / Volker Mueller (Hg.): Wilhelm Ostwald: Monismus und Energie. Angelika Lenz Verlag ISBN 978-3-933037-84-8, 225 Seiten, 18,90 Euro.