„Die Gedanken sind frei“

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v.l.n.r. Übersetzer Steve Duggon, Michael Nugent und Gunnar Schedel / Alle Fotos © Evelin Frerk

KÖLN. (hpd) Am vergangenen Wochenende fand in Köln die diesjährige Atheist Convention statt. Im zweiten Teil geht es heute zum Beispiel um Blasphemie-Gesetze in Deutschland, Irland und weltweit, um die Freiheit von Religion, auch in „muslimischen“ Ländern sowie erlernte Dummheiten.

 

Rolf Bergmeier beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit der antiken, christlichen und arabischen Kultur des Mittelalters und hat bislang drei Bücher zum Thema veröffentlicht. In Köln referierte er über „Armes Europa – Wie die christliche Staatskirche das mittelalterliche Europa arm machte“, basierend auf seinem jüngsten Buch, „Schatten über Europa. Der Untergang der antiken Kultur“.

Bergmeiers Sicht widerspricht der herkömmlichen, wonach eine der am höchsten entwickelten Kulturen der Menschheit, die griechisch-römische Antike, mit ihren weit gediehenen wissenschaftlichen Forschungen, mit ihrem luxuriösen Lebensstandard, durch die germanische Völkerwanderung im 4./5. Jahrhundert zerstört worden sei. Stattdessen war es, wie er schlüssig darlegte, das Christentum. Desweiteren widerspricht Bergmeier den gängigen Politikeraussagen, wonach wir in einer „christlich-westlichen Kultur“ leben, und zeigt, dass Europa auf einer Vermischung griechisch-römisch-arabischer Kultur basiert, die lediglich durch religionsnahe und heilige Elemente ergänzt wurde.

Bergmeier belegt dies am Vergleich der Länder südlich der Pyrenäen, die eine arabische Kultur ihr eigen nannten und prosperierten, während die Länder nördlich der Pyrenäen in ihrer christlichen Kultur verarmten. Das Christentum war ein System, das Bildung, Freude, Genuss und hohen Lebensstandard vernichtete und stattdessen Entsagung, Asketismus, Kasteiung und die Betonung der Nichtswürdigkeit sowie den Glauben an einen einzigen, brutalen Gott wie auch die Hölle propagierte. Arm wurde die Bevölkerung, weil das von ihr erwirtschaftete Geld u.a. in die Unterhaltung von Klöstern, Kirchen und religiösen Institutionen floss. Das Volk nördlich der Pyrenäen war somit 1000 Jahre lang, bis zur Renaissance, arm und analphabetisch, die Kleriker reich und (einseitig religiös) belesen. Es gibt noch viel zu tun, denn ohne Kampf wird die Religion nicht weichen, die Aufklärung ist nicht vorbei. Wer zu diesem Thema mehr ins Detail gehen möchte, kann hier und hier nachlesen.

 

Nach Karl Marx ist, so Gunnar Schedel in seinem Vortrag „Das offene Wort und seine Feinde. Religionskritik im 21. Jahrhundert“, die Kritik der Religion Voraussetzung aller Kritik. Nach Martin Luther allerdings sollte man Gotteslästerern die Zunge zum Hals herausreißen. Wie sieht es im 21. Jahrhundert aus, was darf Religionskritik? Wann ist Tabubruch gerechtfertigt?

Die letzte Frage ist als Aufforderung zur Selbstreflexion zu verstehen. Ein Tabubruch kann ein willkommenes Mittel sein, um gesellschaftliche Verhältnisse in Frage zu stellen, um eine Debatte anzuregen, und mit ihr Veränderungen. Schedel ging auf die Geschichte des deutschen Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB ein, der 1872 eingeführt wurde, um die herrschende Ordnung aufrecht zu erhalten und die kulturelle Hegemonie im „christlichen Abendland“, beispielsweise bezüglich der Kindererziehung und Sterbekultur, zu sichern. Der § 166 wurde 1969 reformiert, es gab seither kaum noch Verurteilungen und der Schwerpunkt lag auf dem öffentlichen Frieden. Allerdings diente der Blasphemie-Paragraph als Repressionsinstrument im politischen Meinungskampf um den „Abtreibungsparagraphen“ 218.

Inzwischen tun sich neue Frontverläufe auf, die Religionskritik verläuft nicht mehr im Rahmen Christentum vs. Aufklärung, sondern es geht um den Islam. Eine Minderheit wird Ziel der Kritik, Rassismus kommt in der Maske der „Islamkritik“ daher und fundamentalistische Muslime sind bereit, den öffentlichen Frieden zu stören, indem sie mit Gewalt gegen Islamkritik vorgehen (man denke an den „Karikaturenstreit“ 2005/2006). Diese Strategie geht auf, denn gemeinhin wird diskutiert, ob man – bzgl. Karikaturen oder sonstiger Islamkritik – den Kopf einziehen sollte, um den öffentlichen Frieden zu wahren (und damit die hart errungene freie Meinungsäußerung aufzugeben).

Echte Religionskritik ist daran zu erkennen, dass sie ihr gesellschaftlich veränderndes Potenzial an der Befreiung des Individuums festmacht. Gegner der Religionskritik sind, ähnlich wie rassistisch Motivierte, gegen Selbstbestimmung. Somit kam Schedel zum Fazit, dass Religionskritik, die wirklich der Befreiung des Individuums dient, eigentlich alles darf!

Der Ire und Vorsitzende von Atheist Island sowie Bestsellerautor Michael Nugent meinte, „Blasphemy Laws – Blasphemie-Gesetze“ seien für die Kampagne pro Säkularismus unverzichtbar, denn Blasphemie-Gesetze beeinflussten das Leben in westlichen Demokratien, islamischen Staaten und den Vereinten Nationen. Irland ist die einzige westliche Demokratie, in der ein neues Blasphemie-Gesetz verabschiedet wurde.

Säkularismus aber schützt unsere Gesetze davor, durch religiöse Vorstellungen korrumpiert zu werden. Schließlich sei eine der gewalttätigsten männlichen Kreaturen, die jemals erschaffen worden seien, „Gott“, der Menschen sage, dass er sie zwingen werde, ihre eigenen Kinder zu verspeisen, wenn sie ihm nicht folgten, derjenige, der jeden Menschen auf dem Planeten ertränkte.

Im Mittelalter dienten Blasphemie-Gesetze dazu, die (gläubige) Gemeinschaft vor dem Zorn der Götter zu schützen. Das änderte sich durch die Aufklärung und heute ermutigen diese Gesetze Menschen, sich beleidigt zu fühlen. Selbst wenn die Gesetze nur selten zur Anwendung kommen, lädt ihre bloße Existenz zur Frage ein: Wann werden sie angewendet? Und in islamischen Staaten werden sie angewendet. Menschen werden zusammengeschlagen, genötigt, mit dem Tod bedroht und getötet. Nugent erläuterte die Tragweite der Blasphemie-Gesetze in Ländern wie Pakistan, Saudi Arabien, Kuwait und Indonesien, in denen Anschuldigungen nicht genutzt werden, um die Theologie zu schützen, sondern um die Opposition und die Meinungsfreiheit zu unterdrücken.

Auf westliche Demokratien wirken sich die Blasphemie-Gesetze in islamischen Ländern aus, indem sich beispielsweise Institutionen in den USA dafür entschuldigen, eine Skulptur Mohammeds (1950er) oder Bilder in einem Artikel (1970er) gezeigt zu haben. Nike und Burger King zogen Anzeigenkampagnen zurück, da diese angeblich islamische Symbole verunglimpften. Der Vatikan hat mittlerweile die Strategie eingeschlagen, Atheisten als aggressiv und nicht menschlich zu klassifizieren. Islamisten drohen mit Gewalt, weshalb Menschen einen Rückzieher machen. Weil sie sich fürchten.

Es gibt aber auch einige positive Zeichen: Zum ersten Mal seit den 1990ern wurden die Vereinten Nationen jüngst daran gehindert, noch ein Gesetz zu verabschieden, das „Hass der Religion“ zum Inhalt hatte. Wir müssen, so fasste Nugent zusammen, dort eine Grenze ziehen, wo Menschen angegriffen werden, aber Ideen können wir angreifen.

In der Diskussion zum Thema Blasphemie-Gesetze kam auf, dass wir mehr Blasphemie praktizieren sollten, damit sich die Religiösen daran gewöhnen – und um Spaß zu haben. Die irischen Atheisten haben die „Church of Dermotology“ aus eben diesem Grunde erschaffen. Es sei auch notwendig, sich mit atheistischen oder säkularen wie sonstigen Gruppen in anderen Ländern zu solidarisieren, als auch prominente Hilfe für Menschen zu organisieren, die der Blasphemie bezichtigt werden.

 

Paul Schulz stellte in einem ersten Überblick sein neues Projekt vor: ATHEODOC, ein, wie er sagt: „Internetportal für moderne Aufklärung“. Zwei Jahre habe er mit Daniel Schneider intensiv daran gearbeitet und nun, pünktlich zur Atheist Convention, wurde es frei geschaltet.  Leider war es technisch nicht möglich, eine Internetverbindung auf den Beamer zu legen und so illustrierte er mit ein paar Screenshots, worum es ihm dabei geht.

Atheodoc sei das Zusammenspiel von alt und neu, denn alles Geistesgeschichtliche brauche seine Bewährung in der Gegenwart. Insofern sei das Portal eine neue Ebene, die auf dem „Alten“ beruhe. Die Religion hatte ihre Zeit, u.a. als geistige Vorstufe in der Menschheitsgeschichte. Wir können heute aber darüber hinausgehen. So, wie es in der Präambel heißt: „Es ist eine befreiende Freude, ohne Verpflichtung gegenüber alten Religionsvorstellungen über das Leben und seine vielen Möglichkeiten neu nachzudenken. Befreit von theologischen Dogmen offene Perspektiven der Wirklichkeit zu entwickeln. Sich ohne Glaubenszwänge die Chancen und Dimensionen des Menschlichen noch einmal ganz neu bewusst zu machen.“

Das Vorbild ist die Enzyklopädie der Aufklärung von Diderot, der seinerzeit mit 13 Artikeln begann, und schließlich waren es 40 Bände mit hunderten Autoren. Atheodoc ist für 16 Bücher konzipiert. Es geht dabei um die Abgrenzung gegen die Religion, die Entwicklung eines „Magnus Consensus“ - denn Atheismus sei keine Beliebigkeit verschiedenster Meinungen -, und schließlich ist die Basis stets das (naturwissenschaftliche) Vernunftdenken.

Es soll und wird Diskurse geben, in einem Diskursforum. Und von der Bühne lud Paul Schulz den im Publikum anwesenden Michael Schmidt-Salomon zu einem ersten „Erkenntnis-Duell“ über die Frage des Freien Willens ein, was der annahm.
 

Joachim Kahl referierte anschließend über Atheismus in der Kunst und widmete sich dabei einem Gemälde und einem Gedicht.

Das Bild von Max Ernst: „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen", Öl auf Leinwand (1926), befindet sich heute im Museum Ludwig in Köln, in der Nähe des Kölner Doms und ist, zu Recht, eine der Attraktionen des Museums.

Wesentliches Element ist der herabgefallene Heiligenschein des Jesuskindes, der, unten rechts im Bild, auf dem Boden liegt und die Namenssignatur des Künstlers einfasst. Das wurde auch historisch richtig als „Entweihung“ angesehen. Seinerzeit wurde die Ausstellung des Bildes in Köln verboten und Max Ernst wegen „Blasphemie“ exkommuniziert.

Der Bildaufbau zeigt u.a. die klassische Bildkomposition von Madonnenbildern, in denen die Madonna in einem Dreieck steht. Allerdings wird dieses Dreieck hier durch die daraus herausragenden Beine und den gestreckten linken Arm des Jesuskindes durchbrochen. Die wegen ihrer Mildtätigkeit verehrte Gottesmutter wird hier allerdings anders dargestellt, denn dass sie das Kind bereits mehrmals geschlagen hat, zeigen die bereits geröteten Gesäßbacken des Kindes.

Max Ernst verwendet auch weitere Details, die, abgesehen von dem Heiligenschein, die Körperlichkeit und Menschlichkeit Marias betonen, so wie ihre kräftige Brust und das Dekolleté. Auch wenn der Künstler traditionelle Elemente der Marienbilder beibehält, das Rot und Blau der Himmelskönigin, ist das Bild nicht geeignet, um es innerlich anzubeten, sondern Max Ernst verweist eher auf die dem Christentum innewohnende Gewalt.

An dem Text von Bert Brecht „Gegen Verführung“ illustrierte Joachim Kahl dann die Warnungen Brechts gegen jegliche Religion oder andere Ideologien. Die drei thematischen Linien des Gedichts „Lasst euch nicht verführen!“, „Lasst euch nicht betrügen!“ und „Lasst euch nicht vertrösten!“ ermutigen uns, Nein zu sagen, und es vereint die Widersprüche, „“Das Leben ist am größten“ mit „Das Leben wenig ist“. Das Gedicht kommentiere die Lebenslust ohne Illusionen. Es ermahne uns, das Leben zu genießen, ohne dabei Ernsthaftigkeit und Melancholie zu verleugnen. Wir sollten es, so Joachim Kahl, auswendig lernen.

 

Beispielbild
Fotografie: Reza

 

 

 

 

 

Annie Laurie Gaylor ließ zur Einstimmung auf ihren Vortrag „God Fixation Will Fix No Nation“ Dan Barker (mit dem sie seit 25 Jahren verheiratet ist) „Die Gedanken sind frei“ anstimmen. Gaylor stellte die Freedom From Religion Foundation (FFRF) vor, die sie mit ihrer Mutter Anne Gaylor zusammen gründete, während sie noch auf dem College war. Gaylor ging auf die historische Entwicklung der (deutschstämmigen) Freidenker in Wisconsin ein, die 1848 bereits 33 Freidenker-Hallen errichtet hatten. Eine von ihnen steht noch. Die Freidenker sprachen sich öffentlich gegen Sklaverei und die Todesstrafe aus. Gaylor selbst wurde nie religiös erzogen und gründete mit ihrer Mutter die FFRF, als sie feststellten, dass die Bibel, das Christentum und Religion die größten Hemmschuhe bezüglich Frauenrechte darstellen.

Die Aufgaben der FFRF bestehen darin, Bücher und Broschüren zu veröffentlichen, Filme und Musik zu produzieren, Stipendien zu vergeben und mit ihren inzwischen vier Anwälten gegen Verstöße in Bezug auf die Trennung von Staat und Kirche vorzugehen – häufig mit Erfolg. Ihr letzter Erfolg war, den Gouverneur von Colorado davon abzuhalten, einen Tag des Gebets (inkl. wofür man beten solle) auszurufen und die humorvolle Kampagne mit dem Bild eines Betenden anzugehen: „Get off your knees and get to work!“ („Erhebe dich von deinen Knien und geh arbeiten!“) Die FFRF hat Gebete in Kindergärten, in Mathematikklassen und Kruzifixe in Klassenzimmern gestoppt.

Allerdings sind sechs von neun Richtern des Obersten Gerichtshofs katholisch, was bedeutet, dass die katholische Kirche sehr mächtig ist. 25 Prozent der US-Bevölkerung sind katholisch, gegenüber der ähnlich großen Gruppe der Protestanten, die allerdings in viele, oftmals fundamentalistische Sekten aufgeteilt sind. Daher hat die FFRF eine neue Kampagne gestartet, die sich an liberale und lediglich „symbolische“ Katholiken wendet. In einer ganzseitigen Zeitungsannonce in der Washington Post rief die FFRF kürzlich dazu auf, die katholische Kirche wegen ihres Krieges gegen die Verhütung zu verlassen. Provokant wird gefragt: „Wird es reproduktive Freiheit sein oder zurück ins Mittelalter? Werden Sie Frauen und deren Rechte wählen oder Bischöfe und deren Verfehlungen?“

Als eine weitere Kampagne stellte Gaylor die „Out of the Closet“-Kampagne vor, in der sich Atheisten und Humanisten öffentlich als solche präsentieren. Denn viele Menschen in den USA haben noch nie wissentlich einen Atheisten kennengelernt, weshalb diese – im Gegensatz zu Schwulen und Farbigen, die in den vergangenen Jahrzehnten in der öffentlichen Gunst gestiegen sind – am unteren Ende der öffentlichen Wertschätzung stehen. Wer sich mit Foto und klugem Spruch outen will, kann das hier tun.

In ihrer insgesamt sehr bewegenden Rede, für das ihr das Publikum mit stehenden Ovationen dankte, erzählte Taslima Nasrin von ihrem Leben in Bangladesch: „Als Muslimin geboren und aufgewachsen – zur Atheistin und Feministin geworden“. Nasrin setzt sich vor allem für Frauenrechte ein. Über die Hälfte der Bevölkerung werde grundlegender Menschenrechte beraubt, weil sie Frauen seien. Das Schicksal einer Frau bestehe darin, als Mädchen von ihrem Vater, als Erwachsene von ihrem Mann und als Alte von ihrem Sohn beherrscht zu werden. Gewalt gegen Frauen wird nicht als Verbrechen angesehen, also werden Männer nicht belangt, die ihre Augen blenden, sie vergewaltigen, ihre Nase brechen.

Zum Glück für Nasrin war ihr Vater ein säkularer Arzt – auch wenn ihre Mutter gläubig war und sie entsprechend instruierte –, so dass er ihr erlaubte, sich zu bilden, bevor sie heiraten sollte. Sie studierte Medizin. Nachdem sie den Koran komplett gelesen hatte, wurde sie Atheistin. Schon als Achtjährige überprüfte sie den logischen Sinn des Korans und stellte in Frage: „Wenn Allah alles weiß, warum kann er kein Bengali?“, da es die Schrift nur auf Arabisch gab. Auch fiel ihre Zunge nicht ab, als sie, eingeschlossen im Badezimmer, Allah schmähte. Ihr wurde klar, dass Mohammed den Koran aus purem Eigeninteresse und für seinen eigenen Spaß geschrieben hatte, indem er beispielsweise seinen eifersüchtigen Impulsen bezüglich seiner Ehefrauen freien Lauf ließ.

Als Nasrin begann, sich öffentlich für Frauenrechte und gegen religiöse Gesetze zu engagieren, wurde gegen sie eine Fatwa ausgesprochen, in das Büro ihres Herausgebers wurde eingebrochen und die Regierung klagte sie wegen Blasphemie an. Sie flüchtete 1994 aus Bangladesch. Über 30 Bücher hat sie inzwischen geschrieben, die bis heute in ihrem Heimatland verboten sind. Sie selbst durfte bis heute nicht wieder nach Bangladesch einreisen und Indien, wo sie vorübergehend lebte, verwies sie des Landes, um den öffentlichen Frieden nicht zu stören.

Der Islam wird überwiegend ausgenommen von der kritischen Überprüfung, der andere Religionen ausgesetzt sind. Muslimische Minderheiten, die nun wachsen, werden unterstützt. Es scheint, als nehme die Intoleranz weltweit zu. Man hat Angst, Moslems zu beleidigen. Auch moderate Muslime hätten sich bislang nicht zu Wort gemeldet, um den Opfern des islamischen Fundamentalismus beizustehen.

Nasrin meinte, es sei nicht leicht, Religionen zu überwinden, aber wir sollten es versuchen. Der Konflikt laufe zwischen der Vernunft, Säkularismus, Humanismus und der Bewegung nach vorne gegenüber Irrationalismus, Fundamentalismus und Rückwärtsbewegung. Menschen zu bilden sei ein wirksamer Weg. Wir müssten islamischen Gesellschaften zur Aufklärung verhelfen. Und Frauen, die keine Feministinnen seien, seien Masochistinnen. (Bereits 2009 interviewte der hpd Taslima Nasrin.)
 

Der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Michael Schmidt-Salomon, meinte, die kulturelle Matrix, in der wir aufwachsen, sei der Grund dafür, dass Politiker mit religiotischen Vorstellungen herrschen. Doch „Willkommen in der Matrix – auch Dummheit will gelernt sein“ thematisierte nicht nur die Politik, sondern diverse Bereiche des menschlichen Daseins. Ein biologischer Grund dafür, dass sich der Mensch – anders als der Schimpanse – vom Jäger und Sammler zum Großstadtneurotiker entwickelt habe, bestehe darin, dass der Mensch der Affe sei, der am besten nachäffen könne.

Um diese umstrittene These zu belegen, zeigte Schmidt-Salomon ein Video, in welchem Schimpansen und Menschenkinder äußerst unterschiedlich handelten, um eine Süßigkeit zu erlangen: Eine Black Box enthält eine Süßigkeit, an die man angeblich nur gelangen kann, wenn man komplizierte Klopf- und Schiebevorgänge beachtet. Die Schimpansen äffen diese Vorgänge eher schlampig nach und erhalten ihr Bonbon, die Kinder dagegen äffen die Vorgänge haargenau nach und erhalten ihr Gummibärchen. Interessant wird es, als dieselbe Box nicht mehr black, sondern durchsichtig ist: Die Schimpansen schauen kurz hin, verzichten auf die komplizierten Vorgänge, sondern schnappen sich sofort ihr Bonbon. Die Kinder dagegen nehmen weiterhin den umständlichen Klopf-und-Schiebe-Umweg, bis sie endlich ihr Gummibärchen in den Händen (bzw. im Mund) halten.

Dieses Nachäffen sei die Basis jeglicher Traditionsbildung, des Sprechens, Lesens, Schreibens, Rechnens. Die Fähigkeit zu perfekter Imitation sei mithin die Wurzel aller menschlichen Kulturleistungen, allerdings auch die Wurzel aller menschlichen Dummheit. Die kulturelle Matrix sei ein Programm zur gesellschaftlichen Normierung individueller Denk-, Empfindungs- und Handlungsgewohnheiten. Je unrealistischer, je grotesker, je gefährlicher eine kulturelle Vorstellung sei, desto höher sei der Aufwand, der betrieben werde, um sie in die Köpfe der Jüngsten einzupflanzen. Dies treffe besonders auf die Religionen zu, deutlich daran zu erkennen, dass in den öffentlichen deutschen Schulen zuerst Kreationismus (biblische Schöpfungsgeschichte) und erst später Evolution (Biologie) gelehrt werde. Insofern werde insgesamt zur Denkverödung erzogen.

Würden Kinder dagegen von Anfang an lernen, Vorgegebenes kritisch zu hinterfragen, hätten religiotische Hirnwürmer in ihren Köpfen keine großen Überlebenschancen.

Zum Thema „Atheismus an sich“ meinte Schmidt-Salomon, dieser habe keine Zukunft. Ein Negativprogramm könne Menschen keine Orientierung bieten, sondern könne gesellschaftlich nur wirkmächtig werden, wenn er Verbindungen mit anderen Programmen der kulturellen Matrix eingehe. Stattdessen solle es uns also eher um die positiven Inhalte von Humanismus und Aufklärung, statt um die Nachteile des Glaubens um die Vorzüge des selbstbestimmten Lebens gehen. Evolution zu verstehen sei notwendig, um zu begreifen, wer oder was der Mensch ist. Was bislang fehle, sei die Übersetzung in eine kindgerechte Sprache, woraufhin Schmidt-Salomon das neue gbs-Projekt „EvoKids“ vorstellte, mit dem das Urmel Evolution in die Grundschule bringen soll. Auch solle das Aushandeln von Werten im Mittelpunkt des schulischen Werteunterrichts stehen. Der Philosoph schloss mit den Worten: „Nicht nur Dummheit, auch Klugheit will gelernt sein.“

Fiona Lorenz / Carsten Frerk

 

Tagungsbericht, Teil 1: „I’m your neighborhood atheist"