Leben ist das höchste Gut, Sterben sowieso

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Sir Terry Pratchett / Foto: exit

ZÜRICH. (hpd) Vom 13. bis 16.06.2012 versammelten sich in Zürich die Vertreter von 55 Gesellschaften aus 45 Ländern, die sich mit der Selbstbestimmung am Lebensende befassen. Ein Blick zurück auf den Internationalen Kongress der World Federation Right-to-Die Societies.

Die Befürworter eines selbstbestimmten Lebensendes hoffen, dass mehr Länder ärztliche Freitodhilfe in den kommenden Jahren gesetzlich verankern. Vor dem Hintergrund der alternden Bevölkerung müsse gehandelt werden. Die Widerstände, z. B. von Seiten der Kirchen sind aber nach wie vor sehr stark. Auch kulturell bedingte Einstellungen und Werte können ein Hindernis sein.

„In den letzten 20 Jahren haben wir eine allmähliche Öffnung hin zu einer positiveren Einstellung zur Freitodbegleitung erlebt“, sagt Ted Goodwin, US-amerikanischer Aktivist und Präsident der World Federation of Right-to-Die Societies. Bisher ist ärztliche Freitodhilfe nur in wenigen Staaten bzw. Bundesstaaten erlaubt: in der Schweiz, in den Niederlanden, Luxembourg und Belgien und in den US-Bundesstaaten Oregon und Washington. Eine herausragende Stellung nimmt die Schweiz in dieser Frage ein. Ärztliche Freitodhilfe ist dort seit 1942 legal. Sie wird von Sterbehilfeorganisationen wie EXIT und Dignitas nach eingehender gutachterlicher Prüfung durchgeführt.

Wie sich das Bewusstsein durch die Möglichkeit der Freitodbegleitung ändert, wurde in zahlreichen Panels und Vorträgen am Publikumstag deutlich. Während in Ländern wie Frankreich oder Deutschland noch darüber diskutiert wird, ob eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe notwendig sei, geht es in der öffentlichen Debatte in der Schweiz um die Frage, ob auch ein Altersfreitod von vermeintlich gesunden Menschen auf deren Wunsch (sog. Bilanzsuizid) durchgeführt werden könne.

Der Unterschied in der Diskussion in Deutschland und der Schweiz lässt sich bereits daran verdeutlichen, dass auf dem Kongress auch die Bundesrätin Simonetta Sommaruga auftrat, sie ist Vorsteherin des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, und dafür plädierte, dass der Staat dafür zu sorgen habe, dass seine Bürgerinnen und Bürger in Würde sterben dürfen. Was Würde am Ende des Lebens bedeute, das müsse aber jeder für sich selbst entscheiden.

Das diese Thematik nicht nur in der Schweiz die politischen Gremien erreicht hat, das zeigt nicht nur die Verabschiedung eines Gesetzes zur Suizidhilfe im Schweizer Kanton Waadt, sondern auch die Tatsache, dass in Frankreich mit Präsident Hollande erstmals ein Staatsoberhaupt gewählt wurde, das die Sterbehilfe in Frankreich legalisieren will.

In Deutschland bietet derzeit nur der Sterbehilfeverein Deutschland e.V., auf dem Kongress vertreten durch den ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch, Freitodbegleitung im eigenen Land und in den eigenen vier Wänden an. Die Aktivitäten des Vereins sind umstritten. Es gibt kein Büro, an das man sich wenden könnte, nur ein Postfach. Das Finanzgebaren war in der Vergangenheit Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Untersuchungen, weil aus dem Jahresbericht nicht hervorging, wohin die Mitgliedsbeiträge fließen. 2008 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Roger Kuschs Privaträume, um herauszufinden, wo die 8.000 Euro, die pro Begleitung in den Tod veranschlagt wurden, hingehen und vor allem, wie sie versteuert werden. Würde Kusch seine Dienstleistungen beim Finanzamt als Gewerbe angeben, müsste er Gewerbesteuer bezahlen. Dann wäre sein Verein ein Unternehmen mit dem Zweck, Gewinne zu erzielen. Dagegen wendet sich der Referentenentwurf zum Verbot gewerbsmäßiger Sterbehilfe, der seit März 2012 einsehbar ist.

Es ist die Frage, ob die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten von Sterbehilfedeutschland e.V. oder die hartnäckige, zähe aber transparente Arbeit von Organisationen wie der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e.V. besser für mehr Selbstbestimmung am Lebensende werben.

Der unheilbar an Alzheimer erkrankte Sir Terry Pratchett, Autor vieler Science-Fiction-Romane, der in Zürich anwesend war, bezeichnete die Tatsache, dass Menschen, die ein selbstbestimmtes Lebensende wählen, dafür ins Ausland reisen müssen, als „eine Schande für Großbritannien“. Pratchetts Vortrag wurde von seinem Assistenten vorgetragen, weil der Autor selbst nicht mehr lesen kann. Trotz seiner Einschränkung lässt er es sich nicht nehmen, für ärztliche Freitodhilfe in seinem Heimatland zu kämpfen. Er ist Gründer der „Commission of Assisted Dying“, die sich dafür einsetzt, dass ärztliche Freitodhilfe für alle erlaubt sein soll, die einwilligungsfähig seien.

Simone Scheps