Gewissensfreiheit muss auch für Ärzte gelten

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Hilfe / Foto: Gerd Altmann (pixelio.de)

BERLIN. (hpd/dgpd/hvd) Drei Wochen vor dem Deutschen Ärztetag in Kiel hat der Vorstand der Bundesärztekammer seine Position zum ärztlich assistierten Suizid zurückgenommen und ein Chaos verursacht. In einer gemeinsamen Erklärung  von Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch manifestiert sich eine Re-Dogmatisierung und ein Trauerspiel um das ärztliche Ethos.

Die Bundesärztekammer (BÄK) ist auf dem besten Weg, im medizin-ethischen Paternalismus zu verharren. Die leicht liberalisierten Formulierungen vom Februar, wonach der assistierte Suizid lediglich „keine ärztliche Aufgabe“ sei, verhießen einen Hoffnungsschimmer auf ein am Selbstbestimmungsrecht des Patienten orientiertes, partnerschaftliches Selbstverständnis des Arztberufs.

Dies hatte auch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) mit einem am 2. Mai veröffentlichten Offenen Brief an die Delegierten des 114. Ärztetags unterstützt. Doch nun droht der totale Rückschritt: Den Delegierten des Ärztetages soll von dem Vizepräsidenten der Deutschen Ärztekammer , Dr. Frank-Ulrich Montgomery, eine deutlich schärfere, angeblich „eindeutige“ Formulierung zur Abstimmung vorgelegt werden, die lautet: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

„Ein solches antiquiertes Selbstverständnis des Arztberufs über die obligatorische Kammer-Zugehörigkeit den Ärztinnen und Ärzten aufzuzwingen, richtet sich gleichermaßen gegen die Interessen von Patienten UND Ärzten“, so DGHS-Präsidentin Elke Baezner. „Die Bundesärztekammer steht nicht über dem Gesetz. Es ist höchst bedenklich, damit indirekt Ärztinnen und Ärzten mit dem Damoklesschwert einer theoretisch möglichen Verurteilung bzw. dem Entzug der Niederlassungsbewilligung zu drohen. Die Bundesärztekammer hat die Bodenhaftung verloren. Standesrecht bricht nicht Bundesrecht!“

Elke Baezner nennt liberale Haltung in der Schweiz als Vorbild

Baezner verweist zudem auf die Volksabstimmung im Schweizer Kanton Zürich vom 15. Mai 2011. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 85 Prozent hat die Bevölkerung zwei Volksinitiativen abgelehnt, die das Freiheitsrecht des Bürgers am Lebensende radikal beschränken wollten. Baezner: „Dieses klare Votum für Eigenverantwortung und Respekt vor dem Sterbewilligen sollte auch der Standesorganisation in Deutschland zu denken geben. Die Menschen wollen ihr Selbstbestimmungsrecht gewahrt wissen.“

Längst hat sich nicht nur in der deutschen Bevölkerung, sondern auch unter den Ärzten in Deutschland die Einsicht breit gemacht, dass allein mit den Mitteln der Palliativmedizin nicht jedem Sterbenden optimal beigestanden werden kann. Baezner: „Wenn körperlich schwerstkranke Menschen den freiverantworteten Suizid wünschen, müssen sie auf den Arzt ihres Vertrauens bauen können.“ Nach einer von der Ärztekammer in Auftrag gegebenen Allensbach-Umfrage aus dem Sommer 2010 waren es immerhin über 30 Prozent der Ärzte in Deutschland, die eine Regelung für einen ärztlich assistierten Suizid unterstützen.

Ärztliches Berufsethos braucht Mut statt Re-Dogmatisierung

Eine parallele säkulare Position hat dazu auch der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) veröffentlicht: Ursprünglich sollte der § 16 „Beistand für Sterbende“ der ärztlichen Musterberufsordnung in Kiel den eben erst liberalisierten Grundsätzen der Bundesärztekammer angepasst werden, welche zumindest die bestehende juristische Nicht-Strafbarkeit reflektieren. Stattdessen hat der BÄK-Vorstand nun auf einen angeblichen „Sturm der Entrüstung“ dagegen reagiert. Im Einvernehmen mit der katholischen Kirche legte er jetzt zur Beschlussfassung eine Gegenformulierung vor, die in ihrer Härte überrascht: „Ärztinnen und Ärzte dürfen keine Hilfe zum Suizid leisten“. Wenn dieser Antrag beschlossen würde, bedeutete dies einen Schritt zurück hinter die aktuellen „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“. In diesen heißt es seit Anfang 2011 lapidar, dass die Mitwirkung bei einer Selbsttötung zwar „keine ärztliche Aufgabe“, aber auch nicht strafbar sei.

Die „Grundsätze“ sollen Orientierungshilfe für ärztliches Handeln bieten. Demgegenüber wäre der § 16 der Berufsordnung Bestandteil des ärztlichen Standesrechts, welches für Ärzte mit Sanktionsmöglichkeiten verbunden ist. Was sollte nun aber gelten? Die Glaubwürdigkeit des ärztlichen Standesethos ist durch das „Vor- und Zurückrudern“ der BÄK bereits jetzt erheblich beschädigt.

Gefordert ist stattdessen ein mutiger Schritt nach vorn in die auch verfassungsmäßig verbürgte Liberalität der ärztlichen Gewissensfreiheit. Der HVD fordert den kommenden Ärztetag auf, sich dabei an den Empfehlungen des 66. Deutschen Juristentages von 2006 zu orientieren und diese nicht noch länger unbeachtet zu lassen. Danach muss im Berufsrecht zum Ausdruck kommen, dass ein Arzt in schwerwiegenden Einzelfällen aus moralisch anerkennenswerten Erwägungen zu der Gewissensentscheidung kommen kann, einem freiverantwortlichen Patienten bei einem Suizid zu helfen. Es muss klargestellt werden, dass ein Arzt, der in einer solchen Grenzsituation tödliche Medikamente verschreibt und unter Umständen den Suizid auch bis zum Tod begleitet, nicht mit berufsrechtlichen Konsequenzen bedroht wird.

Im eigenen Interesse müssen Ärztinnen und Ärzte in Kiel für ein Berufsrecht sorgen, welches eine solche Gewissensentscheidung ausdrücklich würdigt oder zumindest soweit toleriert, wie es heute bereits im Strafrecht der Fall ist. Stattdessen käme ein Arztethos, welches Grundrechte von Kolleginnen und Kollegen aus nicht nachvollziehbaren Gründen moralisch einschränkt, einem kirchenspezifischen Dogma gleich. Dann bliebe nur noch zu hoffen, dass es von den letztendlich verantwortlichen Landesärztekammern ebenso unbeachtet bliebe, wie das jetzt schon der Fall ist.

(hpd/dgpd/hvd)