EU-Kommission prüft britisches Arbeitsrecht

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© MAEE, F. de La Mure

LONDON. (hpd) Das neue Wachstum von Konfessionsschulen im Vereinigten Königreich wird von den britischen Humanisten sehr kritisch beobachtet. Anstoß erregen nicht nur die Lehrkonzepte. In der Kritik stehen auch arbeitsrechtliche Privilegierungen.

Wie die British Humanist Association (BHA) am vergangenen Dienstag mitteilte, will die Europäische Kommission einen Verstoß gegen EU-Recht prüfen.

Im April 2010 hatte die BHA eine entsprechende Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht, in der der Regierung des Vereinigten Königreichs vorgeworfen wurde, mit den Gesetzen über die Einrichtung von Schulen in freier Trägerschaft religiöse Organisationen im Widerspruch zu den europäischen Rahmenrichtlinien über das gemeinsame Arbeitsrecht zu privilegieren.

Moniert wurde unter anderem, dass an Lehrkräfte und Schulleiter besondere Ansprüche hinsichtlich religiöser Überzeugungen und Praxis gestellt werden können. Das sei mit dem für die Mitgliedsstaaten verbindlichen Rückschrittsverbot, welches im EU-Recht die Wahrung eines vor Erlass der Rahmenrichtlinien vorliegenden höheren nationalen Schutzniveaus sichern soll, nicht vereinbar.

Zwar erlaube die europäische Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie den Schulen mit religiöser Ausrichtung dort eine Bevorzugung von Arbeitnehmern aufgrund ihres Bekenntnisses, wo es ein „wesentliches, rechtmäßiges und gerechtfertigtes Erfordernis“ darstelle. Wie die Humanisten aber feststellen mussten, legitimieren die britischen Gesetze diese Bevorzugung bei allen Stellen für Lehrkräfte an den konfessionellen Schulen.

Eine Kritik der BHA: Der zuletzt im Jahr 2006 geänderte School Standards and Framework Act (SSFA) des britischen Parlaments ermögliche eine „umfassende Diskriminierung“, anstatt sich an der im EU-Recht vorgesehenen „wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten Erfordernis“ zu orientieren.

Zudem erlaube der SSFA die Auferlegung von Verhaltensvorschriften für die Lehrkräfte, welche weiter über die Grenzen der EU-Bestimmungen hinausgehe und dürfe auch gegenüber Lehrern angewendet werden, die ursprünglich ohne Berücksichtigung ihrer religiösen Haltung angestellt wurden.

Unter anderem könne ein offen atheistisch denkender Mensch von der Schulleitung wegen einer Teilnahme an Demonstrationen für ein Recht auf Schwangerschaftsabbrüche diszipliniert werden. Und obwohl die europäische Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie nur sehr bestimmte Ungleichbehandlungen auf Grundlage des religiösen Glaubens zulässt, verleihen die Regelungen des SSFA weitergehende Befugnisse, deren Verankerung im EU-Recht keine Grundlage findet, etwa Diskriminierungen auf Basis der sexuellen Orientierungen und des Geschlechts.

Tatsächlich zeigt sich, dass sich die arbeitsrechtliche Lage im Vereinigten Königreich in den letzten Jahren stark an die deutsche Wirklichkeit angeglichen hat. Ein Unterschied findet sich darin, dass die aufgrund des schon lange existierenden deutschen Staatskirchenrechts vorhandenen Diskriminierungen ein neueres Phänomen im britischen Königreich darstellen.

Die Europäische Kommission erklärte nun in einer Antwort auf die BHA-Beschwerde am 17. Juli 2012, dass auch aus ihrer Sicht der SSFA „Fragen zur Konformität einiger seiner Bestimmungen“ mit Artikel 4 der EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie aufwerfe. Man wolle daher die britischen Behörden auffordern, eine Klarstellung zum Sachverhalt abzugeben. Das sei der notwendige nächste Schritt bei der Untersuchung eines möglicherweise vorliegenden Bruchs mit den EU-Regelungen.

Andrew Copson, BHA-Direktor, betonte in einer Stellungnahme, dass es keine guten Argumente dafür gebe, dass die Mehrheit der Lehrkräfte an den staatlich finanzierten Konfessionsschulen den Glauben des Schulträgers teilen müsse. Diese Schulen machen mittlerweile ein Drittel aller staatlich finanzierten Schulen in England und Wales aus. Für Mitglieder von Minderheitenreligionen oder nichtreligiöse Menschen sei es daher viel schwieriger, eine Anstellung zu finden, stellte Copson fest.

Die Stoßrichtung der BHA im Arbeitsrecht ist somit eine ähnliche wie die säkularer Organisationen in Deutschland, wo derzeit die Kampagne gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz gemeinsam mit den Reformbemühungen von Gewerkschaften darauf abzielt, traditionelle Privilegierungen der kirchlichen und religiösen Organisationen im deutschen Arbeitsrecht aufzulösen.

Fraglich ist, ob die britischen Humanisten im Ergebnis mit der Beschwerde tatsächlich einen Erfolg verzeichnen werden. Ein früheres Vertragsverletzungsverfahren, welches die EU-Kommission im Jahr 2008 gegen die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der mangelhaften Umsetzung der Richtlinien im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eingeleitet hatte, versandete wirkungslos.

Die Auswirkungen der von der britischen Regierung in den vergangenen Jahren ausgeweiteten Förderung von freien Trägerschaften kultureller und sozialer Einrichtungen beschäftigen die BHA derzeit vermehrt. Von den 102 neuen Schulen in freier Trägerschaft, deren Eröffnung das Bildungsministerium ab kommendem Jahr genehmigt hat, gehören 33 Schulen zur Gruppe der sogenannten „Faith Schools“, den Konfessionsschulen. Darunter auch Einrichtungen, welche Schöpfungslehren als wissenschaftliche Theorie vermitteln wollen.

Obwohl eine Kampagne gegen Kreationismus im Biologieunterricht vor einigen Monaten erfolgreich zu einer Änderung der staatlichen Finanzierungsrichtlinien führten, die den Kreationismus aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht verbannen soll, kann Schöpfung als wissenschaftliche Theorie weiterhin im Religionsunterricht gelehrt werden.

Außerdem wurde vor kurzem bekannt, dass sich einige Schulen aus religiösen Motiven aus dem nationalen Impfprogramm verabschiedet haben und den Mädchen die routinemäßigen Angebote von Impfungen gegen Gebärmutterhalskrebs verweigern, weil diese Impfungen nicht dem „Schulethos“ entsprechen und zu vorehelichem Geschlechtsverkehr ermutigen würden.

Arik Platzek