Mit einer gemeinsamen Stellungnahme von "gewerkschaftsgrün" und den Bundesarbeitsgemeinschaften Arbeit, Soziales, Gesundheit und Säkulare Grüne wird an die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen appelliert, sich jetzt innerhalb der Regierungskoalition für eine konsequente Reform des diskriminierenden besonderen kirchlichen Arbeitsrechts einzusetzen.
Eine erste Phase der koalitionsinternen Befassung mit dem kirchlichen Arbeitsrecht ist Ende Januar zu Ende gegangen. In den sogenannten Kirchengesprächen befassten sich unter Leitung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales je zwei Vertreter*innen in drei Tagungen mit den Themenbereichen "Individuelles Arbeitsrecht", "Kollektives Arbeitsrecht" und "Mitbestimmung". Beteiligt waren an den Gesprächen die römisch-katholische und die evangelische Kirche, deren Wohlfahrtsverbände, Mitarbeitervertretungen, ver.di und andere. Diese Gespräche waren auf einen Positions- und Meinungsaustausch beschränkt, ohne eine konkrete Reformperspektive.
Nun muss in der Regierungskoalition entschieden werden, wie es mit einer Reform des kirchlichen Arbeitsrechts weitergeht. Bekannt ist derzeit nur, dass seitens des Bundesministeriums keine Gesetzesvorlage ausgearbeitet wird. Es müsste somit eine Initiative aus den drei Regierungsfraktionen gestartet werden. Möglicherweise wird schon in der Sitzungswoche des Bundestags Mitte März mehr Klarheit herrschen.
Bereits im letzten Bundestagswahlprogramm war die Reform-Forderung enthalten und die Delegierten haben sie auf der 48. Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) am 15. Oktober 2022 nahezu einstimmig bekräftigt.
Wir Grüne fordern für die Beschäftigten der Kirchen und kirchlicher Einrichtungen Gleichbehandlung im Arbeitsrecht mit allen anderen Arbeitnehmer*innen. Das individuelle und das kollektive kirchliche Arbeitsrecht müssen dringend und umfassend reformiert werden.
Anstelle innerkirchlicher Regelungen muss der Staat seiner Verantwortung als Gesetzgeber gerecht werden.
Die Ausnahmeregelungen zu Lasten der Beschäftigten im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind nicht akzeptabel. Wir fordern, dass die Verweigerung des Schutzes der Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen durch das Betriebsverfassungsgesetz in § 118 Abs. 2 BetrVG und durch Personalvertretungsgesetze beendet wird.
Die gewerkschaftliche Mitbestimmung muss umfassend gefördert werden.
Der religiöse Verkündigungsbereich bleibt von den Neuregelungen unberührt.
Die Rechte der Beschäftigten müssen auch in Hinsicht auf die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen und Flächentarifverträgen gestärkt werden. …“
Damit wurde der grundlegende Beschluss der BDK 2016 in Münster "Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der offenen Gesellschaft“ konkretisiert und fortentwickelt. Dort heißt es zum kirchlichen Arbeitsrecht u.a.: "Bündnis 90/Die Grünen sehen dringenden Reformbedarf hinsichtlich des kirchlichen Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland. Individuelle Grundrechte (…) können im Konflikt stehen mit dem Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen". "Allerdings gilt dieses Recht nicht unbeschränkt, sondern muss mit anderen Grundrechten bzw. Grundrechtspositionen Anderer ausgeglichen werden (praktische Konkordanz). Dies kann zu neuen Entwicklungen bei der Verwirklichung von Grundrechten führen, wie wir es beispielsweise für das kirchliche Arbeitsrecht fordern."
Die Säkularen Grünen erwarten von der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, diese eindeutige Position in den Verhandlungen mit den anderen Koalitionspartnern konsequent umzusetzen und sind bereit, jede erdenkliche Unterstützung zu leisten.
Die geplante Reform betrifft ca. 1,8 Millionen Beschäftigte bei den christlichen Kirchen und in Betrieben in kirchlicher Trägerschaft, die gemäß dem Subsidiaritätsprinzip einen wesentlichen Beitrag für das Gemeinwohl, etwa im Sozial- und Gesundheitsdienst sowie in der frühkindlichen Bildung und Betreuung leisten.
Sie dürfen nicht Arbeitnehmer*innen 2. Klasse sein und nicht länger
- Diskriminierungen wegen Weltanschauung, Kirchenaustritt, Privatsphäre ausgesetzt sein,
- beim Ausbalancieren von Interessenunterschieden mit dem Arbeitgeber im Arbeitsalltag in ihren betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeschränkt werden,
- in ihrer gewerkschaftlichen Betätigung beeinträchtigt werden, indem ihre Gewerkschaft aus der betrieblichen Interessenvertretung kirchenrechtlich ausgeschlossen wird – beispielsweise haben Gewerkschaften kein eigenständiges Recht zur Teilnahme an Mitarbeiterversammlungen und können bei Wahlen zur Mitarbeitervertretung nicht kandidieren - und
- bei der Wahrnehmung ihres grundrechtlich garantierten Streikrechts mit arbeits-rechtlichen Sanktionen bedroht werden.
Ausdrücklich hervorgeboben wird, dass es zur Verbesserung der Rechtspositionen der Beschäftigten gesetzlicher Regelungen bedarf, mit denen insbesondere § 118 Abs. 2 BetrVG abgeschafft und die Betriebe in kirchlicher Trägerschaft im sozialen und karitativen Bereich mit solchen außerhalb kirchlicher Trägerschaft gleichgestellt und ins Betriebsverfassungsgesetz einbezogen werden. Ein allgemeiner Tendenzschutz i.S.d. § 118 Abs 1 BetrVG reicht aus, um berechtigte Belange kirchlicher und weltanschaulicher Einrichtungen zu gewährleisten.
Bestehende gesetzliche Ausnahmeregelungen zu Lasten der Beschäftigten z.B. im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, im Arbeits- und Gesundheitsschutz für Auszubildende u.ä. müssen endlich ersatzlos aufgehoben werden. Kirchen müssen das Schwerbehindertenrecht und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt anwenden. Arbeitsvertragsrichtlinien dürfen Tarifverträgen nicht gleichgestellt werden.
Die Identität der Kirche bleibt unbeeinträchtigt auch unter Anwendung des normalen, für alle geltenden Arbeitsrechts, wie das weltweit der Fall ist und wie es auch in der Weimarer Republik war. Das fördert die Akzeptanz in der Gesellschaft und auch innerhalb der Kirchen selbst.
Durch die innerkirchliche Initiative "Out in Church" ist seit Anfang 2022 noch einmal ein Schlaglicht auf den Reformbedarf u.a. für Beschäftigte geworfen worden, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität Schutz vor Diskriminierung brauchen. Mit ihnen erklären sich die Säkularen Grünen "ausdrücklich solidarisch". Sie erkennen an, dass die katholische Kirche mit der Reform der kirchlichen Grundordnung einen Schritt für mehr Sicherheit der Beschäftigten im individuellen Arbeitsrecht getan hat und sehen, dass die evangelische Kirche im kollektiven Arbeitsrecht Reformen vornimmt.
Doch auch die jüngsten kirchlichen Reformpapiere, die aufgrund von Druck aus Öffentlichkeit und Mitarbeiterschaft zustande kamen, sind von zahlreichen Stimmen aus guten Gründen als unzureichend kritisiert worden. Denn kirchliche Mitarbeiter*innen erhalten dadurch keine Gleichstellung mit anderen Arbeiternehmer*innen und es sind Rechtsunsicherheiten geblieben.
Ein aktiver Gesetzgeber steht ganz unabhängig vom Geschehen bei den beiden christlichen Konfessionen in der Verantwortung, dass die Beschäftigten aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Arbeitsrecht gleichgestellt werden mit allen anderen Arbeitnehmer*innen in Deutschland. Bündnis 90/Die Grünen treten ein für eine plurale Gesellschaft und für einen selbstbewussten, weltanschaulich neutralen Staat. Eine weitere Zersplitterung des Arbeitsrechts durch zusätzliche religiöse und weltanschauliche Wohlfahrtsverbände ist zu vermeiden. Einheitliches Arbeitsrecht für alle ist das Ziel.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist deshalb aufgefordert, auf Grundlage der eindeutigen grünen programmatischen Reformposition mit Nachdruck für eine gesetzliche Regelung zur Beseitigung der Diskriminierungen des kirchlichen Arbeitsrechts innerhalb der Koalition einzutreten und für die Umsetzung dieser Reform zu sorgen.
Übernahme mit kleinen Änderungen von saekulare-gruene.de.
Übernahme mit kleinen Änderungen von saekulare-gruene.de.
3 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Zuständig wäre wohl BM Hubertus Heil.
Hubertus Heil ist Mitglied im Präsidium des evangelischen Kirchentags.
Von ihm ist keine Verbesserung des kirchlichen Arbeitsrechts zu erwarten.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Es ist mir ein Rätsel, was Politiker an der Religion finden? merken diese nicht, dass sie von den Kirchen nur benutzt werden für deren Macht und Wohlstand und wir Steuerzahler
ausserdem blockieren diese auch noch vernünftige Gesetze welche den Menschen dienlich wären, aber den Kirchen nicht passen.
A.S. am Permanenter Link
Lieber Herr Baierlein, diese Frage stelle ich mir auch aber eine eindeutige Antwort habe ich nicht gefunden. Vermutlich sind die Antworten komplex und individuell unterschiedlich.
Viele Politiker haben den ehrlichen Wunsch, die Welt besser zu machen und schließen sich zu diesem Zwecke einer Ideologie und einer größeren Gruppe an. Ohne eine größere Gruppe lässt sich nunmal nicht viel bewegen.
Da bieten sich entweder die Linken, die Grünen oder die Kirchen an. Die einen glauben Marx, die anderen den Kirchen. die "Rechten" pflegen traditionellen Egoismus: Familie, Ortsgemeinschaft, Staat.
Überall jedoch gibt es machtgierige Personen an der Spitze, die ihre Gefolgsleute schäbig ausnutzen, bis hin zum militärischen Missbrauch.
Religionskriege sind der militärische Missbrauch von Gläubigen durch ihre religiösen Führer.
Religionen sehe ich als theokratische Ideologien, die durch Indoktrination verbreitet (Mission) und an die nächste Generation weiter gegeben werden (religiöse Erziehung).
"Gläubigkeit" sehe ich als eine Art psychologische Abhängigkeit von religiösen wie von weltlichen Führern.