Hass im Internet, vor allem in den Sozialen Medien, zersetzt die Demokratie: Die Studie "Lauter Hass – leiser Rückzug" hat ergeben, dass 57 Prozent der Befragten sich seltener trauen, die eigene politische Meinung zu äußern und weniger an Diskussionen teilnehmen. Die Menschen haben Angst, im Netz Opfer von Drohungen und Beleidigungen zu werden. Während der Hass zunimmt, ziehen sich vor allem Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund und queere Menschen aus dem Netz zurück.
Die Studie "Lauter Hass – leiser Rückzug" wurde von vier zivilgesellschaftlichen Organisationen erhoben: Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und die Neuen deutschen Medienmacher:innen. Seit 2019 haben die Macher:innen der Studie Wahrnehmung, Betroffenheit und Folgen von Hass im Netz untersucht. Sie haben über 3.000 Internetnutzer:innen in Deutschland ab 16 Jahren befragt.
Hass trifft Minderheiten und Frauen
Der Großteil der Befragen (89 Prozent) stimmt der Aussage zu, dass Hass im Netz zugenommen hat. Weitestgehend einig sind sich die Befragten (86 Prozent) auch darin, dass Social-Media-Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssen. Eine Mehrheit (82 Prozent) der Proband:innen fürchtet, dass Hass im Netz die Vielfalt im Internet gefährdet. Über drei Viertel (76 Prozent) sind besorgt, dass durch virtuellen Hass auch die reale Gewalt im Alltag zunimmt. Obwohl fast die Hälfte der Menschen selbst Hass auf den sozialen Plattformen beobachtet hat, haben nur fünf Prozent eine Anzeige bei der Polizei gemacht. 15 Prozent der Befragen wurden selbst Zielscheibe von Hassattacken in den Sozialen Medien.
Hass im Netz trifft nicht alle gleich: Besonders häufig betroffen sind nach eigenen Angaben Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund (30 Prozent), junge Frauen (30 Prozent) und Menschen mit homosexueller (28 Prozent) oder bisexueller (36 Prozent) Orientierung. "Menschen mit Rassismus- und Diskriminierungserfahrung machen auch im Netz Gewalterfahrungen und ziehen sich deshalb aus der Debatte zurück", sagt Elena Kountidou, Geschäftsführerin der Neuen deutschen Medienmacher:innen. Gerade jetzt, wo Rechtsradikalismus zunehme, müssten die Stimmen derjenigen, die davon besonders betroffen sind, sicht- und hörbar gemacht werden, sagt Kountidou.
Eine Bedrohung für die Demokratie
"Ob toxische Kommentare, Drohungen, beängstigende Kampagnen: Hass im Netz ist allgegenwärtig. Viele Menschen sind davon abgestoßen oder eingeschüchtert, halten sich zurück oder schweigen", sagt Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Schweigen der einen gebe denen Raum, die sich laut und aggressiv verhielten. "Es bedroht unsere Demokratie", sagt Paus.
Ein prägnantes Ergebnis der Studie: Wer sich politisch (eher) links einordnet, nimmt Hass im World Wide Web häufiger wahr als Personen, die eine andere politische Einstellung angeben. 41 Prozent der Betroffenen sagen, dass sie aufgrund ihrer politischen Meinung angegriffen wurden. Besonders Wähler:innen von Bündnis 90/Die Grünen sind betroffen. Der Hass selbst richtet sich am häufigsten gegen Politiker:innen und gegen Geflüchtete. Ort des Geschehens sind aus Sicht der Befragten Plattformen wie X (ehemals Twitter), TikTok, Facebook und Instagram. Die Macher:innen schreiben in ihrer Studie: Der "schleichende Angriff auf unsere Demokratie" setze sich fort. Allerdings sei er inzwischen weniger als "schleichend" zu bezeichnen. "Vielmehr muss man von einem offenen und unverhohlenen Versuch sprechen, die Grundwerte und Prinzipien unserer Demokratie durch Hass im Netz systematisch zu untergraben", heißt es im Fazit der Studie.