Das Leben eines „Nadelstreifen-Kommunisten“

(hpd) Der britische Historiker Tristram Hunt legt eine umfangreiche Biographie des Mitstreiters von Karl Marx vor. Die gut geschriebene und überaus informative Lebensbeschreibung deutet Engels mit überzeugenden Argumenten als einen eher undogmatischen und wandlungsfähigen Denker.

Während Biographien und Spezialstudien zu Karl Marx ganze Bibliotheken füllen, fand sein Freund und Mitautor Friedrich Engels in der Literatur nur geringe Aufmerksamkeit. Bei „Marx-Engels“ löste eben häufig nur der Erstgenannte in Öffentlichkeit und Wissenschaft ein Interesse aus. Auf den Letztgenannten konzentriert sich demgegenüber eine neue Biographie, die der britische Historiker Tristram Hunt unter dem Titel „The Frock-Coated Communist. The Revolutionary Life of Friedrich Engels“ vorgelegt hat. Der Autor lehrt Neuere Geschichte an der Universität London und ist auch als TV-Moderator und Zeitungskolumnist bekannt. Die deutsche Übersetzung seiner Engels-Biographie erschien unter dem inhaltlich schiefen Untertitel „Der Mann, der den Marxismus erfand“. Absicht von Hunts Lebensbeschreibung von Engels ist es „diese Leidenschaften und Wünsche, persönlichen Hassgefühle und individuelle Launen eines Mannes ... offen zulegen sowie die ihnen zugrunde liegenden Triebkräfte und historischen Ursachen aufzuspüren“ (S. 17).

Dabei handelt es sich um eine historisch-chronologisch gestaltete Biographie im klassischen Sinne, die mit der Geburt beginnt, die Doppelexistenz als Fabrikantensohn und Revolutionär insbesondere in der Beziehung zu Marx und der sozialistischen Bewegung ins Zentrum stellt und mit dem Tod endet. Bereits in der Einführung beschreibt Hunt seinen Protagonisten wie folgt: „Friedrich Engels war Textilmagnat und leidenschaftlicher Fuchsjäger, Mitglied der Börse von Manchester, Präsident der dortigen Schiller-Anstalt und ein draufgängerischer, lebensfroher, dem Alkohol zugeneigter Liebhaber der schönen Dinge im Leben: Hummersalat, Chateau Margaux, Pilsner und kostspielige Frauen. Daneben unterstützte er aber auch seit vierzig Jahren Karl Marx, kümmerte sich um dessen Kinder, besänftigte seine Launen und bildete als Mitautor des Kommunistischen Manifestes und Mitbegründers jener Lehre, die Marxismus genannt werden sollte, die eine Hälfte der wohl berühmtesten ideologischen Partnerschaft der Geschichte“ (S. 7f.).

Hunt legt mit seiner Engels-Biographie eine gut geschriebene und spannend lesbare Darstellung zum Leben eines einflussreichen Revolutionärs vor. Damit bestätigt er ein „positives Vorurteil“, wonach vor allem englische Historiker nicht nur deutsche Geschichte anschaulich und niveauvoll zugleich darstellen können. Die einzelnen Kapitelüberschriften wie „Manchester in schwarzweiß“ oder „Marx Bulldogge“ wirken zwar etwas romanhaft. Das gilt aber nicht für das Buch selbst oder allenfalls positiv im Sinne einer guten Lesbarkeit. Hunt bringt inhaltlich keine neuen Erkenntnisse, sieht man einmal von bestimmten privaten Besonderheiten von Engels ab. So schreibt der Autor etwa: „Erstaunlicherweise gelang es Engels, neben der Schürzenjägerei auch noch Politik zu betreiben“ (S. 196). Auf Letzteres  konzentriert sich auch die Lebensbeschreibung. Gleichwohl weist der Autor – ohne moralisierende Anklage - immer wieder auf den Gegensatz des persönlichen Engels in der Kaufmannswelt und des politischen Engels in der Sozialistenwelt hin.

Überhaupt hebt sich die ideologiefrei gehaltene Biographie wohltuend von apologetischer wie verdammender Literatur ab. Einleitend konstatiert Hunt zur Rezeption von Engels, heute gelte seine Sozialismusauffassung als diktaturkompatibel, während man Marx diesen Vorwurf nicht mache. Darauf geht der Autor im Epilog argumentativ ein und stellt klar: „’Engelismus’ und Stalinismus sind durch eine gewaltige philosophische Kluft getrennt, derjenigen zwischen einer offenen, kritischen und humanen Vision eines wissenschaftlichen Sozialismus und einem szientistischen Sozialismus ohne jedes ethische Prinzip“ (S. 482f.). Für diese Einschätzung liefert der Autor mit den Darstellungen und Deutungen zu den Werken von Engels im Laufe der Lebensbeschreibung einschlägige Belege. Hier und da hätte man sich mehr zu den ideengeschichtlichen Besonderheiten gewünscht. Es schreibt aber ein Historiker und kein Politikwissenschaftler über einen „Frock-Coated Communist“. Die Bezeichnung aus dem Original-Titel kann man mit „Nadelstreifen-Kommunist“ übersetzen.

Armin Pfahl-Traughber

Tristram Hunt, Friedrich Engels. Der Mann, der den Marxismus erfand. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt, Berlin 2012 (Propyläen-Verlag), 575 S., 24,99 Euro.