Feuerbach-Preis für Herbert Steffen

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Gerhard Rampp und Herbert Steffen mit Urkunde und Medaille / Fotos: Andreas Wagner

AUGSBURG. (hpd) Am vergangenen Freitag wurde im Musiksaal des Zeughauses in Augsburg der Ludwig-Feuerbach-Preises 2012 des Bund für Geistesfreiheit Augsburg verliehen. Der Preisträger Herbert Steffen, Vorstandsvorsitzender der Giordano-Bruno-Stiftung, meinte, dieser Preis sei ihm wichtiger als sein Bundesverdienstkreuz.

Der gut gefüllte Musiksaal des Augsburger Zeughauses war in Festtagsstimmung. Herbert Steffen, der Gründer und Inspirator der Giordano-Bruno-Stiftung nahm unter minutenlangem Beifall und Standing Ovations den Ludwig-Feuerbach-Preis entgegen, den der Bund für Geistesfreiheit (bfg) Augsburg zum vierten Mal seit 2001 stiftete. Auf der überreichten Feuerbach-Medaille stand dessen Spruch „Willst Du Gutes tun, dann tue es für den Menschen.“ Der Augsburger bfg-Vorsitzende Gerhard Rampp bemerkte dazu: „Selten trifft dieser Satz so stark auf das Wirken eines Menschen zu wie bei Herbert Steffen.“

Zu Beginn sprach Gerhard Rampp über „Ludwig Feuerbach als Wegbereiter einer säkularen Gesellschaft“ und fügte gleich ein Fragezeichen an. Feuerbachs religionskritisches Frühwerk fand große Verbreitung, während seine Ausführungen zu einem diesseitigen Humanismus bis zur Jahrtausendwende völlig unbeachtet blieben. Die Gründe lagen in den später eingeschlafenen Kontakten zu den damaligen Medien und in der fehlende Vernetzung mit säkularen Weltanschauungsgemeinschaften, die es in Nürnberg und Fürth durchaus gegeben hätte. „Kurz gesagt: Ihm fehlte eine Institution, wie sie heute die Giordano-Bruno-Stiftung darstellt.“

In der Gegenwart sei die gbs umso nötiger, als wir in einer rasanten weltanschaulichen Umbruchsphase lebten, die humanistische Impulse verlange. „Seit 1990 verlieren die Kirchen bundesweit jedes Jahr eine halbe Million Mitglieder.“ Inzwischen werde nur noch die Hälfte der Neugeborenen getauft, während fast drei Viertel der Verstorbenen einer der beiden Großkirchen angehörten. Entsprechend wachse die Giordano-Bruno-Stiftung: Während die katholische Kirche täglich um 650 und die evangelische um 800 Mitglieder schrumpfe, gewinne die gbs jeden Kalendertag durchschnittlich fünf und übertreffe damit noch um Längen die am zweitstärksten wachsende säkulare Organisation in Deutschland, denn der bfg Augsburg nehme „nur“ alle vier Tage um ein Mitglied zu.

Anschließend zeichnete der Laudator Dr. Gerhard Czermak den außergewöhnlichen Lebenslauf Herbert Steffens in beeindruckender und packender Wieder nach.

Mit der Denkfabrik gbs unterstützt Herbert Steffen nicht nur die öffentliche Wirkung von Wissenschaftlern, die auf sich allein gestellt in der Versenkung verschwänden, sondern bündelt die Kompetenz all jener, die an einer neuen humanistischen Ethik arbeiten.

Und er blieb auch bei der Preisverleihung so bescheiden wie immer. Die Ehrung nehme er nur mit Bedenken an und widme sie der Giordano-Bruno-Stiftung. Sie freue ihn aber mehr als seinerzeit die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Er deutete an, die 2000 Euro Preisgeld seinem „Kind“, der Giordano-Bruno-Stiftung spenden zu wollen. Mit einem Sektempfang und angeregter persönlicher Unterhaltung klang der Abend aus.

(rp)

 


Laudatio auf Herbert Steffen

von Gerhard Czermak

 

Lieber Herbert,

ein Lob auf Dich anzustimmen, fällt nicht allzu schwer. Es öffentlich tun zu dürfen, ist mir eine Ehre.

Dass das Licht des Lobes und Schatten gerade bei einer Ehrung für eine geistige Haltung und ihre Unter­stützung eng beieinander liegen, hast Du ein­dringlich erfahren. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Nicht nur meine positive Ein­stellung zu Deiner Person beruht nicht lediglich auf Deinem säkular-humanistischen Denken und Handeln, sondern auf der wohl­tuenden Herz­lich­keit und Offen­heit, mit der Du Deinen Mit­menschen gegen­über­trittst, wenn sie Dich nicht gerade als Gegner oder gar Feind betrachten. Letzteres kann man sich aber nur mit Mühe vor­stellen, und es fällt automatisch auf den Betreffenden zurück.

Beim Versuch einer Würdigung muss ich die Zuhörer mit ein paar Fakten zum Werde­gang von Herbert Steffen vertraut machen. Seine 78 Jahre sieht man ihm nicht an. Geboren ist er in Masters­hausen, mitten im Hunsrück, zwischen Mosel und Rhein, und haupt­sächlich hier hat er sein Leben verbracht. Da kommt wohl auch sein fröhliches, rheinisches Temperament her. Er stammt aus einem streng katholischen Eltern­haus, und überhaupt war der Hunsrück sehr katholisch. Und so besuchte Herbert Steffen neun Jahre lang, seit er zwölf Jahre alt war, das Bischöfliche Internat in Gerol­stein, und sicher könnte er einiges berichten aus dieser Zeit in der klerikalen Adenauer-Ära. Er scheint das aber nicht öffentlich getan zu haben. Jedenfalls in den sechziger und siebziger Jahren muss, diversen Schüler­berichten zufolge, dort ein sehr hartes Regiment geführt worden sein. Herbert Steffen war sogar schon im Trierer Priester­seminar angemeldet, nahm aber – zum Glück – davon Abstand. Er hatte nämlich ein ausgeprägtes Sünden­bewusst­sein, das ihn jahre­lang plagte, und war sich sicher, die „Nachfolge Christi“ nicht entsprechend seinem hohen Selbst­anspruch erfüllen zu können: ganz oder gar nicht. Der Zölibat schreckte ihn ab. Zwar kannte er viele Priester, die heimlich eine Freundin hatten, aber diese Heuchelei war ihm zuwider.

Herbert Steffen begann daher in Köln ein Wirtschafts­studium und schloss sich einer katho­lischen Studenten­verbindung an. Als Diplom­kaufmann übernahm er 1969 die elterliche Möbel­fabrik in Masters­hausen und baute sie zu einem deutsch­land­weit bekannten Her­steller von Schlaf­raum­möbeln mit 2.000 Beschäf­tigten aus. Da war er noch kirchlich, auch finanziell, engagiert und aus seiner heutigen Sicht funda­menta­listisch mit wörtlichem Bibel­glauben. Durch Zufall fiel dann das 1972 erschienene Buch „Jesus Menschensohn" von Rudolf Augstein in seine Hände. Dass es Dir, Herbert, sehr zu denken gegeben hat, wie Du später erzählt hast, wundert mich nicht, selbst wenn die Erst­ausgabe nur halb so gut gewesen sein soll, wie die bedeutende Neu­ausgabe von 1999.

Soweit es der Betrieb zuließ, beschäftigte sich Herbert Steffen dann mit natur­wissen­schaftlicher Literatur, insbesondere der Evolutions­theorie, was seine Glaubens­zweifel verstärkte. Die Ent­scheidung, die Kirche auch tat­sächlich zu verlassen, fiel aber erst nach langen inneren Kämpfen, der Lektüre zahl­reicher kritischer Bücher und bezeichnender­weise auch erst nach dem Tode seines erz­katholischen Vaters. Dieser hatte ihm anlässlich der Betriebs­übergabe den Rat­schlag mitgegeben: „Stelle niemals einen Evangelischen ein!" Dass das erst recht für Agnostiker oder gar Atheisten galt, brauchte er nicht eigens zu erwähnen, zumal es solche Unwörter im Sprach­schatz eines katholischen Hunsrück­dorfes gar nicht gab.

Die Belegschaft war zufrieden mit ihrem neuen Chef, der schon 1973 die betriebliche Gewinn­beteiligung von 50 Prozent für die Mit­arbeiter einführte, über­durch­schnittliche Löhne zahlte und für gute Arbeits­bedingungen sorgte. Tat­kräftig, wie er war und ist, übernahm er für mehrere Jahre den Vorsitz im Verband der Holz- und Kunst­stoff­verarbeitenden Industrie Rheinland-Pfalz, war Mitglied in verschiedenen Aus­schüssen des Verbandes der Deutschen Möbel­industrie sowie im Messe­beirat der Köln­messe. Zudem war er von 1985 bis 1986 im Verwaltungs­rat der „Stiftung wissen­schaftliche Hoch­schule für Unter­nehmens­führung.“

Neben all dieser Tätigkeit also entwickelte sich der freie Geist des Herbert Steffen, wobei ihm das Bücher­lesen aller­dings nur während des Urlaubs möglich war. Da las er Buch um Buch und seine Zweifel wurden stets größer. „Allmählich“, so seine Worte, „ging mir auf, dass die Wurzeln unsres Glaubens fingiert sind.“ Am Ende des langen Wegs stand, nach dem Tod seines Vaters, der Kirchen­austritt. In der folgenden Silvester­predigt 1983 oder 1984 sprach der Pfarrer über Judas, den Verräter, der den Herrn für 30 Silber­linge verkauft habe. Er erklärte der verschreckten Gemeinde, der größte Arbeit­geber der Region sei aus der Kirche aus­ge­treten. Ein Atheist sei jetzt ver­antwort­lich für das Wohl und Wehe nahezu des ganzen Dorfes. Für die Mit­arbeiter der Firma war das ein Schock. Drei mutige Mit­arbeiter­innen fassten sich ein Herz, erbaten und bekamen einen Termin beim Chef. Das Folgende wirkt aus heutiger Sicht etwas surreal. Warum er ihnen das angetan habe, wollten sie von ihm wissen, und womit sie nun zu rechnen hätten. Denn man war weithin der Ansicht: Ein Mensch, der die Kirche ablehnt, hat auch keine Moral und keinen Anstand. Man hatte sogar damit gerechnet, dass die großzügige Gewinn­beteiligung beendet wird.

In Zusammen­hang mit der Heraus­gabe von Karlheinz Deschners 4. Band der „Kriminal­geschichte des Christen­tums“ im Jahr 1994, Deschner wurde damals 70 Jahre alt, machte Hermann Gieselbusch, Lektor des Rowohlt Verlags, ein größeres Interview mit Herbert Steffen, der seit den 1990er Jahren einer der wichtigen Förderer Deschners war. Darin erzählt Herbert Steffen auch über seinen Kirchen­austritt. Eine der katholischen Meinungen sei gewesen: „Du bist sogar Atheist. Da wirst Du ja jetzt ein richtiger Menschen­verächter, wirst über Leichen gehen!“ Nun, die bewährte harmonische Zusammen­arbeit im Betrieb blieb unver­ändert. So setzte sich all­mählich die Erkenntnis durch, dass Atheisten auch Menschen sind. Für manche deutsche Politiker scheint es noch heute eine fast ethische Leistung zu sein, das zähne­knirschend hin­zunehmen.

Für Herbert Steffen war der Kirchen­austritt eine große persön­liche Befreiung. „Ich bin eigent­lich erst Mensch geworden, als ich erkannt hatte, dass meine Konflikt­situation künstlich herbei­gezaubert worden war von der Kirche. Das hat mich plötzlich frei gemacht.“ Hierzu gabst Du, lieber Herbert, im Gieselbusch-Interview folgende Erläuterung: „Ich habe an mir selber erlebt, wie enorm mein Leben an Qualität gewonnen hat, seitdem ich diesen Seelen­ballast von Sünde, Schuld und Strafe über Bord geworfen habe. Ich habe die Freuden der Auf­klärung selber erlebt.“ Jeder, der den formalen Schritt zur Lösung vom Glauben nach intensiver Aus­einander­setzung mit ihm getan hat, kann das gut nach­empfinden. Er weiß, warum er seinen Schritt getan hat, und ist dabei wohl sicherer als viele Geistliche, die Probleme damit hätten, aufrichtig begründen zu sollen, warum sie noch in der Kirche sind.

Übrigens: Weder hat der vormalig bedeutende Kirchen­steuer­zahler Herbert Steffen seine 30 Silberlinge durch Verrat erlangt, noch hat er sie für sich behalten, sondern ist seitdem viel­fältig als Mäzen tätig geworden. 1994 erhielt er das Bundes­verdienst­kreuz am Bande. Seit dem Verkauf der Firma im Jahr 1995 half er auch als Unternehmens­berater in östlichen Bundes­ländern.