Auf dieser eindrucksvollen Vorgeschichte baut das folgende Leben Herbert Steffens schlüssig auf, und es führt zum eigentlichen Grund der heutigen Ehrung. Lieber Herbert, Du hast Dich auch künftig nicht einfach Deiner Freiheit in die Arme geworfen und hast einfach „privatisiert“, wozu ja alle Voraussetzungen gegeben waren. Auf Deinem wunderbaren Anwesen fanden gesellschafts- und kirchenkritische, aber auch naturwissenschaftliche Veranstaltungen statt. 2003 sprach bei einer solchen Veranstaltung Carsten Frerk, der 2002 sein Furore machendes Grundlagenwerk über „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland“ herausgebracht hatte. Durch ihn lernte Herbert Steffen den jungen Pädagogen und Philosophen Michael Schmidt-Salomon kennen, der lange an der Universität Trier tätig gewesen und Dozent an verschiedenen Institutionen war. Schwerpunkte seiner Interessen waren u. a. Anthropologie, praktische Ethik, Gesellschaftstheorie und Wissenschaftstheorie, und mit geschliffener Feder hatte er schon viele luzide religionskritische Artikel geschrieben. Diese Begegnung sollte rasch bedeutsam werden für die Entwicklung eines modernen, unabhängigen weltlichen deutschen Humanismus.
Die beiden Persönlichkeiten passten genau zueinander: beide energiegeladen, mit fröhlichem Temperament, menschenfreundlich, optimistisch gestimmt, Neuem gegenüber aufgeschlossen, standfest und kaum einzuschüchtern. Beide waren in derselben regional-klerikalen Kultur groß geworden, hatten zahlreiche Gemeinsamkeiten im Denken und die Vision, dem etwas trüben und abgestandenen, geistig leicht vergifteten und daher manches erstickenden großen Teich der wiedervereinigten neuen Bundesrepublik Deutschland eine biochemische Grundreinigung angedeihen zu lassen. Sie wollten ihm dauerhaft frisches Wasser zuführen und ihn kräftig belüften. Das war 2003 noch ein ungewisses Ziel, für dessen Verwirklichung aber die Zeit reif schien. Es muss zwischen beiden gleich gefunkt haben: einem von alten Lasten befreiten wohlhabenden Senior und einem vielseitigen jungen Wissenschaftler auf der Suche nach neuen Aufgaben. Bereits nach zwei Wochen einigten sich beide auf die Gründung einer Stiftung zur Förderung des Evolutionären Humanismus, ein Begriff, der von dem bedeutenden Evolutionsbiologen und UNESCO-Generaldirektor Julian Huxley geprägt worden war: Es war die geistige Geburt der „Giordano-Bruno-Stiftung“ (GBS), die bereits im April 2004 als gemeinnützige Stiftung staatlich genehmigt wurde.
Der auf Veranlassung der „heilig“ genannten Inquisition am 17.2.1600 auf dem Campo de‘ Fiori in Rom lebendig verbrannte Dominikaner Giordano Bruno hatte im wesentlichen ein pantheistisches, heliozentrisches und vor allem naturalistisches Weltbild, in dem das Universum unendlich war, und Brunos Werk enthielt auch Impulse zu einer modernen Religionskritik. Der Stiftung geht es auf der Basis einer stets fortzuentwickelnden Evolutionslehre um ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben der Menschen im Diesseits unabhängig von ihrer jeweiligen Weltanschauung, sowie die Entwicklung von Grundzügen einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik und ihre öffentliche Verbreitung. Das Denken in der Stiftung und um sie herum ist schlicht aufklärerisch, wobei Gefühle und Kreativität selbstverständlich dazugehören. Aber man soll sein Handeln auf echte Gründe stützen und nicht auf irgendwelche nicht begründbare phantasievolle Annahmen. Das ist der Kern der von Herbert Steffen errichteten Stiftung, der er, zusammen mit Vorstandssprecher Schmidt-Salomon, bis heute als Geschäftsführer tatkräftig vorsteht. Herbert Steffen trägt die Stiftung mit dem von ihm eingebrachten Vermögen und noch weit darüber hinaus, er ist gewissermaßen ihr Herz. Um Vieles kümmert er sich persönlich, pflegt die umfangreich gewordenen Kontakte und ist stets, wenn nicht in Aktionen direkt involviert, so doch bestens informiert.
Dass eine solche Stiftung Anklang finden würde, war klar. Niemand konnte aber vorhersehen, dass sie derart einschlagen und schnell so starke Wurzeln schlagen würde. Rasch gelang es, Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller und andere für den Stiftungsbeirat zu gewinnen. Ihre Zahl beträgt heute bereits 57, darunter etliche recht Prominente. Den Schwerpunkt bilden Professoren der Naturwissenschaft und Philosophie, aber andere Disziplinen sind ebenfalls vertreten, einschließlich Künstlern und Schriftstellern. Schon bald hatte die GBS den Ruf einer ebenso lebhaft begrüßten wie ideologisch angefeindeten „Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“.
Fast unmittelbar nach Genehmigung der gemeinnützigen Stiftung richtete diese im Mai 2004 einen großen Festakt zum 80. Geburtstag von Karlheinz Deschner aus. Die mittlerweile schon zahllosen von der Stiftung initiierten und unterstützten öffentlichkeitswirksamen Aktionen hatten einen fulminanten Anfang mit Gegenveranstaltungen zum katholischen Weltjugendtag 2005, wobei ein riesiger Dinosaurier, der „Papst-Dino“ des genialen Jaques Tilly, Wagenbauer des Düsseldorfer Karnevals, zur geringen Freude Kardinal Meisners medienwirksam durch die Kölner Innenstadt gefahren wurde. Die geistigen Grundlagen von Steffens‘ Stiftung sind detailliert zusammengefasst im erfolgreichen „Manifest des evolutionären Humanismus“, das Schmidt-Salomon im Stiftungsauftrag 2005 publiziert hat.
Ebenfalls schon 2005 wurde der Förderkreis gegründet, dem damals 200 und nach stetigem Wachstum derzeit bereits ca. 4.200 Personen angehören. Ihre freiwilligen Spenden tragen heute bereits erheblich zum Stiftungsetat in der Größenordnung von zwei Pfarrergehältern bei. Aus dem Förderkreis haben sich mittlerweile schon 38 regionale Gruppen einschließlich Österreich und der Schweiz mit je eigenen Veranstaltungen entwickelt. Ebenfalls 2005 ging das sehr professionelle, aber ehrenamtlich betriebene Internet-Portal der GBS-Gründung „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ (fowid) in Betrieb, das in unübertroffener graphischer Darstellung stark differenzierte statistische Daten zu Religion und Weltanschauung in Deutschland auf der Basis offizieller Statistiken, verbunden mit eigenen Korrekturen und Erläuterungen, bietet, ferner ein umfangreiches Archiv mit wissenschaftlichen Aufsätzen. 2006 ging, ebenfalls auf ehrenamtlicher Basis, natürlich wieder mit Unterstützung Herbert Steffens, das umfangreiche, aber kostenlos nutzbare Internet-Presseportal „Humanistischer Pressedienst – hpd“ an die Öffentlichkeit, in dem neben aktuellen Informationen aus Politik und Geistesleben und Buchbesprechungen seit Jahren auch verstärkt Informationen aus Österreich präsentiert werden, alles vernetzt mit der Tages- und Wochenpresse und internationalen Medien.
Aus den folgenden Jahren nur einige Stichpunkte: Religionsfreie Zone in München anlässlich des Papstbesuchs 2006 in Bayern, 2007 Vorstellung des neu gegründeten „Zentralrats der Ex-Muslime“ im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Es war weltweit die erste, nicht ungefährliche Kampagne von abgefallenen Muslimen, die in mehreren europäischen Ländern Nachahmer gefunden hat. Aufmerksamkeit fand die erstmalige Verleihung des Deschner-Preises 2007 in der Aula der Universität Frankfurt a. M. 2008 gab es die Irritationen um das liebevoll gestaltete Kinderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“, das Schmidt-Salomon zusammen mit dem Illustrator Helge Nyncke herausgebracht hatte. Der schließlich abgewehrte Antrag des Bundesfamilienministeriums, das Buch als jugendgefährdend einzustufen, kam mit seiner grotesken Begründung einem Rufmord gleich, trug jedoch erheblich zum großen Erfolg des Buches bei. Im Darwin-Jahr 2009 anlässlich des 200. Geburtstags von Charles Darwin nahm die Stiftung die Gelegenheit wahr, ihre naturalistische Weltsicht, auch mittels eines umfangreichen Web-Portals, zu präsentieren und einen Darwin-Festakt in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt durchzuführen. 2010 beschäftigte sich die Stiftung intensiv mit dem Schicksal der zahllosen missbrauchten und misshandelten Heim- und Internatskinder und führte eine Kampagne zur Ablösung der seit 1919 verfassungswidrig nicht abgelösten bzw. eingestellten Staatsleistungen an die großen Kirchen durch. Dazu erschien auch das an politische Entscheidungsträger und Journalisten versandte neue Grundlagenwerk des Stiftungsbeirats Carsten Frerk, das „Violettbuch Kirchenfinanzen“. 2010 konnte erreicht werden, dass auch Menschen, die wegen ihrer fehlenden Religiosität verfolgt wurden, Asylstatus erlangen konnten. Auch mit Gutachten, etwa gegenüber dem Deutschen Ethikrat, haben Mitglieder des Stiftungsbeirats Stellung bezogen. Recht erfolgreich ist die aktuelle bundesweite Kampagne „Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz“, GerDiA, an der die GBS wesentlich mitwirkt.
All dies und vieles andere, was ich hier nicht näher darlegen kann, insbesondere zahlreiche Medienauftritte des Vorstandssprechers und diverser Stiftungsbeiräte, wäre ohne das große Engagement von Herbert Steffen nicht möglich gewesen. Seine Frau Bibi Binot hat freilich einen beachtlichen Anteil daran. Dieser Tage hat ein Stiftungsbeirat gesagt, lieber Herbert, sie sei nicht nur Deine rechte, sondern auch Deine linke Hand. Und Du wusstest zu ergänzen: Sie ist auch mein Prellbock.
Zu guter Letzt: Die Stiftung hat sich als „Denkfabrik“ etabliert, auch wenn das zumindest in Bayern der breiten Öffentlichkeit noch nicht so recht bekannt gemacht wurde. Das wirft natürlich Fragen auf. Dass diese Denkfabrik, aufbauend auf notwendiger Kritik, wichtige positive Beiträge für die Qualität und Freiheitlichkeit unserer Gesamtgesellschaft zu leisten vermag, wird hoffentlich eines Tages auch ein größerer Teil ihrer heutigen Gegner begreifen.
Lieber Herbert, es ist mir eine große Ehre und Freude, Dir (nach Karlheinz Deschner, Franz Buggle, Norbert Hoerster) zur Verleihung des Ludwig-Feuerbach-Preises des Bundes für Geistesfreiheit Augsburg [für Verdienste um den evolutionären Humanismus] herzlich gratulieren zu dürfen.