Eine bessere Schule für alle!

BERLIN. (hpd) "Eine bessere Schule für alle" ist das Ziel. Magda von Garrel hat dazu ein Buch vorgelegt und die Wege beschrieben. "Instandsetzungspädagogik" ist der Titel und mit ihm schimmert durch: Defektes ist in Ordnung zu bringen. Als Sonderpädagogin sowie Diplom-Politologin war sie Integrationslehrerin an Grund-, Haupt-, Sonder- und Berufsschulen.

Das für die "benachteiligten" SchülerInnen formulierte Ziel lautet: Sie müssen als bislang "Abgehängte" dieser Gesellschaft in den Stand von "Angehängten" versetzt werden, was die spezielle Bedeutung dieses in der pädagogischen Literatur neu eingeführten Begriffes "Instandsetzungspädagogik" ausmacht.

Neu sind aber auch andere Begriffe wie z.B. "pädagogischer Taylorismus", mit dem ein Zustand charakterisiert wird, bei dem die von Reformen Betroffenen nicht in deren Entwicklung einbezogen werden und sich "Verordnetes" negativ auf die spätere Unterstützungsbereitschaft auswirkt.

Nach von Garrels Überzeugung ist das im deutschen Schulsystem noch immer vorherrschende Demokratie-Defizit dafür verantwortlich, dass Fehlentwicklungen nicht schon im Vorfeld erkannt bzw. verhindert werden. Diesen Gedanken hat sie erstmalig in ihrer 2008 verfassten Denkschrift Ist mir doch egal! Praxisrelevante Fehler deutscher Bildungsförderung zur Sprache gebracht

Ein weiterer Widerhaken, mit dem die Autorin das Spannungsfeld der deutschen Bildungs- und Schulpolitik spickt, ergibt sich in ihrer  Aussage, dass unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen die Schulen mehrheitlich noch nicht einmal "integrationsgeeignet" sind.

Fazit: Grundlegende Veränderungen sind nötig, aber auch möglich. Gestützt auf eigene Erfahrungen schlägt von Garrel das Beschreiten neuartiger Wege vor wie beispielsweise

  • eine wesentlich andere Wahrnehmung der "schwierigen" SchülerInnen
  • mehr "Emotionen" im Unterricht
  • Entwurf auch solcher Perspektiven, die über die Schulzeit hinausgehen, d.h. die Vermittlung von "Lebensführungskompetenzen", die - auch ohne Erwerbsarbeit - ein Leben in Würde ermöglichen.

Reflexionen der Autorin in Form von Fragen und Antworten

hpd: Wie sieht das Konzept der Instandsetzungspädagogik aus?

Magda von Garrel: Rein äußerlich basiert das Konzept auf vier Säulen, die ich als "Beziehungspädagogik", die Erfüllung seelischer Bedürfnisse, "Gemeinschaftspädagogik", der Erwerb sozialer Kompetenzen, "Lernzugangspädagogik", das ist die Verbesserung des Wissensstandes
und "Beratungspädagogik", dem Erlernen lebenspraktischer Inhalte, aber auch die Heranführung an die Kultur, bezeichnet habe.

Ausgangspunkt aller Bemühungen ist die Vorstellung, dass viele Kinder gar nicht "lernschwach", sondern "lernentwöhnt" sind: Als Folge ungünstiger bzw. entwicklungshemmender Erfahrungen haben diese Kinder das Lernen "verlernt", weshalb bei ihnen die sog. "Lernschwäche" nur ein Symptom und keine Ursache ist. Die Ursache liegt tiefer und muss deshalb auch dort  und das vor allem im Rahmen der "Beziehungspädagogik" erst einmal "angegangen" werden, bevor an Fördermaßnahmen im klassischen Sinne überhaupt gedacht werden kann.

Diese von mir "Lernen wollen lernen" genannte Phase erfordert aber nicht nur den Aufbau einer stabilen Beziehung, sondern auch ganz andere Unterrichtsinhalte und Vorgehensweisen. Damit meine ich sowohl die Orientierung an der realen Lebenswelt der SchülerInnen als auch die Einbeziehung der persönlichen Merkmale und Fähigkeiten der Schüler, die in unserem Schulsystem bislang viel zu wenig beachtet worden sind.

Diese Missachtung hängt natürlich mit unserem einseitigen kognitiven Leistungsverständnis zusammen, das es - auch im Interesse der anderen SchülerInnen - zu überwinden gilt. Hinzu kommt die in Deutschland übliche Trennung von Unterricht und Erziehung, die eine Übernahme "nachholender" Erziehungs¬aufgaben in der Schule gar nicht erst zulässt.

Ist es so, dass vor allem die Eltern für die Erziehung verantwortlich sind?

Grundsätzlich ja, aber was soll man machen, wenn ein Kind Eltern hat, die dieser Aufgabe nicht gewachsen sind? Da kann man doch nicht sagen "Pech gehabt!" und zur Tagesordnung übergehen. Das kommt vor allem dann nicht in Frage, wenn man Integration/Inklusion wirklich will.

Auf der anderen Seite gibt es Eltern, die - wenn auch in guter Absicht - einen solchen "Überehrgeiz" entwickelt haben, dass sie den in der Schule ohnehin bestehenden Kontroll- und Notendruck durch zusätzliche eigene Anforderungen noch weiter verschärfen.

Dadurch wird verstärkt, was ich am derzeitigen Schulsystem kritisiere: Nicht zuletzt durch den zunehmenden Einfluss der Privatwirtschaft auf das Bildungswesen sind die Schulen zu einem Produktionsbetrieb für "marktreife" SchülerInnen verkommen, die schon früh gelernt haben, dass es nicht um Bildung im Sinne von "Menschenbildung", sondern um die Erlangung von Startvorteilen geht. Allen Integrations-/Inklusionsbekenntnissen zum Trotz hat sich die Schule immer mehr zu einem Ausleseinstrument entwickelt, das z.B. das Phänomen des "Bulimie-Lernens" hervorgebracht hat, d.h. einer schnellen Aneignung von Lerninhalten für einen ganz bestimmten Zweck, die sofort nach Erfüllung dieses Zweckes wieder vergessen werden.

Welche Resonanz haben diese Thesen bislang hervorgerufen?

Angesichts der Schärfe meiner Kritik ist es wohl nicht erstaunlich, dass die bisherigen Reaktionen auf mein Buch zweigeteilt sind. Positiv haben sich Lehrer und Professoren also Erziehungswissenschaftler geäußert. Besonders ermutigend fand ich die Stellungnahmen von Prof. Georg Feuser, Erziehungswissenschaftler an der Universität Bremen und Prof. Gerald Hüther, die beide bestätigt haben, wie wichtig Emotionen für das Aufschließen von Lernprozessen sind.

Auf der anderen Seite musste ich aber auch erleben, dass sich viele der Angeschriebenen in ein eisernes Schweigen hüllen. Dazu gehören Bildungspolitiker, Elternvertreter, Parteiangehörige, aber auch Funktionsträger der GEW.

Ein Extra-Wort zu den Privatschulen: Auch aus dieser Ecke kommt Zustimmung, wenn sie mit dem ausdrücklichen Wunsch gegründet worden sind, die SchülerInnen "kindgemäßer" unterrichten zu wollen. Das finde ich einerseits sehr schön, habe aber andererseits schon immer die Meinung vertreten, dass mit der Gründung von Privatschulen die besten LehrerInnen dem öffentlichen Schulwesen verloren gehen. Und mein Ansatz ist nun einmal der, dass ich auch in diesem Sinne eine bessere Schule für alle will!

Danke für das Gespräch.
Die Fragen stellte Evelin Frerk
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Magda von Garrel: Instandsetzungspädagogik. Integrationsansätze für lernentwöhnte Kinder. Vandenhoeck & Ruprecht, 2012, ISBN 978-3-525-70144-7, EUR 19,99.