WELTMEERE. (hpd) Aus aktuellem Anlass berichtet der Meeresforscher und hpd-Präsident Helmut Debelius über Artenschutz und Tauch-Tourismus. Als Hintergrundinformationen steuert er seine eigenen Erlebnisse und wissenschaftliche Erkenntnisse zum größten Fisch der Weltmeere bei, dem Walhai.
Ein befreundeter, naturbewußter Tauchreiseveranstalter berichtet mir, dass er Kritik aus der deutschen Tauchszene bekommen habe, weil er ein unglaubliches Ereignis im fernen Ost-Indonesien in sein Reiseprogramm aufgenommen hat: In einer weiten Bucht gebe es dort eine große Anzahl von Walhaien, die dort auch stationär verweilten, ganz im Gegensatz zu dem migratorischen Verhalten dieses größten Fisches der Erde! Die Riesenfische werden seit einiger Zeit von örtlichen Fischern angefüttert und nun schickt er seine Tauchkunden mit einem Schiff dorthin, um ihnen ein garantiertes Treffen mit Walhaien ermöglichen. Hardliner kritisieren ihn jetzt, weil „Fütterung grundsätzlich ein Eingriff in die Natur der Tiere sei und ihnen schade“. Was ich denn dazu meine?
Ich neige dazu, grundsätzliche Artenschutz-Statements zu differenzieren. So weiß ich, dass die Tauchtouristen die dortigen Fischer finanziell einbinden. Das ermöglicht neben dem vorsichtigen Verhalten der Taucher (nicht anfassen, nur fotografieren) in der Centrawasi-Bay, seit einem Jahr Walhai-Experten unter besten Bedingungen wissenschaftliche Studien über Senderanbringung an den Tieren zu betreiben, um diese seltenen, mysteriösen Einzelgänger auf ihren Wanderungen durch tropischen Ozeane besser zu folgen zu können. Andererseits wird der Populationdruck auf die Meeresbewohner (z.B. Haifang wegen ihrer Flossen für China) im überbevölkerten Indonesien durch direkte finanzielle Hilfen hier an die Menschen erheblich gemindert. Somit habe ich dem Vorhaben des Reiseveranstalters zugestimmt.
Helmut Debelius
Als Hintergund zu dieser aktuellen Meldung ein umfassender, faktenreicher Artikel des Meeresforschers über den größten Fisch der Erde:
Der Walhai ist einfach der Längste. Und dennoch weiß man immer noch recht wenig über diesen Knorpelfisch. Er lässt sich als Hochseebewohner kaum dort sehen, wo Taucher ab- und auftauchen. In den letzten Jahren hat man viel über sein Verhalten und seine Anatomie dazugelernt. So ist es an der Zeit, auch die neuesten Erkenntnisse über diesen Riesen mit nachgewiesener Körperlänge von 12 m (laut Taucher- und Fischerlatein auch mal 15m und mehr) und 11.000 kg Gewicht zusammenzustellen – dazu kommen auch meine eigenen Begegnungen mit dem längsten Fisch der Erde nicht zu kurz.
Erste Begegnung
Für einen, der auszieht, das Rote Meer kennenzulernen, es ist wohl unüblich, damit im Süden anzufangen. Denn der Sinai liegt für uns weitaus näher als die Inseln der Sieben Brüder. Aber als ich 1976 davon erfuhr, dass erstmals die Fahrt mit einem Tauchschiff von Djibouti aus ins südliche Rote Meer angeboten wurde, war ich bei der ersten Tour mit dabei. Nach einem Eingewöhnungstauchgang im Golf von Tadjoura steuerten wir zur Bab-el-Mandeb, dem „Tor der Tränen“, das als Ausgang des Roten Meers zum Indischen Ozean bekannt ist.
Unser Schiffskoch sitzt auf dem Mast und wundert sich über eine schwarze Masse ein paar hundert Meter vor dem Bug. Die Maschinen werden gedrosselt und wir Taucher stehen neugierig an der Reeling. Dicht unter der Oberfläche schwimmen tausende von pelagischen Krebsen und wir trauen unseren Augen nicht, als plötzlich ein riesiger, weißgefleckter Fisch von etwa 8 m Länge mit mächtiger Schwanzflosse auftaucht und durch diese Masse an kleinen Krebsen schwimmt. Es gibt einige weitaus erfahrenere Taucher an Bord als mich, aber keinem war dieses Tier jemals begegnet oder bekannt.
Inzwischen ist noch ein zweiter Riesenfisch von etwa 6 m Länge dazugekommen, und beide pflügen neben unserem Schiff durch das Krebsgewimmel. Keiner von uns Tauchern wagt sich ins Wasser. Meine Welt waren damals die Aquarienfische. Dennoch erinnere ich mich sofort an ein UW-Foto vom Walhai und daran, dass er als Planktonfresser ungefährlich ist, ergreife rasch mein ABC (Flossen, Brille, Schnorchel) und springe ins Wasser. Fasziniert erkenne ich die beiden Riesen nun viel besser: Mit weit geöffnetem Maul bedienen sie sich der Krebse. Das Misstrauen an Bord vor diesen Ungeheuern weicht, als man nach 10 Minuten später erkennt, dass mein zarter Germanenkörper immer noch nicht von den Haien angenagt ist. So erleben wir gemeinsam schnorchelnderweise unsere erste Begegnung mit Walhaien: Fast eine halbe Stunde lang schwimmen wir mit den freundlichen Tieren zusammen. Mein Übermut wird schnell beendet, als ich mich an eine Schwanzflosse hänge. Dem Walhai scheint das jedoch nicht zu gefallen und er schleudert mich mit Schwung weg. Vor Schreck verschlucke ich mich heftig. Aber das ist schnell vergessen, und völlig aufgedreht klettern wir zurück an Bord. Wie selten diese sicherlich eindrucksvollste Szene der gesamten Reise war, begreife ich erst später, denn es dauert weitere 18 Jahre, bis ich dem nächsten Walhai unter Wasser begegne.
Walhai-Historie
Der erste der Wissenschaft bekannte Walhai wurde 1828 am Kap der Guten Hoffnung gefangen. Dieser südlichste Punkt seiner Verbreitung wird bedingt durch die warme Mozambique-Strömung entlang der Ostküste Afrikas. Damals wurde der kleine, nur 4,6 m lange Fisch mit einer Harpune erlegt. Andrew Smith, ein englischer Arzt in Kapstadt, schrieb, der Walhai sei furchtlos neben dem Boot geschwommen und erst als die Harpune ihn getroffen habe, habe er den Kurs geändert und die Geschwindigkeit erhöht. Das getötete Tier wurde konserviert, eine Beschreibung unter dem Namen Rhiniodon (= Raspelzahn) typus noch 1828 durch Smith im südafrikanischen Zoological Journal publiziert, und dann zum Musée National d’Histoire Naturelle in Paris geschickt, wo es heute noch (!) ausgestellt ist. Erst 1865 beschreibt A. Dumeril den in Paris befindlichen Walhai im Detail unter dem Namen Rhinodon typicus und spricht von dem einzigen überhaupt bekannten Haifisch dieser Gattung. Heute hat man sich auf den wissenschaftlichen Namen Rhincodon typus geeinigt. Noch im selben Jahr wurde im Golf von Kalifornien ein anderer Walhai gefangen und 1884 ein weiterer vor der Pazifikküste Panamas.
Der bisher längste Walhai wurde 1919 im Golf von Siam gefangen. Er hatte sich im Flachwasser in Krebsreusen verfangen und wurde mit Gewehrschüssen erlegt. Das Tier war so groß, dass die Fischer es nicht im Ganzen an Land schaffen konnten. Eine Messung geschah in siamesischen Einheiten, wodurch der Walhai umgerechnet auf eine Länge von 14 – 15 m kam. Genaue Angaben aber fehlen. Exakt gemessen wurde erstmals 1923 ein Tier, das vor den Florida Keys im Süden der USA harpuniert worden war. Es war 9,52 m lang und der größte Umfang bei den Brustflossen betrug 7,1 m. Die Schwanzflosse war 3,5 m hoch. Der längste Walhai, der genau vermessen wurde, ging 1983 einem Fischer an der indischen Küste vor Bombay ins Netz: Das Männchen maß exakt 12,18 m und wog 11 Tonnen. Eine Zählung aller um den Globus registrierten Walhaibegegnungen von 1828 bis 1987 zeigt, wie selten der größte Fisch der Erde ist: Eine Biologin zählte Begegnungen mit nur 320 Tieren – magere zwei pro Jahr.
Film- und Fotodokumente
Es ist bemerkenswert, dass die ersten UW-Filmszenen von einem Walhai bereits 1926 gedreht wurden. Mack Sennett, ein amerikanischer Filmproduzent, nutzte während einer Angeltour vor Capo San Lucas am Ende der Baja California die Gelegenheit, den seltenen Riesen nah an der Wasseroberfläche zu filmen. Eine Kopie davon gibt es noch im American Museum of Natural History.
Erst richtig bekannt wurde der Walhai durch die SW-Filme von Hans Hass in den 1950er Jahren. Er filmte ihn erstmals im Roten Meer, als er auf der Suche nach Mantarochen war. Viele Menschen nahmen auch von der Existenz des Walhais durch Thor Heyerdahls Kon-Tiki-Expedition Kenntnis. Es klingt heute erheiternd, was der Forscher 1950 in seinem Buch schreibt: „ ..das war das größte und häßlichste Gesicht, das je einer von uns im Leben gesehen hatte. Es war der Kopf eines wahren Seemonsters, so groß und so schrecklich, wäre ‘the Old Man of the Sea’ selbst erschienen, hätte er keinen größeren Eindruck auf uns machen können. Der Fisch trug einen breiten, flachen Kopf wie ein Frosch, mit kleinen Augen an jeder Seite. Das krötenartige Maul war etwa 1,5 m breit und an seinen Enden hingen Fransen herunter.“ Beeindruckend.
Vielleicht gibt es kaum ein besseres Zeugnis für die Seltenheit des Walhais durch die Tatsache, dass Cousteau in den ersten 20 Calypso-Jahren auch nur zwei Begegnungen mit ihm hatte, wobei er auf die erste bis zum Jahr 1967 warten musste. Und niemand kann behaupten, dass sein Schiff nicht dauernd unterwegs war.
Seit den 1970er Jahren machten dann viele Walhai-Geschichten die Runde. Hier eine davon: 1976 schwamm ein weiblicher Walhai in eine Lagune der Canton Insel im zentralen Pazifik und fand nicht mehr heraus. Er schwamm dort wie im Aquarium und die Anwohner versuchten zunächst, der Walhai-Dame einen Kanalausgang zu zeigen. Als das nicht gelang, fütterten sie das Tier mit Krebsen, was ihm offensichtlich gefiel. Immer wenn das Futterboot herannahte, schwamm der Hai hinzu, legte das offene Maul wie ein Haustier auf den Bootsrand und ließ sich die Krebse einschaufeln. Der jugendliche Walhai von 5 m Länge wurde 14 Monate lang in der Canton-Lagune gefüttert, bis er über Nacht offensichtlich einen Ausgang gefunden hatte und für immer verschwand.
Fast wäre ich Augenzeuge eines anderen Spektakels geworden: Im November 1994 sieht ein Seychellen-Hubschrauberpilot, selbst Taucher, direkt vor Mahe ganz in der Nähe seines Tauchcenters völlig überraschend gleich mehrere Walhaie von oben. Über Funk informiert er die Tauchlehrer, unter denen sich auch die Amateurfilmer Adrian und Graham Tyte befinden. Was sie dann filmen, ist geradezu atemberaubend: Man sieht tatsächlich vier Walhaie in einem Bild, wie sie zusammen Nahrung aufnehmen. So etwas habe ich noch nie in so genannten Profi-Filmen gesehen, und so werden die überaus ästhetischen Aufnahmen eine Woche später von mir und anderen Juroren anläßlich des Seychellen-SUBIOS-Festivals prämiert.
Biologie des Riesen
Der Walhai (Rhincodon typus) ist ein Hai mit typisch gezähnter Haut, fünf Kiemenöffnungen an jeder Seite und einer vertikalen Schwanzflosse, die sich seitlich bewegt. Er ist das größte Mitglied der Haigruppe und somit auch das größte kaltblütige Tier der Erde. Denn Wale wie etwa der Blauwal, sind warmblütige Säugetiere, atmen mit Lungen und haben eine horizontale Schwanzflosse, die sich auf und ab bewegt. Haie werden nach ihren anatomischen Merkmalen, etwa die Abwesenheit einer Analflosse oder die Anzahl der Kiemenschlitze, in acht Ordnungen unterteilt. Der Walhai gehört in die Ordnung Orectolobiformes, also der Ammenhai-Artigen. Alle Arten dieser Ordnung tragen eine ungewöhnlich lange Schwanzflosse, sind aber wie Teppich- und Ammenhai eher Bodenbewohner. Darin unterscheidet sich der Walhai, denn er ist als freischwimmender Hai ein Bewohner der Hochsee. Im Gegensatz zu anderen Haien klafft sein breites Maul nicht an der Unterseite, sondern in der Mitte des Kopfendes. Die Geruchsöffnungen liegen direkt über der Oberlippe und eine kleine Bartel darin erinnert an die Verwandtschaft mit den Ammenhaien.
Wie funktionieren die Augen? Sie sind recht winzig im Vergleich zum riesigen Körper und werden wie bei allen Haien nur im Nahbereich eingesetzt. Der stark dorsoventral abgeplattete Kopf, in Verbindung mit den wulstigen Seitenkanten und deren Ausschnitt für das Auge, führt zu einer größeren Augenhöhlung als die Größe des Augapfels selbst. Damit kann dieser erheblich stärker in alle Richtungen bewegt werden, als wir das von Haien kennen. Zum Schutz kann er das Auge wegdrehen: Diese Beobachtung wurde erst kürzlich dokumentiert. Nickhäute hingegen zum Schutz des Auges – wie bei den räuberischen Haien bekannt – fehlen dem Walhai.
Beim Filtrieren schwimmt er geradlinig ohne das sonst für Haie typische Seitwärtsschwenken des Kopfes, das der sensorischen und optischen Orientierung dient. Der Walhai muss seine Beute nicht sensorisch orten, um sie zu attackieren, sondern sammelt sie einfach ein, wenn er nahe der Oberfläche durch eine dichte Planktonschicht schwimmt. Die Augen dienen aber zur Registrierung der Planktondichte und größerer Objekte und lassen das Tier aktiv auf beispielsweise einen Anchovie-Schwarm zuschwimmen, sobald er ihn erkannt hat. Das unterscheidet ihn vom scheinbar emotionslos dahinfilternden Riesenhai (Cetorhinus maximus).
Direkt hinter den Augen befindet sich ein rundes Loch, das man Spirakel oder Spritzloch nennt. Einige Haie und viele Rochen tragen es, wodurch auch die gemeinsame Herkunft erkennbar ist. Bei bodenlebenden Arten wird es zum Atmen benutzt, wie etwa bei Teppichhaien, aber beim Walhai hat es keine Funktion mehr. Gelegentlich kann man beobachten, wie ein mitreisender Schiffshalter frech aus dem Spirakel herausschaut. Hinter dem Spritzloch befinden sich auf beiden Seiten des Kopfes je fünf Kiemenspalten. Ihre enorme Größe deutet auf deren Nutzung als Filter hin.
Wie funktioniert die Nahrungsaufnahme bei Walhaien? Im Gegensatz zu allen Haien klafft ihr Maul in der Mitte des Kopfendes. Stößt ein Walhai auf Planktonbeute (Larven von Krebsen, Quallen, Tintenfischen und Knochenfischen sowie Jungfische), sperrt er sein Maul garagentorartig auf, wartet, bis es sich gefüllt hat, und klappt es wieder zu. Dabei presst er das Wasser durch die Kiemenschlitze wieder heraus. Alles Freßbare bleibt in den Knorpelsieben der Kiemen hängen und wird geschluckt. Manchmal hat man auch beobachtet, wie ein Walhai gezielt Zooplankton, wie z. B. Schwärme des tropischen Krillkrebses (Pseudeuphasia latifrons) einsaugt. Zähne braucht der Riese dabei nicht, dennoch ist jeder Kiefer mit über 3000 winzigen Beißerchen bestückt. Sie sind etwa 2 mm groß und in elf bis zwölf Reihen auf beiden Kiefern angeordnet. Beim Anblick hat man den Eindruck, dass es sich um eine übergroße Raspel handelt (!).
Learning by doing: In der Cendrawasih-Bucht hat ein junger Walhai erkannt, wie er recht einfach an Sardinenfutter kommt (!).
Anatomische Merkmale
Weitere typische Merkmale stellen den Walhai in eine eigene Familie: Drei kräftige Rückenkämme ziehen sich auf beiden Seiten des gesamtes Fischkörpers nach hinten und sein Oberkörper ist mit weißen Punkten und Streifen bedeckt. Man mag sich wundern, dass der auf den ersten Blick so anders aussehende Walhai zu derselben Ordnung wie die beiden bodenlebenden Leoparden- und Ammenhaie gehört. Aber der Erstgenannte besitzt ebenfalls ein Spritzloch, ähnliche Kämme auf seinem Körper und ein Fleckenmuster, allerdings schwarz auf gelbem Grund. Letzterer hat dieselben Nasenhöhlen mit Bartel und seine Eikapseln sehen denen des Walhais sehr ähnlich.
Die inneren Organe des Walhais wurden bislang erst selten von Fischkundlern untersucht, denn zumeist war ein gefangener Walhai bereits stark verwest, bevor er der Wissenschaft zur Verfügung gestellt wurde. Man weiß aber, dass die Kehle des Walhais klein und nicht in der Lage ist, größere Stücke zu schlucken, die locker in sein Maul passen würden. Die Leber eines Walhais ist sehr groß: Bei dem 12 m Hai von Bombay wog sie über 1 Tonne! Das sind 9% seines Körpergewichts. Man schreibt den Extrakten seiner Leber eine Anti-Tumor-Wirkung zu.
Die Haut auf dem Rücken der Walhaie ist dicker und zäher als die irgendeines anderen Tieres weltweit! Die Außenhaut besteht aus nach hinten gerichteten, sich überlappenden Zähnchen, die 0,5 mm breit und 0,75 mm lang sind. Das feste Gewebe darunter kann bis zu 14 cm dick sein. Die Haut am Bauch und der Unterseite des Walhais ist wesentlich weicher und nur halb so dick. Es wurde beobachtet, dass ein Walhai, der sich von mehreren Tauchern gestört oder angegriffen fühlte, diesen abrupt den „gepanzerten“ Rücken zukehrte. Allerdings ist auch dokumentiert, dass ein Walhaiweibchen, das von einem Taucher an der Unterseite des Halses und am Bauch gekrault wurde, bewegungslos innehielt und dies offensichtlich fast eine halbe Stunde lang genoss. Die Erkenntnis: Kleiner Mensch und großes Tier reagieren auf Streicheleinheiten ganz ähnlich (!).
Haien wird eine große eigene Heilkraft von Wunden nachgesagt. Das gilt auch für den größten aller Haie, wie der Walhaiforscher Geoff Taylor an einem Tier am Ningaloo-Riff vor Westaustralien nachwies: 1986 filmte er zwei klaffende Wunden an der Körperseite und offensichtliche Haibisse an der linken Brustflosse eines Walhais. Er notierte sich auch typische Narben und seitliche Markierungen an dem verwundeten Tier. Als er denselben Walhai 1993 wieder dort vorfand, waren alle Wunden ohne Narben verheilt.
Neben dem eingeschränkten Seh- und Riechvermögen nutzt ein Walhai sicherlich seinen sechsten Sinn: Wie andere Haie auch besitzt er eine Laterallinie von empfindlichen Poren, die als Bewegungssensoren dienen. Sie beginnt an der Spitze der oberen Schwanzflosse und wandert in der Vertiefung neben dem dritten Kamm zum Kopf. Vor seinen Kiemen sind die Poren noch deutlicher zu erkennen, auch bekannt als die Lorenzinischen Ampullen, ein elektromagnetisches Sensorensystem.
Fortpflanzung
Lange Zeit gab es Irritationen unter den Wissenschaftlern darüber, wie sich Walhaie vermehren. Der Fischer Odell Freeze hatte 1953 im Golf von Mexico eine große Eikapsel im Netz und fühlte, dass sich darin etwas bewegte. Er öffnete die Kapsel mit seinem Messer und fand einen recht lebendiges Walhaibaby. Diese Mitteilung ließ Biologen annehmen, der Walhai sei ovipar, d.h. Eikapseln werden am Meeresboden abgelegt, aus denen die Jungen schlüpfen. Ganz so, wie es auch der Leopardenhai und die Katzenhaie tun. Aber zuvor und nie wieder danach hat man das Ei eines Walhais im Meer gefunden! Katzenhai-Eikapseln werden dagegen häufig angeschwemmt.
Inzwischen vermutet man, dass es sich bei der Walhaikapsel aus dem Golf von Mexico um eine Fehlgeburt gehandelt hat. Denn bei den ovo-viviparen Walhaien schlüpfen die Jungen bereits im Mutterlaib aus ihren Eikapseln und werden lebend mit einer Länge von rund 45 cm geboren. Dies wurde inzwischen mehrfach bei trächtigen Walhaiweibchen nachgewiesen. Anders als Knochenfische, die enorme Mengen an Eiern produzieren, zeugen Knorpelfische nur wenige Nachkommen.
Jugendliche Walhaie sind rund um den Erdball gefangen worden, aber nur kleine, die bis zu 1 m lang waren, sowie größere ab 3 m Körperlänge. Man rätselt immer noch, wo sich denn die Tiere aufhalten, die zwischen 1 m und 3 m lang sind. Im Gegensatz zu den Alttieren schwimmen die jungen Walhaie in Gruppen, wie verärgerte Fischer im Golf von Kalifornien feststellten: Mit offenen Mäulern rammten rund zehn kleine Walhaie, die oberflächennah in dichten Planktonwolken schwammen, vor lauter Fresssucht deren Fischerboote. Auch Prügel mit Rudern stoppte den Heißhunger der etwa 3 m langen Jungwalhaie nicht.
Die Paarung ist nur bei wenigen Haiarten in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet worden, allerdings nicht beim Walhai. Dennoch gilt als sicher, dass sie sich genauso paaren wie die anderen Knorpelfische. Wie alle Haie besitzt der männliche Walhai ein Paar Klasper, das sind zylindrische Organe, die aus modifizierten Bauchflossen gebildet wurden. Während der Kopulation (vermutlich Bauch an Bauch) wird ein Klasper in die weibliche Geschlechtsöffnung (= Kloake) eingeführt. Verbunden mit den Klaspern sind zwei muskulöse Säcke, die unter der Magenhaut nach vorne verlaufen. Vor der Kopulation werden sie mit Meerwasser gefüllt. Während des Geschlechtsakts wird dieses Wasser ausgepresst und schwemmt das Sperma in den weiblichen Eileiter. Bei einem getöteten weiblichen Walhai wurden einmal 16 befruchtete Eikapseln gezählt.
Über die Lebenserwartung des Walhais ist wenig bekannt, denn es wird ja erst seit rund zwanzig Jahren intensiv geforscht. Man vermutet Analogien zum Zyklus bereits erforschter Haiarten: Beim Hundshai dauert es etwa ein Fünftel seiner Lebensspanne, bis er geschlechtsreif wird. Das ist mit zwanzig Jahren, und man hat auch schon hundertjährige Hundshaie nachgewiesen. Vom Walhai weiß man, dass er erst mit dreißig Jahren und einer Länge von etwa 8 m geschlechtsreif wird. Somit kann man durchaus behaupten, dass der größte Fisch auch eines der am längsten lebenden Tiere auf unserer Erde ist ..., wenn man ihn denn lässt.
Taucher vom AURORA-Taucherschiff interviewen einen Fischer und zeigen dann (ab 02:57) Filme mehrerer Walhaie unterhalb des Fischer-Pontons. Unten im Rahmen rechts ist der Vollbildmodus anzuklicken.
Migration und Nahrungssuche
Walhaie sind in allen Ozeanen gefunden worden, sie dringen aber nicht ins Mittelmeer ein. Bevorzugt werden warme tropische und subtropische Gewässer mit Temperaturen zwischen 21 und 26 °C, die zwischen den Wendekreisen des Krebses und des Steinbocks liegen. Allerdings driften Walhaie mit den warmen Meeresströmungen auch hin und wieder in Richtung des 38. Breitengrads, etwa an die Küsten Südafrikas und Australiens (Victoria) in der südlichen Hemisphäre sowie ins Rote Meer (Golf von Aqaba), Japan und dank des Golfstroms an die Ostküste der USA auf der nördlichen Erdhalbkugel.
Rhincodon typus lebt im Epipelagial bis zu 1000 m Tiefe, findet aber die meiste Planktonnahrung im 20-m-Bereich. Es ist nicht bekannt, welche Entfernungen Walhaie auf ihren Wanderungen zurücklegen. Heute nimmt man aber nicht mehr an, dass sie etwa so lange Wege wie vom Indischen Ozean um das Kap Horn herum in the Karibik zurücklegen. Vielmehr dürften ihre Wanderungen futterbezogen sein und im jährlichen Rhythmus großräumig begrenzt dort stattfinden und sich wiederholen, wo nahrungsreiches Tiefenwasser nach oben steigt oder das Massenablaichen von Korallen die Nahrungskette in Bewegung setzt, so wie beispielsweise am Ningaloo Riff an der Westküste Australiens.
Viele neue Erkenntnisse verdanken wir dem Walhaiforscher Geoff Taylor, ein praktischer Arzt aus Exmouth, der über Jahre am Ningaloo Riff geforscht hat. Während einer Westaustralien-Forschungsreise besuchte ich ihn dort 1989. Seitdem informiert er mich mit neuen Erkenntnissen, die er gefunden hat. Geoff fielen als begeistertem Taucher in den 1980er Jahren die Zusammenhänge zwischen dem Ablaichen der Korallen im März und dem dann folgenden vermehrten Auftreten von Walhaien auf. Das Meer ist nach den Vollmonden im dortigen Herbst bald von riesigen rosa und lila Schleiern des Korallenlaichs bedeckt. Diese Proteinmasse ist der Beginn einer interessanten Nahrungskette: Riesenschwärme des tropischen Krills (Pseudeuphasia latifrons) laichen aus der Tiefe des Indiks kommend dann ebenfalls ab. Während man die Krillkrebse sonst nur nachts im Oberflächenbereich sieht, halten sie sich während der Korallenlaichzeit auch tagsüber dort auf – und somit auch die Walhaie, deren Lieblingsfutter eh Krebstiere sind. Natürlich kommen auch Schwärme von Anchovies und Sardellen, um sich am Korallenlaich zu laben, was wiederum pelagische Fische wie Thunfische und Makrelen anzieht. Sie treiben die Anchovies zu riesigen Bällen zusammen, um danach in diese Fleischmasse von unten einzutauchen. Das gefällt wiederum den Walhaien, die eigennützig mithelfen, die Fischbälle zu dezimieren.
In den Filmsequenzen von den Seychellen, die ich schon erwähnt habe, werden erstmals mehrere Walhaie beim Fressen gezeigt. Gibt es eine Interaktion zwischen den Tieren bei der Nahrungsaufnahme? Es fällt auf, dass sich die Haie ungewöhnlich viel bewegen und auch ihre Kiemen heftig zum Filtern bewegen. Da die Aufnahmen praktisch vier „kesselartig“ schwimmende Walhaie zeigen, wurde der Filmer Adrian Tyte nochmals befragt. Auch er ist davon überzeugt, dass sich die Walhaie gegenseitig das Futter zutrieben! Das gilt insbesondere für die Unmengen von Füsilierfische im Oberflächenbereich, die fast die Sonne verdunkelten.
Während diese Beobachtungen am Tag gemacht wurden, sah Geoff Taylor ähnliches Verhalten in der Dämmerung und in die Nacht hinein, allerdings vom Boot aus. Er spricht sogar von einer „Feeding Frenzy“. Eine solche Fütterungs-Ekstase wirkt bei denen, die die freundlichen „zahnlosen“ Gesellen bislang nur dahintreiben sahen, eher erheiternd. Aber am Ningaloo-Riff peitschten die Krill fressenden Walhaie mit ihren Flossen dermaßen die Oberfläche und drehten und wendeten sich mit einer Energie, dass man wegen einer möglichen Kollision mit dem Beobachtungsboot Angst bekam. Dieses Phänomen wurde dort 1991 und in den darauffolgenden Jahren dokumentiert. Die Ursache war jedesmal, dass tropische Krillkrebse aus den Tiefen des Meers vertikal an die Wasseroberfläche gewandert waren. Bei genauen Untersuchungen der Krebsmassen fand Geoff auch Larven von Krabben und Fangschreckenkrebsen.
Die nächtliche Jagd kann auch mal für den Walhai tödlich enden: 1990 kollidierte nachts im nördlichen Golf von Exmouth ein Garnelenfangschiff mit einem großen Objekt. Kurz danach wurde von einem benachbarten Fischerboot ein an der Oberfläche treibender Walhai gesehen, dem ein Teil des Rückens fehlte. All das ist aber auch ein Beweis dafür, dass Walhaie überwiegend nachts fressen. Dann strebt nämlich das Zooplankton zur Oberfläche. Und dies erklärt auch, warum man als Taucher den Walhai tagsüber so selten sieht.
Walhai-Forschung
Die Zählungen am Ningaloo Riff vor Westaustralien ergaben über mehrere Jahren eine wiederkehrende Population von etwa 200 Walhaien. Höhere Schätzungen konnten nicht verifiziert werden, da oft die Markierungs-Tags an den Tieren verschwunden waren. 1993 wurden 200 und 1994 220 Walhaie gezählt. Erstaunlich ist die Tatsache, dass es sich dabei mehrheitlich um männliche Tiere mit bis zu 7,5 m Körperlänge handelte, die noch nicht geschlechtsreif waren. Weil dort so viele Walhaie vorkommen hatte man vermutet, dass sich Walhaie auch zur Fortpflanzung am Ningaloo Riff treffen. Das kann aber nunmehr ausgeschlossen werden.
Eine wichtige Frage versuchte Geoff Taylor zu klären: Wo schwimmen Walhaie hin, wenn sie wieder das Ningaloo-Riff verlassen? Er hatte von erfolgreichem „Radio-Tracking“ bei Riesenhaien vor Schottland gehört, bei dem über Funkgeräte Daten von den Tieren an Satelliten weitergegeben wurden. Das sollte mit Walhaien doch auch funktionieren! Als das „National Geographic Magazine“ 1991 ein Team zum Ningaloo-Riff schickte, übernahm es die Kosten für das Vorhaben, die Wanderrouten der Walhaie zu ergründen. Das Hauptproblem war zunächst das Befestigen der Sender an den Tieren (dabei wurde es bestätigt, wie zäh die Haut eines Walhais tatsächlich ist). Nach vielen vergeblichen Versuchen haftete kurz vor Ende der Walhai-Saison endlich eine Funkanlage dank einer starken Harpune an der Rückenflosse. Aber schon nach einer Nacht hörten die Signale auf. Da das Gerät weiter aufzeichnete, hoffte man auf weitere Daten. Nach drei Monaten jedoch wurde es unbrauchbar angeschwemmt.
Weitere Versuche scheiterten ebenfalls. So bleibt noch einiges zu tun, um den Geheimnissen des Walhais auf die Spur zu kommen. Aber die Möglichkeiten werden immer besser, zumal man weitere Plätze kennt, an denen Walhaie regelmäßig auftauchen. So sah ich im März 1994 nach 18 Jahren – unfreiwilliger – Pause den nächsten Walhai nach präziser Vorankündigung eines Tauchlehrers in der Nähe der Similan-Inseln vor Thailand. Obwohl auf sein Erscheinen vorbereitet, war ich wieder sehr ergriffen, an der Seite des größten Fisches der Erde zu schwimmen.