USA. (hpd) Am 27. Januar 1973, also vor 40 Jahren, schlossen Vertreter der USA und Nordvietnams in Paris einen Friedensvertrag ab, der den Vietnamkrieg beenden sollte. Zwar kämpften die beiden vietnamesischen Staaten noch zwei weitere Jahre gegeneinander, die US-Armee zog sich jedoch nach starken Verlusten zurück.
Der Krieg, der zum nationalen Trauma der USA wurde, wütete seit 1965. Er wurde mit gefälschten Beweisen begonnen und stellte einen der Höhepunkte im Kalten Krieg dar. Im Laufe der Auseinandersetzung griff das Militär zu immer drastischeren Mitteln. Um Kämpfe im Dschungel übersichtlicher zu gestalten, wurde das Entlaubungsmittel Agent Orange großflächig eingesetzt. Unter den chemischen Spätfolgen leiden auch heute noch tausende Neugeborene. Ebenso kamen zahlreiche Zivilisten bei Angriffen mit Napalm oder bei Massakern, wie z. B. in My Lai ums Leben. Schätzungen über die Gesamtzahl aller Toten reichen von 3 bis 5 Millionen.
Gegen den Vietnamkrieg regte sich in der gesamten Welt Widerstand. Am stärksten waren die Proteste jedoch in den USA selber. Linksgerichtete Studenten und Intellektuelle taten sich hierbei hervor, doch gab es ebenso eine christlich begründete Friedensbewegung. Baptistenpastor Martin Luther King, der die Bürgerrechte für die schwarze Minderheit in den USA erkämpfte, wandte sich ebenso scharf gegen die Kriegsführung in Asien. Dennoch lässt sich festhalten, dass gerade konservative Kirchenführer den Vietnamkrieg als Teil einer größeren Auseinandersetzung zwischen christlichem Westen und gottlosem Kommunismus begrüßten. Doch zuerst ein Exkurs.
Kolonialherren und katholische Mission
„Geerbt“ hatten die USA den Vietnamkrieg von den Franzosen. Die Kolonialmacht hatte das heutige Vietnam, Kambodscha und Laos als Französisch-Indochina im 19. Jahrhundert dem eigenen Imperium einverleibt. Während des 2. Weltkriegs wurden die Kolonialherren von der kaiserlich-japanischen Armee vertrieben. In der Folgezeit gelang es ihnen nicht mehr die früheren Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen, da sich mittlerweile unter der Führung Ho-Chi-Minhs eine einflussreiche Unabhängigkeitsbewegung gebildet hatte.
Nach verlustreichen Kämpfen und Niederlagen wie der bei Dien Bien Phu, zogen sich die Franzosen immer weiter aus ihrer Rolle als Kolonialherr zurück. Einer Teilung Vietnams in Nord und Süd, wobei der Norden von Kommunisten beherrscht wurde, mussten sie zustimmen. In der Folgezeit übernahmen die USA Schritt für Schritt die Rolle der einstigen Kolonialherren im Südteil des Landes. Dabei profitierten sie aber nach wie vor vom Erbe der französischen Regierungszeit. Frankreich hatte als katholisches Land Missionare nach Vietnam geschickt, die das asiatische Volk zum rechten Glauben bekehren sollten. Die katholische Minderheit Vietnams galt durch ihren regen Austausch mit Missionaren auch als gebildeter als die buddhistische Mehrheit des Landes.
Ngo Dinh Diem
Daher unterstützten die USA den Aufstieg des katholischen Politikers Ngo Dinh Diem ins Präsidentenamt. Während seiner Präsidentschaft von 1955 bis 1963 entpuppte er sich als willfähriger Helfer des Westens. Am Vorabend des Vietnamkriegs errichtete er eine Diktatur, die ganz auf die katholische Minderheit des Landes, vor allem aber auf seine Familie, zugeschnitten war. Sein Bruder Ngo Dinh Tuc war Erzbischof des Bistums Hue. Andere Verwandte und Schwager amtierten als Minister, Diplomaten oder im Polizei- und Sicherheitsapparat. Die besondere Rolle des Katholizismus wurde dadurch deutlich, dass zu feierlichen Anlässen die Fahnen Vietnams und des Vatikans nebeneinander aufgezogen wurden. Da die USA bei ihren humanitären Missionen im Land die katholische Minderheit bevorzugten, konvertierten Buddhisten zu Zehntausenden, um ebenfalls in den Genuss der Privilegien zu kommen.
Gegen die religiöse Diskriminierung regte sich großer Widerstand im Land. Buddhistische Mönche protestierten mit Selbstverbrennungen gegen Ngo Dinh Diem, der mit Polizeigewalt der Lage Herr werden wollte. Der kommunistische Norden nutzte die innenpolitische Krise für seine Zwecke und versprach allen Buddhisten Religionsfreiheit. Unter den Augen einer kritischen Öffentlichkeit mussten die USA ihren Verbündeten fallen lassen, der 1963 nach einem Putsch des eigenen Militärs inhaftiert und hingerichtet wurde.
Kardinal Spellman
Trotz der zunehmend ablehnenden Berichterstattung in den USA hielt der New Yorker Erzbischof Francis Kardinal Spellman dem südvietnamesischen Präsidenten bis zum Schluss die Treue. Auch nach dessen Tod bereiste er weiterhin das Land und begrüßte den Kriegseintritt der USA. 1966 trat er anlässlich des Weihnachtsfests Saigon auf, um sich mit den Soldaten, die gegen den Kommunismus kämpften, zu solidarisieren:
„Dieser Krieg in Vietnam ist, so glaube ich, ein Krieg für die Zivilisation. Gewiss ist es kein Krieg den wir gesucht haben. Es ist ein Krieg der uns aufgedrängt wurde. Wir hoffen, dass wir durch Tapferkeit und Hingabe unserer Männer und Frauen in den Streitkräften bald dem Sieg erringen werden, für den wir alle beten. Weniger als ein Sieg ist undenkbar.“
Billy Graham und Evangelikale
Auch Billy Graham, der „evangelikale Papst“, der öffentlich zu Zehntausenden predigte, ließ sich für den Vietnamkrieg einspannen. Er trat zu großen Gebetsveranstaltungen mit Richard Nixon auf und feierte mit den Soldaten in Saigon Weihnachten. In den folgenden Jahren stand er allen Präsidenten als „Pastor der Nation“ bei und gab sein Einverständnis zu den außenpolitischen Abenteuern der USA. Wallie Amos Criswell, der als Präsident der Southern Baptist Convention maßgeblich zu deren Rechtsruck in den 70ern beigetraten hatte, wandte sich 1969 gegen erste Versuche der US-Regierung, Bedingungen für Friedensverhandlungen zu sondieren. Gemäß der Dominotheorie, die den Kriegseintritt einst begründet hatte und laut der nach Vietnam alle anderen Staaten der Region schrittweise an kommunistische Regierungen fallen würden, predigte er:
„Irgendwo und irgendwann muss man eine Grenze ziehen, bis zu der der kommunistische Aggressor gehen kann und keinen Schritt weiter. Wo soll man diese Grenze ziehen? Soll man sie in Thailand und Südvietnam ziehen, oder soll man weichen und sie bei den Philippinen ziehen, oder soll man weichen und sie bei Hawaii ziehen, oder soll man weichen und sie an der Westküste Kaliforniens ziehen, oder soll man weichen und sie an der Westgrenze von Texas ziehen oder soll man noch weiter weichen und diese Grenze am Mississippi ziehen? Wo steht ihr? An einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit muss Amerika standhaft bleiben.“
Dass der Vietnamkrieg zum nationalen Trauma wurde, liegt auch, aber nicht nur an der Erkenntnis, dass selbst ein Land, das sich als Führungsmacht der freien Welt sah, zu grausamer Kriegsführung fähig war. Eher noch liegt es an den 60.000 amerikanischen Soldaten, die ihr Leben lassen mussten. Vor allem aber ist es die Niederlage, die bis heute schmerzt. Vermutlich hätten die Amerikaner auch eine größere Zahl toter Soldaten verschmerzen können, wenn am Ende aller Strapazen nur ein Sieg gestanden hätte.
Umdeutung der Niederlage
Und so muss die Niederlage umgedeutet werden. Dabei geht die Christliche Rechte ähnlich vor, wie die deutschen Offiziere, die im Ersten Weltkrieg die Waffen strecken mussten. Angeblich sei das Kaiserliche Heer „Im Felde ungeschlagen“ gewesen, bis die Novemberrevolution und mit ihr die Arbeiter- und Soldatenräte jede weitere militärische Operation von der Heimatfront aus unmöglich machten. Der „Dolchstoß“ in den Rücken, nicht die feindlichen Armee hätten Deutschland in die Knie gezwungen.
Pastor John Hagee klagte 2010 den US-Kongress an. Politiker hätten den Militärs unnötige Vorschriften gemacht und nicht erkannt, welche Taktiken den absoluten Sieg gebracht hätten. David Barton, der sich selbst als Chef-Historiker der Christlichen Rechten betrachtet, behauptete 2012, dass aus Geheimdienstberichten klar hervorginge, dass die Sowjetunion und der Vietcong kurz vor der Kapitulation standen. Ein weiterer Bombenangriff der Air Force und die USA hätten den Krieg gewonnen.
Lukas Mihr