Nationalisten als Dialogpartner?

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Armenier werden im April 1915 von osmanischen Soldaten in ein Gefangenenlager geführt / Foto: Rotes Kreuz der USA

BERLIN. (hpd) Der jüngste Vorstoß der Türkischen Gemeinde in Fragen der Homoehe hat Gewicht in der deutschen Innenpolitik. Das linke Spektrum kann sich über die Unterstützung freuen, die Konservativen sehen gleich noch ein Stück konservativer aus. Radikalislamische Forderungen weist Verbandsfunktionär Kenan Kolat regelmäßig zurück.

Die Türkische Gemeinde Deutschlands hat sich als ernstzunehmender Dialogpartner für deutsche Politiker etabliert – so scheint es. Ihr Vorsitzender Kolat ist zu einer wichtigen Stütze der SPD im Wahlkampf geworden.

Die jüngste Debatte zeigt aber auch, wie unkritisch deutsche Parteien in der Wahl ihrer Gesprächspartner sind. Denn die TGD steht dem kemalistischen Lager nahe. Das schließt ein, dass sie auch laizistische Belange verteidigt und sich für die Rechte Homosexueller stark machen kann, geht allerdings mit einem deutlich ausgeprägten Nationalismus einher. Mustafa Kemal Atatürk, der Gründer der türkischen Republik, hatte dem Islam abgeschworen, dafür aber umso stärker die Nation als prägendes Element hervorgehoben.

Dieser Geburtsfehler belastet die Türkei bis heute. Ministerpräsident Erdoğan leugnet nach wie vor den Völkermord an den Armeniern. Dies ist aber nicht seine Privatmeinung oder die Position der AKP, sondern die gesetzlich vorgeschriebene Sicht auf die Geschichte. Wer die Verbrechen der Vergangenheit thematisiert, muss mit empfindlichen Strafen wegen „Beleidigung des Türkentums“ rechnen. Der Kontrast zur deutschen Gesetzgebung, die die Leugnung des Holocaust verbietet, könnte größer nicht sein.

Während des Ersten Weltkriegs hatte die nationalistische Bewegung der Jungtürken einen brutalen Völkermord entfacht, der sich gegen die Armenier richtete, denen Kollaboration mit dem Kriegsgegner, dem zaristischen Russland, vorgeworfen wurde. Bei brutalen Exzessen und auf Todesmärschen starben je nach Schätzung 500.000 bis 1.5 Millionen Menschen.

Der Völkermord an den Armeniern wirft auch ein schlechtes Licht auf Deutschland. Der Botschafter in Istanbul zeigte sich entsetzt vom Ausmaß der Massaker und wollte mit einer scharfen Protestnote intervenieren. Die Reichsregierung wies sein Anliegen jedoch zurück, da sie das militärische Bündnis mit dem Osmanischen Reich nicht gefährden wollte. Über 20 Jahre nach den Ereignissen zeigte sich Adolf Hitler kurz vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen siegesgewiss. Er konnte sich nicht vorstellen, dass nachfolgende Generationen ihn als Jahrhundertverbrecher ansehen würden. Immerhin hatte die Weltöffentlichkeit der Türkei den Mord an den Armeniern schnell verziehen.

Quer durchs gesamte türkische Parteienspektrum will niemand die Verantwortung für die Verbrechen übernehmen. Auch die CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, deutsch: Republikanische Volkspartei), immerhin eine sozialdemokratische Partei, stellt sich der Vergangenheit nicht. Ihre Abgeordnete Canan Arıtman kritisiert den Islamisierungskurs Erdoğans und gilt als Verfechterin eines Kopftuchverbots. Nationalistisch ist die linke Politikern dennoch. Staatspräsident Abdullah Gül, in der Armenienfrage wohl der moderateste AKP-Politiker, wurde von ihr aufgefordert, per Gentest nachzuweisen, keine armenischen Vorfahren zu haben. Arıtmans rassistischer Tiefschlag ist rein technisch gesehen schärfer als die Nürnberger Rassengesetze. Denn die Nazis konnten die jüdische Abstammung eines Menschen noch nicht per Gentest nachweisen. Sie verließen sich auf Kirchenbücher, in denen die Religionszugehörigkeit bis in die Großelterngeneration nachvollziehbar war.

Das Klima in der Türkei ist immer noch feindselig, wie der Mord am armenischen Publizisten Hrant Dink beweist, der 2007 vor seinem Redaktionsgebäude in Istanbul erschossen wurde. Der Täter wurde verurteilt, doch bald mehrten sich Stimmen, die der Justiz vorwarfen, nur unzureichend gegen etwaige Hintermänner des Attentats zu ermitteln. Der Schriftsteller Orhan Pamuk, der den Völkermord thematisiert hatte, wurde 2011 zu einer Geldbuße verurteilt. Dass ihm die gesetzlich denkbare Gefängnisstrafe erspart blieb, dürfte damit zusammenhängen, dass er 2006 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Pamuk muss aber dennoch mit anonymen Morddrohungen leben.

Kolat steht als Kemalist in der Nähe zur CHP. Seine Haltung unterscheidet sich nicht von der offiziellen Position der Türkei. Er gibt zwar diffus zu, dass „im Osmanischen Reich schreckliche Sachen passiert“ seien, lehnt den Begriff Genozid aber ab und fordert eine Untersuchung durch unabhängige Historiker. Kolat intervenierte 2009 beim brandenburgischen Bildungsministerium. Er wollte die Aufnahme der Verbrechen an den Armeniern in den Lehrplan des Bundeslandes verhindern. Dies erzeuge bei türkischen Schülern „psychologischen Druck“, der sich negativ auf Schulnoten auswirke, zudem gefährde es den „inneren Frieden“. So deutete Kolat wohl an, Türken würden nicht mehr loyal zum deutschen Staat stehen.

Auch Kolats Vorgänger Hakkı Keskin hatte den Völkermord geleugnet und darauf hingewiesen, dass man bei objektiver Betrachtung der Ereignisse Gewalt gegen zehntausende Türken nicht außer Acht lassen dürfe. 1993 zog er als erster türkischer Landtagsabgeordneter für die SPD in die Hamburger Bürgerschaft ein. Nach den Zerwürfnissen des Jahres 2005 trat er der Linkspartei bei und saß für sie bis 2009 im deutschen Bundestag. Dort sorgte seine Haltung für weitere Kontroversen. Für die Linkspartei kommt erschwerend hinzu, dass mehrere ihrer Abgeordneten sich als Vertreter kurdischer Interessen sehen und die marxistische Terrorgruppe PKK unterstützen.

Graue Wölfe

Die CDU hatte sich im Rahmen ihrer Integrationsbemühungen ebenso unkritisch auf türkische Nationalisten eingelassen. Der damalige Integrationsminister des Landes NRW Armin Laschet verordnete seiner Partei einen „toleranteren“ Kurs. Das Resultat sieht anders aus. In Köln, Krefeld und Hamm wurden Fälle bekannt, in denen Angehörige der Grauen Wölfe kommunale Ämter für die CDU übernommen hatten. Die rechte Gruppierung fällt durch extreme nationale Positionen gegen Kurden, Armenier und Griechen auf, zudem vertritt sie antisemitische und antiamerikanische Verschwörungstheorien.

Die Grauen Wölfe vertreten die Ideologie der türkischen Partei MHP (Milliyetçi Hareket Partisi, deutsch: „Partei der Nationalistischen Bewegung“). Wegen ihrer antikommunistischen Ausrichtung fanden die Rechtsextremisten in CSU-Patriarch Franz-Josef Strauß und NPD-Mitbegründer Adolf von Thadden Gesprächspartner. In der heutigen Türkei fordert die MHP die Wiedereinführung der Todesstrafe, um mit voller Härte des Gesetzes gegen kurdischen Separatismus vorgehen zu können.

Am bizarrsten trat der Rassismus der MHP 1999 zutage. Damals bebte die Erde in der Türkei. Über 18.000 Menschen starben, 50.000 wurden verletzt. Die MHP, die zu diesem Zeitpunkt an der Regierung beteiligt war, erwies sich jedoch angesichts der Katastrophe als ideologisch verbohrt. Gesundheitsminister Osman Durmuş lehnte Blutspenden aus dem Nachbarstaat Griechenland kategorisch ab. Vorwürfe, diese Haltung sei rassistisch, konterte er gelassen: Rassismus existiere in den türkischen Genen nicht. Die stark erbbiologische Fixierung spielte einige Jahre später erneut eine Rolle. Mit einem Gesetzesentwurf sollten türkische Frauen daran gehindert werden, sich im Ausland künstlich befruchten zu lassen, um „die Abstammungslinien des Landes zu schützen.“

Volker Becks jüngste Äußerungen, mit ihrem Vorstoß zur Homoehe beweise die TGD, dass sie „verfassungstreuer“ sei als die CSU, sind also zu hinterfragen. Außerdem sollte der grüne Politiker den Konservativen nicht vorwerfen, rückständig zu sein, wo er sich doch selbst für die Beibehaltung der Beschneidungspraxis ausgesprochen hatte.

Lukas Mihr