Die Debatte eskaliert

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Beschädigter Kardinalschlitten / Foto: Volksbegehren

WIEN. (hpd) Die Debatte um Kirchenprivilegien in Österreich beginnt zu eskalieren. Aus der katholisch-theologischen Fakultät in Graz werden Unterstützer des Volksbegehrens mit Nazis verglichen. Gegner des Volksbegehrens schrecken offenbar auch vor Gewalt nicht mehr zurück. Unbekannte haben den Kardinalschlitten von Jacques Tilly in Wien schwer beschädigt.

Es muss ein geplanter Anschlag gewesen sein. Die Unbekannten brachten Werkzeug mit und machten sich die Mühe, auf die bekannte Skulptur des deutschen Künstlers Jacques Tilly zu klettern. Sie beschädigten das Gesicht des Kardinals schwer. „So einfach mit bloßen Händen geht das nicht, da würde man sich die Hände blutig reißen“, schildert Sepp Rothwangl von der Plattform Betroffene kirchlicher Gewalt.
 Er ist einer der Initiatoren des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien. „Ein Betrunkener hätte auch eher das unten befindliche Weihrauchfass heruntergerissen, das war aber vollkommen in Ordnung. Es ist jemand auf den Wagen gestiegen und hat mit einer Hacke oder ähnlichem auf den Kopf eingeschlagen“.

Der Schaden trifft das Volksbegehren doppelt hart. Der Kardinalschlitten, eine Leihgabe von Tilly, ist in den vergangenen Wochen zum Symbol der Bewegung geworden und war bei jedem der Auftritte von Aktivisten von Wien bis Mariazell eine Publikumsattraktion. Die wird vorläufig ausfallen. Und die Reparaturen werden einige Aktivisten binden und davon abhalten, an der Roadshow des Volksbegehrens mitzumachen. Besonders bitter ist aus Sicht der Aktivisten vermutlich, dass erst am Tag vor der Attacke einige Schäden ausgebessert worden waren, die entstanden waren, als man die Skulptur von einem Auftrittsort zum anderen transportiert hatte.

Bundesamt für Verfassungsschutz ermittelt

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat Ermittlungen aufgenommen. Zumindest die Initiatoren des Volksbegehrens schließen nicht aus, dass die Angreifer politische Motive hatten. Bevor der Kardinalschlitten repariert wird, wird er am Wochenende im beschädigten Zustand durch Wien fahren. „Er soll ein mobiles Mahnmal dafür sein, dass demokratische Rechte von der Zivilgesellschaft unbedingt – auch gegen fundamentalistische oder hochprivilegierte Gruppen – verteidigt werden müssen”, sagt Rothwangl.

 

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Links der beschädigte und rechts der Schlitten vor der Attacke, nachdem er gerade restauriert worden war / Fotos: Volksbegehren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theologe hetzt gegen Volksbegehren

Beinahe genauso wenig zimperlich wie die Angreifer, wenn auch auf verbaler Ebene, gebärdet sich ein Mitarbeiter der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz. Rudolf Höfer unterstellte am Freitag in einem Zeitungskommentar Kritiker an Kirchenprivilegien, NS-Politik zu betreiben oder zumindest in einer ideologischen Linie zum NS-Regime zu stehen. Der Hetzartikel erschien wenige Stunden vor dem Übergriff auf den Kardinalschlitten. Zumindest zeitlich ein bemerkenswertes Aufeinandertreffen zweier Angriffe auf das Volksbegehren.

Wie die Attacke sprengen die Diffamierungsversuche des bisher weitgehend unbekannten Theologen, der nach eigener Bezeichnung Kirchenhistoriker ist, jeglichen Rahmen einer demokratischen Auseinandersetzung. So versucht er, sämtliche Holocaust-Opfer für die katholische Kirche zu reklamieren: „Hunderte Klöster, Schulen wurden aufgehoben, die Vermögen unzähliger christlicher Vereinigungen geraubt, ihre Substanz dem NS-Reichsministerium für Finanzen einverleibt, auch begleitet von zahllosen Arisierungen. Ein Gewalt- und Terrorregime mit unzähligen Hinrichtungen agierte bis Kriegsende 1945 in Österreich.“ Zitat Ende.

„Meinen Sie das ernst?“

Als einer der ersten reagierte der Wiener Künstler Dietmar Schoder auf die Diffamierung: „Sie stellen diese Zeit so dar, als ob der Holocaust damals ein unbedeutender Kollateralschaden aus dieser Christenverfolgung gewesen sei, dessen wahre Opfer Sie mit keinem einzigen Wort der Erwähnung wert finden. Meinen Sie das ernst?“, fragt er Höfer in einem öffentlichen Mail.

Kaum ein Zufall dürfte sein, dass Höfer von der theologischen Fakultät die Tageszeitung „Die Presse“ als Plattform für seine Diffamierungen wählte. Die Zeitung gehört dem Styria-Verlag. Und der gehört der katholischen Kirche.

Anzeichen von Panik?

Philippe Lorre vom Zentralrat der Konfessionsfreien sieht in der Hetzschrift Höfers Anzeichen, dass sich in Teilen der katholischen Kirche angesichts des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien Panik breit macht. „Anders kann man das rational nicht mehr erklären“, sagt er gegenüber dem hpd.

Nach außen hin ruhiger agieren die offiziellen Vertretungen der anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich. Wobei auch sie zunehmend offensiv agieren, um dem Volksbegehren den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nachdem die katholische Kirche eine Million Folder gegen das Volksbegehren verteilen ließ, haben am Freitag die Religionsgemeinschaften eine gemeinsame Plattform präsentiert, auf der sie ihre Privilegien verteidigen. Offiziell ist die Homepage keine Reaktion auf das Volksbegehren. Sie sei schon länger geplant gewesen, heißt es etwa von der katholischen Kirche. Die katholische Nachrichtenagentur kathpress hat mittlerweile einen eigenen Themenschwerpunkt zum Volksbegehren ins Leben gerufen.

Vorfeldorganisationen übernehmen Angriffe

Neben diesen offiziellen Aktivitäten werden offenbar sämtliche katholische Vorfeldorganisationen in Stellung gebracht. Die an sich unbedeutende Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände warnte am Sonntag eindringlich davor, das Volksbegehren zu unterschreiben, das ab Montag nächster Woche auf allen Gemeindeämtern aufliegt. Das könnte durchaus für die Panik-Theorie von Lorre sprechen. Sprecher der Arbeitsgemeinschaft ist übrigens Polit-Pensionist Helmut Kukacka, der auch Vorsitzender des Mittelschülerkartellverbandes ist.

Aktivisten des Volksbegehrens gehen davon aus, dass die katholische Kirche diese Doppelstrategie in den nächsten Tagen weiterführen wird: Die offizielle Hierarchie gibt sich einigermaßen sachlich, Angriffe und Diffamierungen übernehmen Vorfeld- und Frontorganisationen.  Das sei unangenehm, habe aber Vorteile: „So erfährt jeder Österreicher und jede Österreicherin, dass es das Volksbegehren gibt“, sagt ein Aktivist.

Christoph Baumgarten