Die Grenzen lösen sich in Beliebigkeit auf
Hier auf den Esoteriktagen dürfen die Klassiker der Hokus-Pokus-Medizin nicht fehlen. Hildegard Matheika aus Mönchengladbach, nach Eigeneinschätzung Expertin für so ziemlich alles, bietet Lourdes-Wasser in stilsicheren Flaschen in Marienform zum Verkauf an. Zumindest prinzipiell. Wie viel das Fläschchen kostet, können wir nicht in Erfahrung bringen. Matheika hält einen Vortrag und hat den Stand offenbar unbeaufsichtigt gelassen. Reichlich viel Vertrauensseligkeit auf einer Esoterikmesse.
Matheika steht dafür, dass sich traditionelle Grenzen der Esoterik in die Beliebigkeit auflösen. Bei ihr gibt’s buddhistische Weihen genauso wie Reinkarnationsberatung, Auflösung von schwarzer Magie wie Pilgerreisen nach Lourdes. Reiki und Tarot verstehen sich bei der Palette von selbst.
Engel im Messe-Sonderangebot
Auch das „Angeloscop“ ein paar Stände weiter wirkt etwas eigenwillig zusammengeflickt. Christliche und jüdische Mystik scheinen unmotiviert ineinander zu fließen, angereichert mit Versatzstücken von Theosophie und Co. Hauptsache, es klingt gut. Die Verkäuferin Mitte 50 preist mit hörbarem bayrischem Akzent die Ware an. „Auf Basis der jüdischen Kabbala errechnen wir den Engel, den Sie in der aktuellen Lebensphase brauchen“, rattert sie aufgeregt herunter. Man fragt sich, wann sie Luft holt. „Das ist also der aktuelle Engel, der Schutzengel ist ja immer der gleiche. Das machen wir mit einem Programm. Wenn Sie das jetzt kaufen, kostet es nur 10 Euro, wenn Sie’s im Internet später haben wollen, zahlen Sie 50 Euro.“
Anna Kauk von den Skeptikern platzt der Kragen. Sie ist auch seit einigen Stunden auf der Messe. „Für das, was Sie sagen, gibt’s doch keine Beweise“. „Ja, das ist für Sie so. Sie haben Ihre Meinung, ich habe meine“. „Da geht’s nicht um Meinung. Sie erzählen Dinge, die Sie einfach nicht beweisen können.“ Die Verkäuferin wendet sich düpiert ab und würdigt Kauk keines Blickes mehr.
„Ich bin nur die Verkäuferin“
Ich frage, wie bei den ganzen Engeln die Kabbala ins Spiel kommt. „Naja, weil da die Zahl auch einen Buchstabenwert hat. So kann man das genau berechnen.“ „Wie die Kabbala funktioniert, ist mir klar. Was mich überrascht ist, dass gerade bei Ihnen die jüdische Mystik dabei ist. Sie sind ja sicher eine Goy.“ Ratloser Blick. „Ich meine, eine Nicht-Jüdin“. „Schauen Sie, das kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich hab das Konzept nicht gemacht, das war die Margit Ilmberger.“
Sie sei nur die Verkäuferin. Auch das nur auf Messen, wie sie verrät. Die Schlachtenbummlerinnen gibt’s in der Eso-Szene offenbar nicht nur auf Kundinnen-Seite.
Akku leer, Hirn leer
Wir beschließen, die Szene sich selbst zu überlassen. Dreieinhalb Stunden unter Esoterikern haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur meine Schmerzen nach der „Behandlung“ – wir fühlen uns erschöpft. Oder, wie es Christian Schwarz am Ende seiner Mitschrift formuliert: „Akku leer, Hirn leer“.
Christoph Baumgarten
Mitarbeit: Anna Kauk, Christian Schwarz