HAMBURG. (hpd) „Eine total löchrige und zusammengewürfelte Nachschau meines ersten Humanistentags.“ Eine Nabelschau und ein Kommentar von Cornelia Tiede, die von der mittleren Ostsee angereist war, um in Hamburg vor Ort zu sein. Eine erste Begegnung mit Humanisten hat auch ihre Härten und Kanten, aber auch Hoffnung.
Es ist Sonntag, der 4. Mai des Jahres 2013 der aus bekannten Gründen augenblicklich allgemein gebräuchlichen Zeitrechnung. Ich reise minutengenau zum Beginn des vierten Veranstaltungstags des Humanistentages an.
Grell leuchten sie auf, die roten Lampen im zerebralen Kontrollraum; mein skeptisches, wissensdurstiges Naturell bricht sich Bahn und hechelt nach einer Erklärung: Wieso bekomme ich an einem solchen Tag einen kostenlosen Parkplatz direkt vor der Tür?
Und müsste nicht vor eben dieser Tür die Traube der versammelten Raucherschaft wild gestikulierend beieinander stehen - lustvoll den Oralverkehr mit ihren Pyrokrautstäbchen praktizierend - und gesprächsweise zum Kern des universellen Seins vorzudringen trachten, während neben ihnen der Schwarzmarkt mit den Eintrittskarten blüht?
Sitzen die drinnen etwa schon alle artig auf dem Stuhl, warten, dass der erste Onkel was erzählt, und wer flüstert, wird ermahnt? Ich mache den Motor aus, um nachzusehen und kämme mir vorher noch die Haare, damit sie mich reinlassen.
Meine Güte. Nicht einmal Teile der riesigen Schafherde, die an irgend so einer Protestveranstaltung zum 2. Deutschen Humanistentag teilnehmen, berauben mich meiner unerwartet üppigen Parkmöglichkeiten.
Nachher, drinnen, im Dunkeln, erfahre ich, dass sie mithilfe einer straff durchorganisierten und insgesamt wohl recht ansehnlichen Busflotte herangekarrt wurden. Das muss mit der Schwarmintelligenz zu tun haben, von der dann später noch die Rede ist. Ein Wort, das ich jetzt immer statt „dumpfer Herdentrieb“ verwenden will. „Dumpfer Herdentrieb“ klingt diskriminierend. Pfui.
Ich überlege, ob ich meine Jacke mit reinnehmen soll, habe aber Sorge, damit auszusehen wie nur auf der Durchreise. Ich will ja bleiben. Erstmal zieht auch durch die Seitentüren die warme Luft von draußen rein, und die Lampen strahlen reichlich Wärme ab. Ich werde mich aber trotzdem nach vorne setzen, um in den Genuss der halbwegs frischen Luft zu kommen. Und die Jacke kann ich mir zum Abend hin ganz schnell reinholen. Schließlich habe ich ja einen Parkplatz direkt vor der Tür.
Drinnen strahlt ein Frischbefreiter wie die Elbmarsch von einem Ohr zum anderen und wedelt euphorisch mit seiner Enttaufungsurkunde. Das Ding kriegt doch Knitter und Eselsohren, bevor es zum ersten Mal geknickt, gelocht und abgeheftet wurde! Wenn einst die Zeit gekommen ist, da diese Dinger amtlich gültig sind, macht das einen schlampigen Eindruck, warum sagt ihm das denn keiner?
Bruder Spaghettus und Elli Spirelli von der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters halten jetzt ihren Kult mit ein paar neuen, freiwilligen Pastafari ab.
Empfangen habe man die Botschaft aus dem world wide web, klingt es in meinen Ohren, und wenig glaubhaft wird mir ein Biervulkan versprochen, aus dem sich postmortal dann saufen ließe. Wer sich im Leben aber dreckig verhielt, den fällt zur Strafe der Tripper an, und aus dem Biervulkan blubbert nur noch die Spülwasserplörre.
Nein nein, gar nimmer nie und nicht! denke ich blasphemisch, das KANN überhaupt nicht sein, und irgendwie juckt es mich postwendend im Schritt, als Elli Spirelli auch schon anfängt, die Wunder vorzustellen: Eine Pulle Rum, zur Hälfte geleert und ordentlich wieder zugeschraubt? Das muss tatsächlich ein Wunder sein. Allein der Glaube an das fliegende Spaghettimonster kann den Angetrunkenen die Kraft verliehen haben, ihrem Durst nach Vergessen nicht länger nachzugeben und den Flaschendeckel wie von einer unsichtbaren, gütigen Hand gelenkt seiner Bestimmung zuzubringen. Dass mich noch mal eine Buddel Rum zum rechten Glauben führen würde…
Danach werden, wie es sich für eine anständige Messe in einer anständigen Kirche gehört, unter undeutlichem Gemurmel fade Teigwaren in aufgesperrte Mäuler gefingert, der übliche Schluck geht rum, die Anonymen Arrabiata singen ihr Liedchen drauf, und wie fühlen wir uns an der Seele gestreichelt. Hmmm. Leider gibt es keine Qualmschleuder mit Drogen drin. Deswegen sind wir nicht ganz so high wie die Kunden der Mitbewerberin.
Kopf wieder gerade
Assunta Tammelleo erscheint im richtigen Augenblick, um mir spielend den Kopf wieder gerade zu rücken. Ich falle von meinem Spaghettiglauben wieder ab, ehe ich ihn in mein Tagebuch eintragen konnte. Doch die Karikaturen sind einfach zu überzeugend. Das mit den Geschlechtskrankheiten mag ja hinkommen, aber die Behauptung, aus einem Vulkan solle Bier sprudeln, ist doch einfach nur daneben! Das scheint mir genauso glaubhaft wie dass Wolfgang Thierse es gut meinte, sollte er sich in Zukunft jemals missgünstig, hasserfüllt und / oder zwanghaft diskriminierend über Atheisten äußern.
Im anschließenden Vortrag – ich sitze schnurgerade und quatsche nicht dazwischen – erfahre ich eine Menge über all die Sinnestäuschungen, die mir den morgendlichen Blick in den Spiegel vermutlich erst erträglich machen. Also, mein rechtes Auge ist wohl eigentlich mein links unteres Auge, sofern ich noch nicht krabbeln kann und mit Jean Pütz verwandt bin, oder so, und den Affen – oh man, ist das peinlich – den Affen habe ich auch nicht gesehen. Mein Hirn muss ihn der simplen geistigen Bequemlichkeit zuliebe einfach ausgeblendet, vorsätzlich ignoriert haben! Scheiße! Bin ich jetzt etwa Kreationistin? Oder heißt das einfach, dass ich mich gut auf eine Sache konzentrieren kann? Ich bin total verwirrt, Hase oder Ente, das war doch früher nicht das Gleiche, mein Selbstbild bröckelt, mein Weltbild bröckelt, eine psychologische Beratung wäre jetzt wirklich nicht schlecht, doch Frau Kallwass hat zu tun.
Alle haben zu tun. An einem der Infostände rückt ein einsamer junger Mann mit konzentriertem Blick einen Stapel Flyer exakt auf 90 Grad zur Tischkante. Denn Ordnung ist das halbe Leben, und es wäre doch schade, wenn einen ausgerechnet wegen so einer Kleinigkeit nach dem Tode die Syphilis beißt!
Die Infostände sind so niedliche kleine T-Sackgassen, die an Ritterburgen erinnern. Als Wassergraben dient ein fest verankertes, handelsübliches Geländer, die Brücken sind heruntergefahren. Schießscharten, neben denen man sich verschanzen kann, sind nur angedeutet. Das Volk im Saale gilt immerhin als friedlich gesinnt und wird durch straff getakteten Frontalunterricht pädagogisch geschickt davon abgehalten, den frisch gesaugten Teppich in den T-Sackgassen gleich wieder dreckig zu trampeln.
A rrechte Oadnung muass scho ssei, göj?
Ich schreibe dies alles auch nur, weil mir von irgendeiner Seite zugetragen wurde, es ginge das Gerücht um, jemand hätte gesagt, Humanisten wären ein staubtrockener Haufen humorloser Erbsenzähler und Studierverzimmerter Korintenkacker, die nicht zum Lachen in den Keller gehen, sondern zum Schmunzeln auf der Lore in den Schacht fahren. Gaaanz tief rein, bis es richtig duster ist und einen keiner mehr hört, und da kann man es dann schon mal krachen lassen und den Mund ein wenig in die Breite ziehen…
Das ist jedoch eine vollkommen unsachliche Behauptung, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt! Keine einzige evidenzbasierte Studie ist jemals zu einem Ergebnis gekommen, das Anlass zu solcher Behauptung gäbe! Bis zum einschlägigen Beweis unserer angeblichen Saftlosigkeit muss auch weiterhin die Annahme zumindest der theoretischen Möglichkeit gelten, dass eine Versammlung säkularer Humanisten ebenso lustig ist wie ein von geiler Party-Mucke angefeuertes Rudel bekiffter Lottogewinner!
Wer keine Ahnung von Statistik und der streng wissenschaftlichen Herangehensweise an eine Thematik hat, möge besser den Mund halten oder sich in die Schafherde einordnen und dort ein mildes Liedchen singen! Ha ha ha ha ha!!!
Zum Glück sind wir nicht mal ansatzweise so verkniffen, wie uns die puritanischen Neider unseres von künstlichen Zwängen entrümpelten Lebens in Ermangelung echter Argumente gerne aussehen lassen wollen.
Puritanismus, lese ich bei R. M. Brown, sei der bohrende Verdacht, irgendjemand könnte sich irgendwo amüsieren.
Um nicht in den Verdacht zu geraten, uns hier bloß oberflächlich amüsieren zu wollen, denken wir mit langen Gesichtern überwiegend einzeln darüber nach, warum wir in den Verbänden nur so wenig Mitglieder haben, wo unsere Ansichten doch generell von vielen Millionen Menschen geteilt werden und sich massenhaft Leute bestens von uns vertreten fühlen, was man aber nur auf direkte Nachfrage erfährt.
Ein sehr bekannter Teilnehmer des Abschlusspodiums weiß dann, woran es liegt. Wir sind irgendwie noch nicht so richtig sexy. Und wenn man regen Zulauf wüscht, muss man sexy sein, das ist sogar wissenschaftlich erwiesen.
Ich finde aber, das ist Quatsch. Ein humanistischer Verein muss doch nicht sexy sein! Wenn ich Sex will, gehe ich, wenn’s eilig ist, ins Bett und mach’s mir gemütlich selber. Dafür brauche ich keinen Verein.
Das ist wie mit der FKK. Für die gibt es doch tatsächlich einen Verein in unserer gastgebenden Stadt Hamburg - vielen Dank noch mal von Herzen für die unaufdringliche Unterstützung vonseiten der Letzteren -, es gibt einen FKK-Verein in Schleswig-Holstein und so weiter, aber bei uns in Mecklenburg-Vorpommern gibt es so was nicht. Wir gehen einfach an den Strand und ziehen uns aus. Egal, wie breit gesessen unser Hintern ist, egal wie lang gezogen die Kniestrümpfe schon sind, in denen vorne die Orangen baumeln. Wem das nicht gefällt, der kann sich ja Scheuklappen an die Schläfen häkeln.
Diese – noch - selbstverständliche Abwesenheit von Meckerei und Krittelei und ständiger Bewertung an die Stelle der zuweilen in containergroßen Schubkarren vor sich her geschobenen Arroganz mancher Schwerstintellektueller gegenüber nur teilbelesenen An- und Abwesenden (dumm wie drei Sack Herbstlaub!) zu setzen, überlege ich lange anzuregen, fürchte aber doch, dafür von dem einen oder anderen mitteilungseifrigen Sokrates-Forscher hinter mir mit matschigen Tomaten in Gestalt nicht enden wollender Sokrates-Zitate beworfen zu werden.
Meine Liebe zur Sexyness des Humanismus wird rein platonisch bleiben, soviel ist jedenfalls schon mal sicher, und was ein Dekubitus ist, ahne ich auch langsam.
Wie aufs Stichwort bedauert gleich ein Podiumsteilnehmer die Überalterung der Teilnehmenden.
Junge, sei nicht traurig, wir wären auch gern jünger als wir uns fühlen!
Ich zum Beispiel bin erst vierzig und überlege schon, wie ich nach all dem strapaziösen Rumsitzen meine Stelzen auftaue und vom Hocker hochkomme. Die da hinter mir sitzen und einfach disziplinlos kommunizieren, sind so um die dreißig und ahnen noch nichts von alldem.
Eine, die im Gegensatz zu den meisten genügend Auslauf hatte, ist die Moderatorin. Sie hat die physische Präsenz einer wettkampfbereiten Stabhochspringerin und findet Namen und Tätigkeit fast jedes Referenten auf Anhieb in ihren Unterlagen.
Doch erst wenn sie die Zettel weggeschmissen hat, merkt man richtig, welche Bereicherung sie auf diesem Podium ist. Warte mal, gerade entwickelt sie einen echt interessanten Gedanken, sie steuert auf etwas … Zügig jedoch werden wir davor bewahrt, jemals zu erfahren, was sie uns sagen wollte, denn ein Sittenwächter in der zweiten Reihe reißt den Ärmel hoch und meckert, dass das keine Moderation mehr sei! Puh! Das war gerade noch rechtzeitig. Wo kommen wir denn da hin, wenn hier jede einfach sagt, was sie denkt, egal auf welchem Stuhl sie sitzt?!
Dankbar, dass auch diese Erbse für uns gezählt wurde, gehen wir in die letzte Fünf-Minuten-Pipi-Pause vor dem Unterhaltungsblock, bestehend aus intellektuell hoch aufgeladenem Humor und ebensolcher Musik, allerfeinste Sahne. Hieraus muss auf jeden Fall eine Tradition werden. Vielleicht spielen ja beim nächsten Mal dann Feine Sahne Fischfilet? Ein Anruf in Demmin könnte Wunder, oh Wunder wirken und ein paar nichtarthritische Tagungsteilnehmende anlocken.
Es ist spät, meine Lieben, und die Stützstrümpfe kneifen.
Dafür sind die Hacken wieder warm. (Man muss dankbar sein für jede kleine Freude, die einem im Alter noch zuteil wird.) Und meine Katze, die ich tausendmal lieber habe als meinen bekloppten Nachbarn, und die mich auch tausendmal lieber hat als meinen bekloppten Nachbarn – jawohl, Herr Dr. Dr. Kahl! -, will mich endlich in den Schlaf schnurren.
Zarte Träume
So träume ich zart vom 3. Deutschen Humanistentag, bei dem ein bisschen die Sonne scheint, bei dem Frau Kallwass ihre Sätze zu Ende spricht, bei dem Frau Tammelleo täglich drei Stunden Sendezeit in Sachen Zwerchfell bekommt, ich träume von Wolfgang Thierse als eifrigem Neupastafari, und wenn Gloria von Thurn und Taxis einen guten Job als Klofrau hinlegen würde, ließe ich mich gewiss zu einem fetten Trinkgeld überreden. (Von dem guten Gefühl, nicht immer fast nur für „Gotteslohn“ arbeiten zu müssen, könnte sie verträumt auf einer späteren Zusammenkunft mit Caritas-Beschäftigten schwärmen… Zwingende Einstellungsvoraussetzung bei uns wäre natürlich, dass sie amtlich geschieden ist und mit irgendeiner Tussi was am Laufen hat.)
Ich träume von einem 3. Deutschen Humanistentag, bei dem wir uns nicht durch ständiges Verharren im Schaudern vor der finsteren Gestrigkeit der Fantasy-Junkies selbst die Zeit stehlen, bei dem wir auch diejenigen mal ganz doll drücken, die keinen Nobelpreis in der Tasche haben, und wenn Feine Sahne Fischfilet ein m/wildes Liedchen singen, lassen wir alle zusammen die humanistische Sau raus und wippen mit dem Schuh!
Cornelia Tiede