(hpd) In dem Sammelband zeigen die Autoren die Gefahren einer Renaissance biologistischer Deutungen auf. Dabei konzentrieren sich die Autoren auf eine kritische Auseinandersetzung mit einschlägigen Protagonisten von Konrad Lorenz bis Thilo Sarrazin, wobei man sich aber auch eine Differenzierung etwa zu Ansätzen aus der Evolutionsforschung und Soziobiologie gewünscht hätte.
Als Biologismus bezeichnet man ganz allgemein Deutungen, die in der Natur allein oder einseitig den entscheidenden Bedingungsfaktor für gesellschaftliche Entwicklungen sehen. Als besonders ausgeprägte und folgenreiche Erscheinungsformen eines solchen Denkens gelten Rassismus und Sozialdarwinismus. Der Begriff „Re-Biologisierung“ meint demnach die Renaissance einschlägiger Auffassungen, allerdings in einem anderen und zeitgemäßen Gewand. Gleichzeitig belegen aber auch die Ergebnisse der Evolutionsforschung und Soziobiologie, dass das menschliche Sozialverhalten durchaus durch die biologische Prägung stark beeinflusst ist. Dem Individuum ist es indessen möglich, mittels eigener Entscheidungen dem „Schicksal der Gene“ zu entkommen. Im thematischen Dickicht der damit einhergehenden Fragen und Thesen bewegen sich die Beiträge des von Annett Schultze und Thorsten Schäfer herausgegebenen Sammelbandes „Zur Biologisierung der Gesellschaft. Menschenfeindliche Konstruktionen im Ökologischen und im Sozialen“.
Autoren und Herausgeber wollen demnach die bedenklichen Aspekte eines „Zurück zur Natur“-Trends aufarbeiten. Schultze/Schäfer schreiben: „Das in unserem Titel verwendete ‚Re-’ steht für Denklogiken und Argumentationsstrategien von AkteurInnen der Gegenwart, die ähnlich rassifizierende Logiken nutzen und diese mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Konfliktbereichen verbinden.“ Dann fallen auch die Namen Irenäus Eibl-Eibesfeldt und Thilo Sarrazin. „Der in der Biologisierung mitzudenkende Unveränderlichkeit menschlichen Handelns als vorgeschriebenes (prädeterminiertes) Verhalten setzen wir mit Menschenfeindlichkeit gleich“ (S. 16).
In einem längeren Aufsatz gehen die Herausgeber dann unter dem Motto „Von gesunden Körpern und natürlicher Gesellschaft“ auf entsprechende Normierungen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft ein. Hier findet man ideengeschichtliche Rückblicke zu biologisierter Ökologie und Politik in Verbindung mit kritischen Fallstudien zu Protagonisten von Konrad Lorenz bis Rudolf Bahro.
Danach untersucht Michael Gommel den Beitrag der Humanbiologie zu einer menschenfeindlichen Biopolitik, wobei vor allem Fehldeutungen wie etwa Zirkelschlüsse von der Eugenik im frühen 20. Jahrhundert bis zu den späteren Schriften von Irenäus Eibl-Ebiesfeldt thematisiert werden. Danach erörtert Vanessa Lux die Verschiebungen in der biologistischen Diskussion an dem wohl bekanntesten Fall von Thilo Sarrazins Thesen: Insgesamt seinen sie nicht „so sehr ein eindeutiger biologistischer Rassismus als vielmehr eine bunte Mischung von Argumentationslinien ..., in denen sich Elemente des Sozialrassismus mit einem kulturellen Rassismus vermischen“ (S. 144). Dem folgt ein Beitrag von Tino Plümecke zu „Rassifizierungen“ in den aktuellen Forschungen in der Forensik und Medizin, wobei insbesondere der Genetiker James Watson kritisches Interesse findet. Und schließlich liefert Christoph Kopke noch eine Fallstudie zur Rolle Alwin Seiferts als Repräsentanten der deutschen Naturschutzbewegung im Nationalsozialismus.
Der Sammelband macht auf die politischen Gefahren biologistischer Deutungen aufmerksam, welche im öffentlichen Diskurs bislang nur am Rande inhaltliche Aufmerksamkeit auslösten. Kritisch kommentieren Schulze/Schäfer: „Das individuelle Leben soll auf die Gemeinschaft ausgerichtet sein. ... Wenn etwas als natürlich deklariert wird, scheint es keinen Widerspruch geben zu können“ (S. 88). Doch auf welche Ansätze trifft diese Deutung zu und auf welche Ansätze nicht? Richard Dawkins und Edward O. Wilson kommen etwa als soziobiologische „Variante des Sozialdarwinismus“ (S. 133) bei Vanessa Lux vor. Es gibt in der Tat einschlägige Bemühungen zu ihrer ideologischen Vereinnahmung, doch wie angemessen ist ein solches Pauschalurteil? Hierzu hätte man gern einige Differenzierungen oder zumindest Erläuterungen gelesen. In der Gesamtschau warnen die Beiträge des Sammelbandes aber zurecht vor den Gefahren einer Art „Naturwissenschaft“-Kult, welcher bedenkliche Konsequenzen von angeblichen oder tatsächlichen Forschungsergebnissen einfordert.
Armin Pfahl-Traughber
Annett Schulze/Thorsten Schäfer (Hrsg.), Zur Re-Biologisierung der Gesellschaft. Menschenfeindliche Konstruktion im Ökologischen und im Sozialen, Aschaffenburg 2012 (Alibri-Verlag), 209 S., 16 €
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.