SALINAS, CA./BERLIN. (hpd) Am Freitag, den 7. Juni 2013 feierte eine Organisation, die „Guerilla Skepticism on Wikipedia“ (GSoW), ihren zweiten Geburtstag. Aus diesem Anlass hat der hpd ein Interview mit Susan Gerbic über diese Gruppe geführt.
Susan Gerbic, inzwischen wird sie „Wikapediatrician“ genannt, ist Ko-Gründerin der Monterey County Skeptics, führendes Mitglied der IIG (Independent Investigation Group) und selbsterklärter Skepsis-Junkie. Auf ihrer Website kann man weitere Informationen zu ihr und allen Projekten, an denen sie sich beteiligt, finden. Z.B. auch die „Guerilla Skepticism on Wikipedia“(GSoW).
hpd: Vor zwei Jahren begann “Guerilla Skepticism on Wikipedia” (GSoW) mit seiner Arbeit. Was genau macht GSoW überhaupt?
Susan: Unser Ziel ist es, Wikipedia-Artikel aus einer skeptischen Perspektive zu verbessern. Wir beschäftigen uns auch mit pseudowissenschaftliche Themen und unterstützen den Personenkreis, der Inhalte für Wikipedia erstellt. Wir befolgen alle Regeln von Wikipedia und diskutieren nahezu alle Änderungen im Team.
Ein Beispiel, wie das funktioniert: Das englischsprachige Team arbeitet einige Wochen an Recherche und Verfassen eines Artikels zu einem Thema, einer Person oder einer Organisation. Hier z.B. der so entstandene, auf Wikipedia veröffentlichte Artikel zu Leo Igwe. Anschließend haben anderssprachige Teams diesen Artikel übersetzt. Dieser Artikel wurde diese Woche auf russisch, niederländisch und deutsch veröffentlicht. Das ist sehr spannend und so etwas wurde, so weit ich weiß, noch nie auf diese Art gemacht. Ich finde das sehr kreativ und ich bin stolz auf mein Team.
hpd: Warum ist das überhaupt notwendig? Habt Ihr kein Vertrauen in die Redlichkeit oder Kompetenz der Wikipedia-Autoren?
Susan: Wikipedia ist die fünftgrößte Internetseite der Welt. Immer, wenn jemand etwas im Internet sucht, wird er unter den ersten Ergebnissen einen Wikipedia-Link angezeigt bekommen. Es ist wichtig sicher zu stellen, dass die gefunden Informationen auf dieser Seite korrekt sind und interessant präsentiert werden. Wir möchten, dass Menschen unseren Links folgen und über die Textbelege mehr über kritisches Denken lernen.
Selbst Menschen, die keine Wikipedia-Artikel lesen, erhalten trotzdem ihre Informationen von Wikipedia. Nachrichtenquellen benutzen Wikipedia um Artikel zu schreiben, die dann wieder den Leser erreichen. Auch Freunde und Familien beziehen ihre Informationen von Wikipedia und werden in einer Diskussion, vielleicht die dort gefunden Information wiedergeben. Diese Internetseite ist zu einflussreich, um falsche Informationen zu ignorieren und zuzulassen.
Jeder darf Wikipedia-Artikel bearbeiten, das ist Fluch und Segen zugleich. Wir müssen diese Einträge überprüfen und verbessern. Es gibt sehr viele Artikel und relativ wenige Autoren, es ist also noch viel Arbeit zu tun.
hpd: Kannst Du bitte ein paar Zahlen nennen? Wie viele Leute engagieren sich bei GSoW und wie viele Artikel habt ihr verbessert oder veröffentlicht?
Susan: Unser Team hat ungefähr 120 Autoren, die in 17 Sprachen arbeiten, einige sind natürlich aktiver als andere. Unser englischsprachiges Team hat in den letzten zwei Jahren über 100 Artikel komplett überarbeitet oder neu geschrieben.
Das internationale Team startete erst im September 2012 und ist noch im Lernprozess. Unser gesamtes Team hat schon über 400 Artikel bearbeitet oder erstellt.
Wenn jemand eine gut geschriebene Seite übersetzt, kann das zwei bis vier Tage dauern. Macht man sich an eine schlecht geschriebene Seite oder verfasst einen neuen Artikel, braucht es für gewöhnlich drei bis fünf Wochen ihn fertig zu stellen. Es kommt einfach darauf an, wie viel Zeit man investiert. Unsere Autoren veröffentlichen ihre Fortschritte in unserem Team-Forum und in der Regel helfen andere Autoren. Wir werden die Seite nicht auf Wikipedia veröffentlichen, bevor der Artikel nicht perfekt ist und jeder Artikel wird von vielen Leuten korrekturgelesen.
hpd: Ich kann mir vorstellen, dass ihr auch negative Reaktionen auf Eure Arbeit bekommt. Hat schon mal jemand versucht Eure Arbeit zu behindern oder gar zu stoppen?
Susan: Nein, wir hatten noch nie solche Probleme. Wir befolgen alle Regeln für das Bearbeiten und Erstellen von Artikeln, so kann niemand etwas dagegen tun. Ich habe viele Nachrichten von der „Paranormalen“ Szene erhalten, die immer frustrierter mit Wikipedia werden, einige von Ihnen haben inzwischen aufgehört Wikipedia zu nutzen und beschweren sich, dass wir Skeptiker wissenschaftlich arbeiten und einfach bösartig seien.
hpd: Wie finanziert ihr das Projekt, werdet ihr von Verbänden oder Stiftungen unterstützt?
Susan: Es wird überhaupt kein Geld eingesetzt. Ich hatte ein wenig Geld gespendet, um das Projekt zu promoten und weitere Autoren zu finden. Ich reise viel und spreche auf unterschiedlichen Konferenzen. Das kostet mich viel Geld, da die meisten Verbände nicht das Budget haben, diese Kosten zu übernehmen.
Ich hoffe im August auf der 15. Europäischen Skeptiker-Konferenz in Stockholm einen Vortrag zu halten. Die JREF (James Randi Educational Foundation) bezahlt die Reisekosten hierfür. Außerdem war die CSICOP (Committee for Skeptical Inquiry) großzügig und hat mich gesponsert, um auf ihren Events zu sprechen. Ich muss neutral bleiben und bin nicht in der Lage für eine der Organisationen zu "arbeiten", aber ich kann mich in größerem Zusammenhang für die Bewegung der Skeptiker engagieren.
hpd: Bräuchtet ihr mehr finanzielle Mittel oder mehr ehrenamtliche Autoren?
Susan: Ich würde niemals Spenden ablehnen, aber wir brauchen sie nicht wirklich für das Projekt, ausgenommen die für die Reisekosten der Vorträge. Blogs, Podcasts und verschiedene Gruppen haben mir großzügig Gelegenheiten eingeräumt, das Projekt vorzustellen, Leute anzusprechen und ehrenamtlich zu unterstützen. Wir haben nun über 120 Autoren, aber wir bräuchten eher 1.200 Leute um die Sache groß werden zu lassen.
hpd: Wie können euch Leute beitreten? Gibt es Bedingungen bzw. welche Voraussetzungen sollte man mitbringen?
Susan: Alles passiert auf Facebook, alle verschiedensprachigen Gruppen organisieren sich dort über nicht-öffentliche Seiten, wo wir Inhalte und Training diskutieren können. Niemand muss Englisch sprechen können, aber man muss sich auf Facebook mit mir in Verbindung setzen und kommt dann z. B. in die deutschsprachige Gruppe.
Man muss sich darüber im klaren sein, in welcher Sprache man mitarbeiten will, in den Gruppen wird dann nur in dieser Sprache kommuniziert. (Ich benutze „Google Translate“, um an Diskussionen teilzunehmen.)
Oft machen sich Leute Sorgen, wie viel Zeit sie in das Projekt einbringen müssen. Es gibt hier keine vorgeschriebenen Mindestzeiten, jeder kann sich so stark einbringen wie er will. Einige sind Studenten oder Lehrer, Eltern oder arbeiten Vollzeit, sie alle bringen sich ein, wenn sie Zeit haben, so viel oder wenig wie sie möchten. Und das finde ich gut so. Aber es macht süchtig und man wird merken, dass es Spaß macht und wirklich einen Unterschied für die Skeptiker-Bewegung weltweit bedeutet. Wir beeinflussen Ansichten auf der ganzen Welt und jeder kann das von zu Hause mit einer Katze auf dem Schoß machen. Ist das nicht großartig?
hpd: Was ist Euer Ziel für die nächsten zwei Jahre?
Susan: Danke, dass Du danach fragst, Du bist bisher der erste. Also auch der erste, der dieses Ziel veröffentlicht. Ich werde deutlich entschiedener bei der Suche nach weiteren Autoren vorgehen. Und mich dabei auf Blogs und Podcasts, die nicht englischsprachig sind, konzentrieren, um mehr internationale Autoren gewinnen zu können. Wenn ich das richtig mache, wird man bald von mir den Namen „Guerilla Sceptics on Wikipedia“ auf Skeptiker-Konferenzen bzw. –Treffen und im Internet zu hören bekommen.
Außerdem werde ich selbst auf deutlich mehr Konferenzen um mehr Autoren werben. Ich hoffe weiter mehr Videos mit mehrsprachigen Untertiteln produzieren zu können, um die Reichweite von GSoW zu vergrößern. Geplant ist noch ein 24-Stunden Autoren-Marathon, um auf das Projekt aufmerksam zu machen. Ich hoffe einfach, dass die Gruppe schnell wächst und arbeite daran.
Im Moment versucht die deutschsprachige Gruppe aufzuholen und wir arbeiten daran, gut geschriebene englische Artikel (worauf sich die englischsprachige Gruppe konzentriert) ins Deutsche zu übersetzen. Dabei haben wir den thematischen Schwerpunkt auf geschichtlichen Themen, skeptische Organisationen (z.B. JREF, CFI, Skeptic Magazine) und auch auf die Menschen, die momentan verifizierte Erkenntnisse verbreiten. Ben Radford, Harriett Hall, Joe Nickell sind Beispiele.
Sind diese Artikel erst fertiggestellt und überprüft, werden wir viele Autoren trainiert haben, die sich dann mit schwierigeren Themen befassen werden. Dazu gehört die Recherche und das Verfassen von Artikeln über in Deutschland operierende Organisationen und Personen.
Auch müssen bei Artikeln zu Themen wie Hömöopathie, Astrologie und Wahrsagerei die Fakten eingearbeitet werden, d. h. dass es keinerlei Fakten gibt, die dieses belegen können. Hier sind die französischsprachigen Artikel schon sehr gut. Diese Recherche-Aufgaben sind deutlich schwieriger und es kann Wochen dauern, einen Artikel korrekt zu schreiben. Wir müssen bei diesen Themen französische Quellen zur Hilfe nehmen. Es ist davon auszugehen, dass die Paranormale Szene in Opposition gehen wird und dagegen argumentieren wird. Redakteure, die schon viele Artikel veröffentlicht haben gelten automatisch als seriöser (was auch zum Problem werden kann).
Das deutschsprachige Team ist im Moment noch am Anfang, aber wir unterstützen und trainieren unsere Autoren. Sie brauchen auch keine guten Englisch-Kenntnisse. Wir können jeden brauchen: Fotografen, Grammatik- und Rechtschreibungs-„Kontrolleure“, Übersetzer und vieles Weitere. Auch Leute, die unsere Sache in die Öffentlichkeit bringen, damit wir mehr Freiwillige finden können.
hpd: Susan, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für Euer Projekt!
Das Interview führte Nicolai Spekels für den hpd auf Englisch.