Ein aktueller Bericht der NGOs MSI Reproductive Choices (MSI) und Center for Countering Digital Hate (CCDH) beschuldigt die Tech-Giganten Google und Meta – den Mutterkonzern hinter Facebook und Instagram – der Zensur. In Teilen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens würden faktenbasierte Informationen zu den Themen Abtreibung, Verhütung und reproduktive Gesundheit geblockt, während Falschinformationen ungehindert florierten, monieren die beiden Organisationen.
"Auf dem afrikanischen Kontinent ist Facebook für viele Frauen die erste Anlaufstelle, um Informationen zur reproduktiven Gesundheit zu erhalten. Um diese Nachfrage bedienen zu können, haben wir unsere digitalen Angebote ausgeweitet, doch wir haben Schwierigkeiten, geprüfte Informationen zu den Frauen, die sie brauchen, zu bringen", sagte Whitney Chinogwenya, MSI's Marketingdirektorin, gegenüber dem britischen Guardian.
Um den vorliegenden Report zusammenzustellen, befragten die beiden Organisationen die lokalen Einsätzkräfte von MSI in Ghana, Kenia, Mexiko, Nepal, Nigeria und Vietnam und verifizierten die Angaben mittels Metas Werbebibliothek. Das Ergebnis: In allen sechs Nationen werden Werbeanzeigen von MSI systematisch abgelehnt oder nachträglich entfernt, obwohl die NGO stets im Rahmen der örtlich geltenden Gesetze agiert. Das betrifft selbst Informationen zu Themen wie Gebärmutterhalskrebs.
In Mexiko beispielsweise wurden Abtreibungen im vergangenen September auf Bundesebene entkriminalisiert und sind in Mexiko-Stadt und elf anderen Bezirken nun auf Anfrage (beispielsweise bei MSI) verfügbar. MSI Mexiko jedoch berichtet, dass Facebook-Posts, die über die nun legale Prozedur informieren, von der Plattform stets in kürzester Zeit gelöscht würden. In Nepal und Vietnam ging Meta angeblich sogar so weit, die Accounts der NGO grundsätzlich einzuschränken und keinerlei Werbeanzeigen im Meta-Ökosystem – das inkludiert Instagram und WhatsApp – mehr anzunehmen, berichten lokale Einsatzkräfte.
Erschwerend hinzu kommt eine anscheinend unterirdische Kommunikationspolitik der Tech-Giganten. MSI's Team in Nepal erhielt auf Nachfrage weder konstruktive Verbesserungsvorschläge noch eine eindeutige Begründung für den plattformübergreifenden Block. Ein nicht unbekanntes Problem für lokale Einsatzkräfte, auch in Ghana und Kenia erhalten die Teams nur selten brauchbare Informationen von den Plattformen – es bleibt systematisch im Unklaren, welchen Teil der Community-Richtlinien die Anzeigen letzten Endes verletzt haben sollen. "Meta wird dir niemals antworten. Sie sagen dir nicht, warum sie deine Anzeige einschränken", so die zerknirschte Zusammenfassung aus Ghana.
Der Report zeigt auch, dass Falsch- und Desinformation sowie abtreibungskritische Werbeanzeigen meist aus dem Ausland kommen. In Ghana konnte kein einziger der untersuchten Accounts, der Anti-Choice-Werbeanzeigen schaltete, als nationalen Ursprungs verifiziert werden. 86 Prozent dieser Accounts werden laut Impressum von ausländischen Organisationen oder Individuen betrieben, die restlichen 14 Prozent waren nicht zuzuordnen. 64 Prozent der untersuchten Accounts geben die Vereinigten Staaten als Sitz an. Der Bericht bemerkt, dass die fraglichen Werbeanzeigen dieser nicht selten evangelikalen Seiten auch in Kenia und Nepal zu sehen waren.
Der zentrale Kritikpunkt des Berichts ist die Inkonsistenz, die Meta und Google bei ihren Moderationsrichtlinien an den Tag legen. Während nämlich geprüfte Informationen von MSI mit selten mehr als einer fadenscheinigen Ausflucht gelöscht werden, generieren nachweislich falsche Posts Millionen von Impressionen, von denen die Plattformen finanziell profitieren. Der Bericht präsentiert mehrere Fallstudien, darunter eine Untersuchung aus Mexiko: Hier kamen durch nur sieben Werbeanzeigen des gleichen Accounts, in denen die Abtreibungspillen Mifepristone und Misoprostol fälschlicherweise als überdurchschnittlich gefährlich für Schwangere bezeichnet wurden, mehr als 500.000 Impressionen zustande.
Diese Inkonsistenz der Plattformen reicht so weit, dass selbst gefälschte MSI-Seiten auf Facebook und Google nur schleppend oder teils gar nicht gelöscht werden. Lokale Teams in Kenia, Nigeria und Vietnam entdecken immer wieder gefälschte Seiten, die jene von MSI so gut imitieren, dass sie sich bisweilen nur durch die angegebene Telefonnummer oder Kontaktadresse unterscheiden. "Manche dieser Seiten sind Betrug, sie fragen potentielle Klient*innen nach Vorauszahlungen", so ein Mitglied des MSI-Teams in Kenia.
Nicht nur sind diese gefälschten Seiten brandgefährlich, weil sie dazu führen können, dass Schwangere nicht rechtzeitig an die nötigen Informationen kommen, sie offenbaren ein moralisches Gefälle: Mit jedem Tag, an dem sie solche Seiten selbst auf Anfrage hin nicht löschen, machen sich Meta und Google aus Profitgründen zu Komplizen von Menschen, die ihre Brötchen damit verdienen, Frauen in vulnerablen Positionen auszunutzen.
"Häufig kommen Frauen in unsere Kliniken, denen zuvor alles mögliche von Aspirin bis hin zu Abführmitteln von Betrügern im Internet verkauft wurde", so Chinogwenya. Meta, vermutet MSI's Marketingdirektorin, betrachte das Thema reproduktive Gesundheit durch "eine US-amerikanische Linse" und wende daher ein an die USA angelehntes, wertekonservatives System an, statt sich an den (nicht selten progressiveren) Landesgesetzgebungen zu orientieren.
Ein Sprecher des Unternehmens Meta sagte auf Anfrage des Guardian: "Inhalte, die sich um reproduktive Gesundheit drehen, müssen unseren Regeln folgen, inklusive derer bezüglich verschreibungspflichtiger Medikamente und Falschinformationen, und Werbeanzeigen, die Produkte oder Dienstleistungen aus dem Bereich der reproduktiven Gesundheit bewerben, dürfen nur an Menschen über 18 ausgeliefert werden." Google äußerte sich der britischen Zeitung gegenüber ähnlich: "Dieser Bericht beinhaltet kein einziges Beispiel von Inhalten auf Googles Plattform, die die Richtlinien verletzen, und keine Beispiele inkonsistenter Umsetzung [der Richtlinien]".
MSI Reproductive Choices, ehemals Marie Stopes International, ist eine in mehr als 35 Ländern tätige Frauenrechtsorganisation, deren Schwerpunkt die Themen sexuelle und reproduktive Gesundheit darstellen. Das Center for Countering Digital Hate, ehemals Brixton Endeavours Ltd., ist eine nichtkommerzielle NGO mit Sitz in London und Washington D.C., deren primäre Aufgabe die Identifikation und das Deplatforming von Personen und Accounts ist, die Falschinformationen oder Hassrede (USA: Hate Speech) verbreiten. Das CCDH machte sich unter anderem dadurch einen Namen, die nahezu willkürliche Moderationspolitik Twitters bezüglich der Twitter Blue-Abonnierenden aufzudecken und daraufhin erfolglos von Elon Musk verklagt zu werden.