Gefahr durch Exorzismus-Apps

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In der heutigen Zeit löst das Thema "Dämonenaustreibung" oft ein Schmunzeln aus, doch dahinter verbirgt sich eine ernste und bittere Realität. Menschen, die sich an Exorzisten wenden, befinden sich in einer tiefen persönlichen Krise und suchen verzweifelt nach Hilfe. Durch Exorzismus-Apps auf Handys können diese Hilfesuchenden jedoch davon abgehalten werden, professionelle Unterstützung von Ärzten und Therapeuten zu suchen. Besonders gefährdet sind hierbei Jugendliche.

Exorzismen nehmen seit Beginn des 21. Jahrhunderts wieder deutlich zu. Skeptische Stimmen, die sich offen gegen den Dienst des Exorzismus aussprechen, sind innerhalb des globalen Katholizismus marginal geworden1. Der aktuelle Papst hat mehrfach erklärt, es sei notwendig, den Satan und Dämonen zu bekämpfen.

Die grundlegenden Aspekte des Exorzismus in der katholischen Kirche sind den meisten Menschen durch filmische Darstellungen und zahlreiche Medienberichte bekannt. Die Religionswissenschaftlerin Nicole Bauer vom Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie an der Universität Innsbruck erläuterte in einem Interview mit Deutschlandfunk Nova, dass der berühmte US-amerikanische Horrorfilm "Der Exorzist" aus dem Jahr 1973 in Bezug auf die Rituale des Exorzismus gar nicht so weit von der Realität entfernt sei, wenn man die Special Effects außen vor lasse.

Doch Dämonenaustreibungen finden nicht nur im christlichen Kontext statt. Zum Beispiel ist es unter Muslimen weit verbreitet, zu glauben, dass psychische Erkrankungen übernatürliche Ursachen haben. Die Stigmatisierung der Betroffenen kann in muslimischen Gemeinschaften besonders stark ausgeprägt sein, da oft der Glaube besteht, dass die "Dschinn-Besessenheit" durch ein sündiges Leben verursacht wird2.

Als vermeintliche Anzeichen von Besessenheit gelten epileptische Anfälle, Autismus, Down-Syndrom, dissoziative Identitätsstörungen, Wahnvorstellungen oder Halluzinationen. Viele davon sind aber tatsächlich typische Symptome von (psychischen) Erkrankungen. Abgesehen davon, dass ein Exorzismus an schwer kranken Menschen oder an Menschen mit besonderen Bedürfnissen ethisch verurteilungswürdig ist und ihnen nicht hilft, kann er zusätzliche traumatische Auswirkungen auf die betroffene Person haben. Exorzisten unterliegen jedoch keiner staatlichen Aufsicht, die ihre Praktiken reguliert und überwacht. In die Medien schaffen es nur die extremsten Fälle, jene, die schiefgehen, wie zum Beispiel der Fall einer 25-jährigen nicaraguanischen Frau, die nach einem von einem evangelikalen Pastor durchgeführten Exorzismus mit Verbrennungen ersten und zweiten Grades an über 80 Prozent ihres Körpers im Krankenhaus verstarb. Die Washington Post berichtete, dass der Pastor behauptete, die Frau habe selbst entschieden, sich zu verbrennen, da sie angeblich "dämonisiert" war. In Sri Lanka prügelte 2021 eine Exorzistin ein 9-jähriges Mädchen im Zuge eines Exorzismus brutal zu Tode. Die schlimmen Verletzungen des Kindes wurden sogar im Journal of Forensic and Legal Medicine als Fallstudie erörtert3.

Besonders absurd sind Exorzismen an Menschen, die keinerlei Krankheitssymptome aufweisen, sondern lediglich homosexuell sind. Viele junge Menschen sind durch religiöse Indoktrination verblendet und zunächst schockiert, wenn sie zum ersten Mal ihre homosexuelle Orientierung entdecken. Ein Video aus dem Jahr 2009 sorgte für Empörung unter Befürwortern der Rechte von Homosexuellen. Es zeigt, wie in einer Kirche in Connecticut ein 16-jähriger Jugendlicher, der sich auf dem Boden windet, angeblich von einem "homosexuellen Dämon" beziehungsweise einem "Sexdämon" befreit werden soll. Dies sei jedoch kein Einzelfall, wie die Pastorin in einem Telefoninterview mit CNN offen zugab. Sie argumentiert: "Gott schuf Adam und Eva. Er schuf eine Frau, um mit einem Mann zusammen zu sein, und einen Mann, um mit einer Frau zusammen zu sein." Es ist davon auszugehen, dass sich die Pastorin selbst als tolerant gegenüber Homosexuellen einstuft, da sie auch sagt: "Wir erlauben [Homosexuellen], in unsere Kirche zu kommen. Wir erlauben ihnen nur nicht, diesen Lebensstil fortzuführen."

Allerdings legen nicht alle Exorzisten großen Wert auf die Einhaltung von Sexualnormen, gesetzlichen Schutzvorschriften und dem Tabu des Machtgefälles. Eine Vielzahl von Berichten über sexuellen Missbrauch im Zusammenhang mit Dämonenbefreiungen verdeutlicht dies, zum Beispiel 2019 in Boston, 2018 in Italien, 2012 in Virginia – wobei jeweils die Unschuldsvermutung gilt.

Aufgrund der häufigen sexuellen Übergriffe durch den Klerus geraten sowohl Täter als auch Opfer in den Fokus wissenschaftlicher Forschung. Studien zeigen interessante Tendenzen auf: Wenn Geistliche keine strengen Regeln des Zölibats einhalten müssen, werden vermehrt Frauen zu Opfern, ansonsten sind die Opfer überwiegend männlich. Eine Studie des John Jay College of Criminal Justice über den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch katholische Priester und Diakone in den Vereinigten Staaten von 1950 bis 2002 ergab, dass 81 Prozent der Opfer männlich und 19 Prozent weiblich waren. Über 40 Prozent der Opfer waren Jungen im Alter von 11 bis 14 Jahren. Die Studien lassen auch vermuten, dass die Auswahl der Opfer hauptsächlich auf Verfügbarkeit und Zugang basiert. In Umgebungen, in denen Kinder und Jugendliche normalerweise nicht anzutreffen sind, kommt es auch seltener zu Missbrauchsfällen4.

Mit Exorzismus-Apps fürs Smartphone erobert die antiquierte Vorstellung von Dämonenaustreibungen nun auch die moderne Welt. Diese Apps stellen ein niedrigschwelliges Angebot zur Kontaktaufnahme mit Exorzisten dar, wodurch psychisch Kranke, vor allem aber auch Minderjährige, die dringend liebevolle Zuwendung oder sogar ärztliche Versorgung benötigen, leicht erreichbar werden. Statt zu erfahren, dass zum Beispiel Homosexualität weder Sünde noch Perversion darstellt, sondern die gleichgeschlechtliche Liebe eine in der Natur häufig vorkommenden Variante darstellt, können Jugendliche so in ein erzkonservatives, homophobes Umfeld geraten, das sie in ihren Ängsten und absurden Schuldgefühlen noch bestärkt.

An dieser Stelle ist zu betonen, dass keinesfalls behauptet wird, alle Exorzisten seien potentielle Sittlichkeitsverbrecher. Auch wird nicht bestritten, dass religiöse Rituale in Einzelfällen für das Wohlbefinden eines Gläubigen hilfreich sein können, indem sie Ängste und Unsicherheiten verringern. Ein Gebet kann für den Gläubigen eine effektive Bewältigungsstrategie darstellen. Ganz sicher ist aber die Dämonenaustreibung keine angemessene und ethische Reaktion auf eine ernsthafte Erkrankung oder auf Menschen, die von heterosexuellen oder zweigeschlechtlichen Normen abweichen. Der Gesetzgeber hat das Problem noch nicht erkannt. Zum Beispiel ist Exorzismus an Kindern nicht expressis verbis verboten.

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1vgl. Young, Francis in "A History of Exorcism in Catholic Christianity" (2016)
2vgl. Islam, F., Campbell, R.A. im Journal of Religion and Health 53, 229–243 (2014)
3vgl. Thivaharan, Yalini & Dias, Vianney & Edirisinghe, Anuruddhi & Kitulwatte, Indira (2022)
4vgl. Quarshie, E.NB., Davies, P.A., Acharibasam, J.W. et al. im Journal of Religion and Health 61, 3028–3054 (2022)