BERLIN. (hpd) Vergangenen Donnerstag hielt der bekannte Primatologe Frans de Waal einen Vortrag über Moralempfinden bei nicht-menschlichen Tieren und stellte sein neues Buch vor, für das es aus merkwürdigen Gründen erst einmal keine deutsche Übersetzung geben wird.
Das Einstein Forum ist eine Potsdamer Einrichtung, die sich dem Dienst der Aufklärung verpflichtet hat und Erkenntnisse aus den Grenzgebieten verschiedener wissenschaftlicher Felder einem breiten Publikum zugänglich machen möchte.
In einer internationalen Tagung ergründen Natur-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler, sowie Künstler, Aktivisten und Juristen derzeit inwiefern der menschliche Antriebsmotor tatsächlich auf dem Prinzip Eigennutz basiert.
Am Donnerstag begrüßte die Direktorin des Instituts, Susan Neiman, im Dinosauriersaal des Naturkundemuseums Berlin den bekannten Verhaltensforscher Frans de Waal zu einem Vortrag über nicht-menschliche Ethik im Tierreich.
Wer „Der Affe in uns“ (2006) oder „Primaten und Philosophen“ (2008) gelesen hat, weiß, dass de Waal, wie schon Darwin, die Evolution konsequent auf ethische Prinzipien anwendet. Dem gegenüber stellt er die von ihm selbst definierte „Fassadentheorie“, deren Vertreter die Moral als dünne kulturelle Schicht auf einem auf Eigennutz ausgerichteten Grundgerüst der menschlichen Natur verstehen.
Zu den Repräsentanten dieser „Homo homini lupus“- Ansicht zählt de Waal aufgrund von bestimmten Aussagen z.B. „Darwins Bulldogge“ Thomas Henry Huxley (1825 – 1895) und den Religionskritiker Richard Dawkins. In dem Buch „Primaten und Philosophen“ stellte Dawkins jedoch bereits dar, dass er sich nicht als Fassadentheoretiker bezeichnen würde, da er ja gerade ausführt wie aus dem Prinzip Eigennutz Altruismus entstehen kann („Das egoistische Gen“). Es handelt sich wohl um Begriffsbefindlichkeiten zweier absolut überzeugter Darwinisten und wie sie den Einfluss der Kultur gewichten.
De Waal möchte den „Top-down“ Konzepten zur Herkunft der Moral, seine „Bottom-up“ Version gegenüberstellen. Von „oben“ kämen aber nicht nur Gotteswort (god), sondern auch die Vernunft (reason) und die Naturwissenschaft (science). Als Vertreter letzterer Ansicht nennt de Waal den Philosophen Sam Harris, wo doch gerade dieser Ethik als Produkt der Natur versteht. Vielleicht möchte de Waal ihm eine sogenannte „Wissenschaftsgläubigkeit“ unterstellen, ein Strohmann meiner Meinung nach.
Im Folgenden geht es um Versöhnung (reconciliation) im Tierreich. Laut de Waal zeigen alle dazu untersuchten (Säuge?-)Tiere die Fähigkeit zu diesem prosozialen Verhalten, nur eine Art nicht: Die domestizierte Hauskatze. Das sorgte bei den anwesenden Katzenfans (zu denen sich de Waal auch selber zählt) nicht für Überraschung. Er zeigt verschiedene Politiker mit dem stets gleichen versöhnlichen Ausdruck auf dem Gesicht, unser Primatenerbe.
Anschließend geht er auf die Primatenspezies ein, die der Verhaltensforscher am tiefgründigsten in den letzten 40 Jahren untersucht hat, er nennt sie gerne die „Primaten-Hippies“, weil sie ihre Konflikte mit Sex lösen: Die Bonobos.
De Waal wundert sich, dass die anatomische und verhaltensspezifische Ähnlichkeit dieser Menschenaffen zu Ardipithecus, einem Menschen-Urahn, der NACH der Spaltung von Schimpansen und Menschen vor 4,4 Mio Jahren lebte, zu Anfang niemandem auffiel. Es wäre für unser menschliches Selbstwertgefühl doch erfreulich, den „Zwergschimpansen“ (Bonobos), bei denen Mord INNERHALB der Art unbekannt ist, näher zu stehen als den sich zum Teil gegenseitig tötenden großen Schimpansen.
Als Hinweis für Empathie, das Mitfühlen mit anderen, stellt de Waal die „Körpersynchronisierung“ (body synchronization) vor. Gähnen und andere Bewegungen des Kiefers z. B. wirken nicht nur ansteckend unter Menschen, sondern auch unter anderen Primaten [1] und Hunden und sogar von Menschen auf Primaten. [2]
Ein Ruck ging durch die „Moral-community“, als Kanadische Psychologen und Schmerzforscher 2006 entdeckten, dass Mäuse zu empathischem Verhalten in der Lage sind, weil ihre Schmerzsensitivität anstieg, wenn sie Artgenossen mit Schmerzverhalten beobachteten.[3] Noch beeindruckender ist die Studie, in der Ratten auf für sie sehr begehrenswerte Schokolade verzichten, um einen Artgenossen aus einer Falle zu befreien.[4] Hinterher teilen sie die Schokolade sogar.
Für de Waal spielt bei prosozialem Verhalten eindeutig die eigens erlebte mütterliche Fürsorge (maternal care) eine Rolle. So zeigen sich Schimpansen-Waisenkinder weniger sozial als die Altersgenossen, die von ihren Müttern aufgezogen wurden. In diesem Zusammenhang darf das sogenannte Bindungshormon Oxytocin natürlich nicht unerwähnt bleiben.
Um wirklich beweisen zu können, dass sich die Tiere in ihre Artgenossen hineinversetzen können, muss man ihnen eine zielgerichtete Hilfe nachweisen: Was benötigt der andere um an sein Ziel zu gelangen. Hierfür zieht de Waal eine Studie von japanischen Wissenschaftlern mit Schimpansen heran. Die Tiere gaben sich genau die Werkzeuge, die sie brauchten, um an Futter zu gelangen, jedoch nur nach Aufforderung (request).[5]