Die Rückkehr der Bauernfänger

Experte: „Richtige Modewelle“

Für den steirischen Esoterikexperten Roman Schweidlenka von der Grazer Jugendberatungsstelle Logo ist das Vordringen esoterischer Angebote in den ländlichen Raum nichts Überraschendes. „Die Dichte ist sehr hoch“, sagt er im Gespräch mit dem hpd. „Anbieter gibt es in praktisch jedem Ort.“ Wo die herkommen, schildert ein steirischer Kleinunternehmer: „Für viele ist das ein Weg aus der Arbeitslosigkeit. Als ich meinen Jungunternehmerkurs beim Arbeitsmarktservice gemacht habe, waren fast die Hälfte der Teilnehmer Energetikerinnen und Energetiker.“

Allein, die Anbieter würden sich ohne Kunden bald nach anderer Arbeit umsehen müssen. Für Experten Schweidlenka sind verschiedene Umstände ausschlaggebend, dass diese Situation nicht eintritt. „Die Energetiker sind eine offizielle Fachgruppe der Wirtschaftskammer. Das gibt dem Ganzen den Touch der staatlichen Anerkennung“, sagt er.

„In der oberösterreichischen Wirtschaftskammer sind sogar die Neoshamanen organisiert.“ Viele Menschen würden daraus den Schluss ziehen, die Behandlungsmethoden seien wissenschaftlich anerkannten gleichgestellt. „Außerdem sind viele von der so genannten Schulmedizin enttäuscht. Das ist eine richtige Modewelle.“

Viele halten sich nicht an Vorgaben

Die Wirtschaftskammer rechtfertigt ihre Anerkennung der bis zu 15.000 Energetiker im Bundesgebiet als eigene Berufsgruppe unter anderem damit, dass sie so einer Qualitätskontrolle unterworfen wären – und man so auch ein eigenes, strenges Berufsbild habe. Schweidlenka erkennt die Vorgaben der Wirtschaftskammer an ihre Mitglieder durchaus an. Allein: „Aus meiner Beratungspraxis erfahre ich immer wieder, dass sich viele einfach nicht daran halten.“

Im Gegensatz zu den deutschen Heilpraktikern dürfen österreichische Energetiker etwa nur Gesunde „behandeln“. Kranke müssen sie sofort zum Arzt schicken. Dass das nicht alle Anbieter einhalten, legen schon diverse Internetauftritt nahe, die sich eher an Menschen mit Krankheiten oder Verletzungen richten als an Gesunde, die sich lediglich eine Verbesserung der Situation erhoffen.

Gemeinden fördern Anbieter

Die Gemeinden würden auch nicht so genau hinschauen. „Viele Gemeinden fördern esoterische Anbieter sogar. Zum einen sitzen in Gemeinderäten Leute, die der Esoterik positiv gegenüber stehen. Dann sind natürlich viele Anbieter mit wichtigen Leuten aus der Gemeinde verbandelt. Und die Bürgermeister hoffen oft, dass ein Energetiker im Ort die Wirtschaft oder den Tourismus ankurbelt.“

Das deckt sich mit Beobachtungen des hpd-Korrespondenten. Das Geschäft „Biokost biodemeter“ mit seinen anthroposophischen Einsprengseln taucht beispielsweise hochoffiziell auf einem Folder über die Kindberger Gesundheitsmesse auf. Gemeinsam mit dem eindeutig esoterischen „Grander Wasser“ und der einschlägigen Firma Arsanitas aus dem ebenfalls steirischen Ort Grambach. Mit im Programm eine TCM-Praxis (Traditionelle Chinesische Medizin) in Kindberg. Ebenfalls ein Anbieter, der mit wissenschaftlich nicht erwiesenen Methoden arbeitet.

Auch die offizielle Stadtvertretung von Bruck hat wenig Berührungsängste. Das Frauenreferat der Stadt veranstaltete eine Wanderung am Geomantieweg – und besingt das Ereignis nahezu hymnisch auf der Homepage: „Insgesamt 42 TeilnehmerInnen genossen in der gemeinsamen Meditation unter der Anleitung von Prof. Frohmann die Intensität, Kraft und Schönheit des Weitentales. Es waren zwei Nachmittage zum Innehalten und Spüren, zum Entspannen und Loslassen, zum Kräftesammeln und Energieauftanken für die vielfältigen Herausforderungen des Frauenalltags.“ Distanz klingt anders.

Klassische Eso-Gruppen sind out

So sehr die Esoterik im tiefen Land angekommen ist, so sehr bestehen allerdings grundlegende Unterschiede zum städtischen Bereich. Überspitzt könnte man sie mit der Formulierung „Geld statt Jünger“ umschreiben. Oder „Geld ohne Jünger.“ Das zeigt das Beispiel Steiermark. Roman Schweidlenka: „Richtige Esoterik-Gruppen, so genannte Sekten, gibt es hauptsächlich in Graz. In den ländlichen Regionen gibt es sicher vereinzelt etwas, mir ist derzeit nichts Größeres bekannt.“

Was klassische Eso-Gruppen betrifft, gibt Autor Fischler Schweidlenka Recht. Die würden sich nach wie vor im städtischen Bereich finden. Allerdings habe sich die Szene drastisch gewandelt. Gruppen seien heute loser organisiert. „Bei der klassischen Gruppe wird der Guru narzisstisch aufgewertet, die Jünger scharen sich eng um ihn. Heute sind Gurus eher kluge, spirituelle Unternehmer, aber mit weniger Charisma. Das Motto lautet: Narzissmus für alle.“ Diese losen Zirkel würden heute mitunter tausende umfassen.

In solchen Organisationsformen braucht es kein Zentrum mehr. Die Jünger wohnen nicht mehr beim Guru.

Ein Meister an jeder Hausecke

Fischler nennt dieses Phänomen Esoterik 2.0: „Gurus bilden ihre Schüler selbst zu Gurus aus. Über Fernseminare, monatliche Abos oder Matrix-Abende kann man sozusagen Aufstiegsschritte buchen.“ Der Experte beschreibt ein Seminar, das er bei der Recherche für sein Buch besucht hat: „Das war in der Nähe von Kitzbühel. 60 Teilnehmer waren hier, eine gut vernetzte spirituelle Gemeinschaft. Davon hat ca. ein Viertel der Teilnehmenden weitere Seminare zu Preisen von 400 Euro gebucht.“

Die moderne Szene könne man sich mehr wie „eine Mischung aus Strukturvertrieb und einem Onlinerollenspiel“ vorstellen. „Hier kommen Karrierismus, Spiritualität und Networkmarketing passfertig zusammen.“ Fischler spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Pyramidenspiel. „So viele spirituelle Meister gab’s noch nie. An jeder Hausecke gibt es einen. Man kann hier wirklich von einer Inflation der Meister sprechen. Immer neue Botschafter des Lichtes ziehen, zertifiziert mit allerlei energetischen Diplomen, selbst als Guerilla-Gurus hinaus und missionieren ihr Umfeld. Die von ihnen angeworbenen Schüler werden dann selbst irgendwann wieder zu Meistern, usw. Alle laben sich an der Aufmerksamkeit ihrer eigenen kleinen Gefolgschaft. Der esoterische Vertrieb wird zum Perpetuum mobile“

„Gesellschaft mit magischem Weltbild?“

Dass aus dem Eso-Business eine Modeerscheinung geworden ist, hat für Experten Schweidlenka tiefere Gründe: „Die Menschen haben den Glauben an die politische Veränderbarkeit der Gesellschaft verloren. Viele erleben sich als macht- und bedeutungslos, die Autoritätshörigkeit gibt es aber nach wie vor. Die Esoterik ist für viele eine Flucht aus der gesellschaftlichen Realität.“ Für ihn eine Folge der Veränderungen, die der Neoliberalismus in den vergangenen Jahren gebracht hat. „Manchmal frage ich mich, leben wir bereits in einer Gesellschaft mit einem magischen Weltbild?“

Christoph Baumgarten

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