Ein Universum aus Nichts

(hpd) Der amerikanische Physiker Lawrence M. Krauss fasst in seinem Buch den derzeitigen Stand der Forschung im Bereich der Kosmologie in leicht verständlicher Form zusammen. Seine Antwort auf die häufig gestellte Frage in der Form wie sie zuerst der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz gestellt hat „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" ist fundiert und klar: „Das Nichts ist nicht stabil“.

Dabei geht er ausführlich auf die Problematik der Definition des Nichts ein und erläutert die wissenschaftliche Theorie zur Entstehung unserer Welt aus dem Nichts. Zum Schluss gibt er einen Ausblick auf das mögliche langfristige Schicksal unserer Welt und den damit verbundenen Schlussfolgerungen für den Sinn unseres Daseins.

Das Buch ist eine Übersetzung der englischen Originalausgabe von 2012. Über die wesentlichen Inhalte des Buches hat Krauss im Jahr 2009 bei der Atheist Alliance International Convention (AAI 2009) einen Vortrag gehalten. Das nachfolgende Youtube-Video des Vortrags wurde bereits mehr als 1,6 Millionen Mal aufgerufen.

 

Wissenschaft statt Philosophie und Theologie

Von dem amerikanischen Philosoph Jerry A. Fodor stammt der Satz: „Manche Philosophen sehen Philosophie als das an, was man mit einem Problem macht, bevor es klar genug ist, um es mit Wissenschaft  lösen zu können“. Bei der Frage nach der Entstehung unserer Welt ist in den letzten Jahrzehnten genau dieses eingetreten. Die Naturwissenschaft ist jetzt so weit fortgeschritten, dass sie eine Antwort auf diese Frage liefern kann. Krauss schreibt dazu: „Die moderne Kosmologie hat uns dazu gebracht, Vorstellungen in Betracht zu ziehen, die ein Jahrhundert zuvor noch nicht einmal hätten formuliert werden können. Die großen Entdeckungen des 20. und 21. Jahrhunderts haben nicht nur die Welt verändert, in der wir tätig sind. Sie haben auch unser Verständnis der Welt (oder der Welten) revolutioniert, die direkt vor unseren Augen existieren oder existieren könnten – einer Wirklichkeit, die verborgen bleibt, bis wir kühn genug sind, nach ihr zu suchen. Aus diesem Grund sind Philosophie und Theologie letztlich nicht fähig, aus sich heraus die wahrhaft grundlegenden Fragen anzugehen, die uns im Hinblick auf unsere Existenz verwirren“.

Die Philosophie kann in der Tat bestenfalls Hypothesen über die Wirklichkeit aufstellen. Ob diese die Wirklichkeit zutreffend beschreiben, kann aber nur die Naturwissenschaft entscheiden. Metaphysik, Transzendenz und Theologie haben sich zur Aufklärung der Wirklichkeit nicht nur als restlos unbrauchbar erwiesen, sondern sie haben sie teilweise sogar vernebelt. Wissenschaft entzaubert die Natur, aber sie macht sie dadurch nicht weniger schön oder eindrucksvoll.

An anderer Stelle zitiert Krauss den berühmten Physiker Steven Weinberg mit den Worten: „Die Physik macht es nicht unmöglich an Gott zu glauben, sondern ermöglicht vielmehr, nicht an Gott zu glauben. Ohne Wissenschaft ist alles ein Wunder. Mit der Wissenschaft bleibt die Möglichkeit, dass gar nichts ist. In diesem Fall wird religiöser Glaube immer weniger notwendig und auch immer weniger relevant“. Im Nachwort schreibt Richard Dawkins: Mag sein, dass wir die Quantentheorie nicht verstehen, doch eine Theorie, welche die reale Welt auf zehn Dezimalstellen genau vorhersagt, kann in keinem direkt nachvollziehbaren Sinn falsch sein. Der Theologie mangelt es nicht nur an Dezimalstellen – ihr fehlt selbst der kleinste Hinweis auf eine Verbindung mit der Welt der Wirklichkeit. Wie sagte doch Thomas Jefferson bei der Gründung seiner University of Virginia: „In unserer Einrichtung sollte ein Lehrstuhl für Theologie keinen Platz haben“.

Das Nichts

Die Definition des Nichts ist innerhalb der Physik nicht ganz so einfach, wie sich das die meisten vorstellen. In der Regel stellt man sich unter dem physischen Nichts einen leeren Raum vor, d.h. einen Raum aus dem sämtliche Materie entfernt wurde. In der Physik bezeichnet man das als Vakuum. Krauss legt dar, dass es in einem solchen Raum vor virtuellen Teilchen nur so wimmelt. Die Heisenbergsche Unschärferelation erlaubt, dass diese Teilchen für eine extrem kurze Zeit in die Wirklichkeit eintreten und sofort wieder verschwinden. Das diese Vorstellung keine reine Hypothese ist, lässt sich experimentell über den so genannten Casimir-Effekt nachweisen. Zeit und Raum sind mehr als nichts und daher ist das Nichts im physikalischen Sinn nicht nur die Abwesenheit von Materie und Energie, sondern auch die Abwesenheit von Zeit und Raum.

Eine solche Definition übersteigt zwar unser Vorstellungsvermögen, aber das trifft ohnehin auf große Bereiche der modernen Physik zu. Die Quantenmechanik hat ihre eigene Logik und diese unterscheidet sich erheblich von unserer Alltagslogik. Unser Vorstellungsvermögen wurde über die Evolution für unsere alltäglichen Herausforderungen optimiert aber keineswegs für alle Bereiche der Wirklichkeit. Die Volksweisheit „Von nichts kommt nichts“ kann daher nicht als Argument für die Begründung eines göttlichen Schöpfungsaktes gelten, zumal eine solche Annahme keine wirklich Erklärung der Entstehung unserer Welt wäre, sondern eine Verklärung.

Dunkle Materie und Dunkle Energie

Krauss zeigt in den ersten Kapiteln, wie die Wissenschaftler aufgrund der astronomischen Beobachtungsergebnisse der letzten Jahrzehnte zwangsläufig auf die Hypothese der Existenz einer Dunklen Materie und einer Dunklen Energie kamen. Bezüglich der Dunklen Materie kam der entscheidende Hinweis von der Messung der Dynamik von Galaxien. Die Sterne bewegen sich näherungsweise in Kreisbahnen um das Massezentrum der jeweiligen Galaxie. Insbesondere ihre äußeren Bereiche drehen sich allerdings schneller um das Zentrum als dies nach Abschätzung der bekannten Massen, d.h. Sterne, Schwarze Löcher und interstellaren Gas- und Staubwolken möglich wäre.

Ein weiterer empirischer Beweis kam von dem beobachteten so genannten Gravitationslinseneffekt. Galaxienhaufen lenken nach der allgemeinen Relativitätstheorie Lichtstrahlen derart von ihrer ursprünglichen Richtung ab, das sie zuweilen wie eine Linse wirken und dahinter liegende Objekte sozusagen vergrößert erscheinen lassen. Auch hier war der Effekt wesentlich größer als es von der normalen Masse her zu erwarten gewesen wäre.

Aus der Vielzahl einzelner Messungen konnte mittlerweile bestimmt werden, dass die bisher bekannten materiellen Komponenten des Universums insgesamt nur einen kleinen Teil der für die Gravitationseffekte wirksamen Gesamtmasse ausmachen. Der Rest ist der Dunklen Materie zuzurechnen. Aus welchen Elementarteilchen dieser Anteil der Materie besteht, ist Gegenstand intensiver Forschung.

Seit einer Veröffentlichung von Edwin Hubble im Jahr1929 wissen wir, dass sich die Galaxien von unserer eigenen Milchstraße entfernen und zwar mit einer Fluchtgeschwindigkeit, die proportional mit dem Abstand zunimmt. Extrapoliert man die Fluchtbewegung zurück in die Vergangenheit, so scheint alle Materie am Anfang des Universums in einem Punkt konzentriert gewesen zu sein. Dieser Befund führte zur Formulierung der Urknalltheorie. In den letzten Jahrzehnten konnten diese Messungen erheblich verfeinert werden. Zur Abstandsmessung wird die scheinbare Helligkeit von Sternexplosionen (Supernovae) herangezogen. Am Ende des Lebens von Sternen oberhalb einer bestimmten Masse explodieren diese. Dauer und Helligkeit dieser Explosionen folgen einem festen Muster, sodass aus dem Verlauf der Explosion die absolute Helligkeit berechnet werden kann. Aus Vergleich der absoluten mit der scheinbaren Helligkeit kann dann die Entfernung bestimmt werden.

Ein großer Vorteil dieser Methode ist auch, dass die Helligkeiten der Explosionen so stark sind, dass sie in der Größenordnung der Gesamthelligkeiten von Galaxien liegen und damit über riesige Entfernungen hinweg detektiert werden können. Die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien kann über deren durch den Dopplereffekt zu größeren Wellenlängen hin verschobenes Lichtspektrum (Rotverschiebung) bestimmt werden. Nun sollte man eigentlich erwarten, dass sich die Fluchtgeschwindigkeit mit der Zeit etwas verringert, da die Gravitation zwischen den Galaxien bremsend wirkt. Genauere Messungen an besonders weit entfernten Galaxien zeigten aber genau das Gegenteil. Es tritt eine Beschleunigung ein. Physikalisch erklärt werden kann dies nur über ein bisher unbekanntes Kraftfeld das mit Dunkler Energie bezeichnet wurde.

Da man nach Einstein Masse in Energie umrechnen kann, stellt sich die Frage wie groß die gesamte Dunkle Energie im Vergleich zur gesamten Masse ist. Das aktuelle Ergebnis ist, dass die Dunkle Energie 68,3% ausmacht und der Rest aus 4,9% Materie (Atome) und 26,8% Dunkler Materie besteht. Der sichtbare Teil des Universums, d.h. die leuchtenden Sterne, macht dabei insgesamt nur etwa 1% aus. Sowohl die gesamte Masse als auch die Gesamtmenge der Dunklen Energie lassen sich zusammenfassen als positive Gesamtenergie des Universums. Ihr gegenüber steht die gesamte Gravitationsenergie, die ein negatives Vorzeichen hat. Zählt man diese beiden Beiträge zusammen, so ergibt sich innerhalb einer Fehlergrenze von wenigen Prozent eine Gesamtenergie von Null.

Die Vermessung des Universums

Eine der zentralen Fragen der Kosmologie ist die nach der Geometrie des Raumes. Leben wir in einem positiv gekrümmten Universum, das geschlossen ist oder einem negativ gekrümmten, offenen Universum oder genau an der Grenze zwischen diesen beiden Möglichkeiten, nämlich in einem flachen Universum? In einem flachen Universum ist die Winkelsumme eines Dreiecks genau 180°, während sie in einem positiv gekrümmten größer ist und in einem negativ gekrümmten kleiner. Krauss legt dar, wie durch Messung der räumlichen Verteilung der Fluktuation der kosmischen Hintergrundstrahlung eine Bestimmung der Geometrie möglich wurde. Die bisher präzisesten Kartierungen dieser Strahlung stammen von den Forschungssatelliten WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) und Planck.

Die Ergebnisse deuten mit einer Genauigkeit von einem Prozent auf ein flaches Universum hin. Dies deckt sich genau mit der oben erwähnten Bestimmung der Gesamtenergie des Universums, denn die Theorie fordert für ein flaches Universum eine Gesamtenergie von Null. Mit anderen Worten, für die Entstehung des Universums ist überhaupt keine Energie erforderlich und deshalb kann es durch Quantenfluktuationen aus dem Nichts entstanden sein.

Krauss zieht den Schluss: „Die Quantengravitation scheint nicht nur zuzulassen, dass Universen aus dem Nichts hervorgehen, sie könnte sie sogar erfordern. Das „Nichts“ – in diesem Fall kein Raum, keine Zeit, kein gar nichts! – ist tatsächlich instabil“. Das was diese Theorie so überzeugend macht, sind die voneinander unabhängigen Beobachtungsergebnisse, die alle in die gleiche Richtung zeigen, nämlich einem flachen Universum mit der Gesamtenergie Null. Selbst die Häufigkeitsverteilung der Elemente passt genau in dieses Bild.

Die letzte Lücke für einen Schöpfergott: Schaffung der Naturgesetze.

In die Enge getriebene Theologen sehen zuweilen die letzte Chance für die Argumentation der notwendigen Existenz eines Schöpfergottes darin, dass er die Naturgesetze geschaffen hat, nach denen der Urknall abgelaufen ist. Aber auch dieses Argument lässt sich entkräften. Die modernen Theorien der Quantengravitation und der Superstringtheorie deuten darauf hin, dass unser Universum nicht das einzige ist, sondern dass es Teil eines Multiversums ist, das aus einer riesigen Zahl einzelner Universen besteht. In den einzelnen Universen gelten dann zufällige Naturgesetze mit zufälligen Naturkonstanten. Nach dem anthropischen Prinzip leben wir zwangsläufig in einem Universum mit Naturgesetzen, die biologisches Leben ermöglichen. Von diesen Argumenten ganz abgesehen ist ein Gott, der die letzten verbliebenen Lücken naturwissenschaftlicher Erkenntnis füllt, ein recht armseliger Gott. Krauss fragt in einem Interview: Wohin geht Gott, wenn die letzten Lücken gefüllt sind?

Das düstere Ende der Welt

Man kann zwar im Rahmen der Kosmologie die Zukunft der Welt nicht mit absoluter Sicherheit vorhersagen. Aber nach unserer derzeitigen Kenntnis wird sich unser Universum immer weiter ausdehnen, die Sterne werden verglühen und die Materie wird restlos zerfallen. Irgendwann wird es aufgrund der physikalischen Bedingungen weder biologisches Leben noch künstliches Leben bzw. Intelligenz geben können. Sogar jedwede Information über irgendwelche Zivilisationen wird verschwinden. Insofern müssen wir feststellen, dass es einen höheren letzten Sinn unserer Existenz grundsätzlich nicht geben kann.

Das ändert allerdings nichts daran, dass wir unserem Leben einen auf die Dauer unserer Zivilisation begrenzten Sinn geben können. Krauss schreibt dazu: „Ein Universum ohne Zweck oder Lenkung mag manchem so erscheinen, als werde das Leben dadurch bedeutungslos. Für andere, zu denen auch ich mich zähle, wirkt ein solches Universum belebend. Es macht die Tatsache unserer Existenz noch erstaunlicher und motiviert uns, aus unserem eigenen Handeln Bedeutung abzuleiten und aus unserer kurzen Existenz unter der Sonne das Beste zu machen“.

Widerspruch

In Kreisen konservativer Philosophen und Theologen hat das Buch erheblichen Unmut und Widerspruch erzeugt. So bemängelt der New Yorker Philosoph David Albert, dass das von Krauss beschriebene Nichts ein Quantenvakuum sei, das in der Lage ist, Partikel in die Wirklichkeit zu bringen und es wäre somit etwas anderes als das von Philosophen und Theologen idealisierte Nichts.

Der Berliner Philosoph Claus-Peter Eichhorst schreibt in seinem Buch „Das falsche Nichts“ Aber ihr (Anm.: Physiker wie z.B. Lawrence Krauss und Stephen Hawking) Irrtum steht fest, ein Mahnmal pseudo-naturalistischer Hybris. Denn ein Nichts, aus dem ein Universum wird, ist — wie das Nichts der Schöpfungstheologen — kein Nichts: ein falsches Nichts. Der Münchner Philosoph und Jesuit Godehard Brüntrup meint, etwas was nicht existiert, kann auch nichts bewirken.

Krauss bezeichnet solche Kritiker als „idiotische Philosophen“, denn ein anderes Nichts, als das der physikalischen Definition, könne es in der Wirklichkeit nicht geben. Der Streit wird weiter gehen. Noch sind nicht wirklich alle Fragen der Kosmologie geklärt, aber der Nebel lichtet sich. Wissenschaft weiß noch nicht alles, Religion weiß nichts.

Bernd Vowinkel

Lawrence M.Krauss, „Ein Universum aus Nichts“. 256 Seiten, Albrecht Knaus Verlag, ISBN-13: 978-3813504682 (Originaltitel: A Universe from Nothing: Why There is Something Rather Than Nothing)