Tornado der Tunfische

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Blauflossen-Tunfische / Fotos: Brinckmann/IKAN

MITTELMEER. (hpd) Immer mehr wird das Essen von Fischen zum Lifestyle der Gegenwart. Nicht nur in Japan besteht eine Sushi-Kultur, auch in Europa und in den USA eröffnen immer mehr Sushi-Restaurants. Die fatalen Folgen für den Artenschutz in den Meeren verdeutlicht ein Bericht über den weltweiten Aufbau von Aqua-Kulturen und den Bestand der Blauflossen-Tunfische ihr begehrtes rotes Fleisch ist nicht nur fett und nahrhaft, sondern auch sehr zart.

Ein Bericht von Daniel Brinckmann

„Mißvergnügt schwammen wir zu einem Riff hinaus, das einige hundert Meter vor der Küste lag [...]. Das Wasser unter uns, eben noch gähnend leer, blitzte jetzt von dreißig riesigen Fischen. Sie hatten pralle silberglänzende Körper und schwammen wie verrückt im Kreis. Und es wurden immer mehr und mehr.“ So erinnert sich Tauchervater Hans Hass in seinem Buch „Vorstoß in unbekannte Meere“ an seine erste Begegnung mit Tunfischen an der Côte d'Azur im August 1937.

Vorm geistigen Auge läuft eine verstaubte Videokassette aus dem Keller ab, ein Zeitdokument namens „Menschen unter Haien“ aus den 1940ern, in dem riesige Brassen, wahre Teppiche von Stachelrochen und Schwarzspitzenhaie im griechischen Flachwasser auftauchen als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Und Tunfische, die Wände von Mönchsfischen durchschneiden über Seegraswiesen wie sie jeder kennt, der mal einen Blick unter die Oberfläche des Mittelmeers geworfen hat. Altgediente Haudegen erinnern sich: Noch bis in die 1960er-Jahre waren Begegnungen mit Tunfischen im Mare Nostrum keine Seltenheit; ob nun in Südfrankreich, vor Elba, den alten Laichgebieten in den Fjorden der kroatischen Inselwelt oder rund um Malta.

Strudel in der Sackgasse

Eben dort, im Hier und Jetzt in 35 Meter Tiefe vor der St. Paul's Bay, steigen die Luftblasen hinein in einen Tornado aus hunderten silbern glänzender Leiber. Kaum einer misst weniger als eineinhalb Meter. Wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben, drehen sich die Tunfische perfekt synchron in einem Unterwasserballett, das faszinierend anzusehen ist und schwindlig macht. So ganz ohne Riff oder einen anderen Fixpunkt im Blickfeld werden Proportionen relativ und das Gleichgewichtsorgan spielt munter Streiche. Kaum einer der Fische hält einen Sicherheitsabstand, die Kunst ist eher, sich nicht über den Haufen schwimmen zu lassen.

Aus der Nähe sind die gelben Höcker vor der Schwanzflosse deutlich erkennbar, ebenso der markante leuchtend blaue Streifen, der über den ganzen Rücken der Tiere läuft. Blauflossen-Tunfische sind Meeresräuber der Superlative: kraftvoll, bullig und perfekt angepasst an ihren Lebensraum. Bis zu dreißig Jahre alt können sie werden, eine halbe Tonne Gewicht erreichen und bei der Jagd gut und gerne auf 35 Stundenkilometer beschleunigen. Sie schlafen nicht und unternehmen dafür aber regelmäßig Ausflüge in bis zu 900 Meter Tiefe. Zum Laichen kehren die Tiere zurück zu den Gewässern ihrer Geburt, so wie Meeresschildkröten. Die Weibchen tragen bis zu 30 Millionen Eier – und gerade deshalb hat der Zug der Fische vor dem Maskenglas etwas Gespenstisches.

Eine Parade von lebenden Toten

Wo sieht man denn solche Tiere heutzutage überhaupt noch im Mittelmeer? Und dann noch so viele. Der atemberaubende Anblick der kreisenden Leiber unter dem Sonnenball macht die Tarierung für einen Moment vergessen und nach einer kurzen Aufzugfahrt im Freiwasser lande ich viel zu sanft auf dem Boden der Tatsachen. Auf dem Grund eines fünfzig Meter breiten runden Netzes. So schön das Erlebnis in freier Wildbahn wäre - es ist und bleibt nur eine Aquakultur. Genauer gesagt: eines von 22 Mast-Netzen, die von einer lokalen Fischereikooperative betrieben werden. 22 mal gut 300 geschlechtsreife Tiere einer Art, die im Mittelmeer langsam aber sicher ausstirbt. Im Schwarzen Meer und in der Nordsee war es schon vor Jahrzehnten so weit.

Global Player wider Willen

Die Tunfisch-Mast im Mittelmeer ist ein boomender Wirtschaftszweig, vor Malta und Comino  ebenso wie in der Türkei oder neuerdings auch vor der nordafrikanischen Küste. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Spätestens seit Sushi und Sashimi zu internationalen Trend-Snacks geworden sind, hat die Nachfrage stark angezogen während sich der Bestand der Tiere im Sinkflug befindet. Das Damoklesschwert über dem Blauflossen-Tunfisch des Mittelmeeres ist sein Ruf, der fetteste und damit edelste Vertreter seiner Gattung zu sein. So sieht es zumindest der alles entscheidende japanische Markt, hinter dem seinerseits bekannte nationale Großkonzerne stehen, die sonst eher für Automarken oder Unterhaltungselektronik stehen. Und der Dosentunfisch aus den deutschen Supermärkten? Für schnödes Dosenfutter ist der Blauflossen-Tunfisch längst zu selten geworden. Schuld daran tragen mangelnde Fischereikontrollen und die Misswirtschaft der EU-Anrainerstaaten. Die ohnehin mühsam fixierten Fangquoten werden regelmäßig von der Industriefischerei untergraben, und notfalls wird dann eben ein verhältnismäßig kleines Bußgeld bezahlt wenn die Flotte einige Tage länger draußen bleibt als es die Vorschriften zur Fangsaison erlauben. Die Rechnung ist kühl und präzise kalkuliert - der Reingewinn wird es schon richten...

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Kommerz pur vor Malta: Um die getöteten Mengen der Riesentunfische zeitsparend an den Kunden zu bringen, werden sogar Kranschiffe eingesetzt.

Am Mittelmeer hat man wie kaum anderswo Erfahrung mit dem Streit um die letzten Reste Fisch. Ein Vorstoß der USA, bei den Vereinten Nationen, Fang und Handel mit der Art komplett auszusetzen, scheiterte weniger an Vetos als an den Enthaltungen der meisten europäischer Staaten. Der Hauptgegner Japan erkannte das Washingtoner Artenschutz-Abkommen CITES für den Atlantischen Blauflossen-Tunfisch gar nicht erst an.

Die Internationale Kommission zur Erhaltung der Atlantischen Tunfische (ICCAT) schätzte im Jahr 2009, dass die ostatlantische Population der Blauflossen-Tunfische, die zum Laichen ins Mittelmeer zieht und dabei Hoheitsgewässer verschiedener Länder und internationale Gewässer passiert, in den vergangenen 40 Jahren um 72 Prozent zurückgegangen ist. Schon der Weg zu den Laichgründen durch die Straße von Gibraltar ist ein Spießrutenlauf: Portugiesen, Spanier und Marokkaner stellen den Tieren von drei Himmelsrichtungen aus nach noch bevor sie sich fortpflanzen können.

Sobald sie im westlichen Mittelmeer angekommen sind, schlägt die Stunde der industriellen Fangflotten: Helikopter oder Flugzeuge spähen die Meeresoberfläche nach Tunfisch-Schwärmen aus wenn die Tiere zum Laichen zwischen Mai und Juli ins Flachwasser  kommen und geben die Position per Funk an die Fangflotten weiter. Mit Ringwadennetzen wird der Schwarm eingekreist und – im Gegensatz zu früheren Zeiten – lebendig zu den Mastbetrieben transportiert. Schließlich werden die Tiere durch den Befischungsdruck nicht mehr so groß wie vor 30 Jahren.

Reproduktion findet in den Netzen bislang nicht statt. Die Zucht in Aquakulturen ist bislang nur einmal geglückt, vor der Küste Australiens, mit dem nahe verwandten Südlichen Blauflossen-Tun. Derzeit wird mit Manipulation von Lichtverhältnissen und Hormonpräparaten experimentiert. Bis die Forschungen Früchte tragen – oder auch nicht – werden weiterhin auch die Jungfische weggefangen, etwa im letzten bedeutenden Laichgebiet vor den Balearen, was dem Bestand der Art in freier Wildbahn massiv schadet.

Erntetag

Solche Gedanken tauchen im Netz unweigerlich mit. Bis plötzlich ein Knall die Stille zerreißt, in einem Sekundenbruchteil gefolgt von einer Druckwelle. Mir schwant Übles. Augenblicklich erhöhen die Tunfische ihre Schlagzahl, einige Körper zeigen weiße Flecken. Ob es „nur“ ihr Instinkt oder die tiefen Frequenzen der letzten Zuckungen ihrer Artgenossen sind – die Tiere spüren offenbar genau, dass es den anderen Tunfischen ein paar hundert Meter weiter an die Kiemen geht. Geräusch und Druckwelle können nur von einer Dynamit oder dem Explosivsprengkopf einer Harpune stammen. Der ohnehin schon unangenehme Sog, den die kreisenden Fische erzeugen, wird mit einem Mal fast unerträglich. Immer wieder knallt es und immer mehr Panik verbreitet sich unter den Fischen. Egal, wie viel Luft der Inflator ins Jacket bläst, ohne Fußgas erscheint die Oberfläche unerreichbar.

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Hinter Gittern: Immer unter Beobachtung des Zuchtpersonals reifen die Tunfischschwärme heran.

Der Anblick, der sich hinter mir bei den anderen Netzen bietet, ist so lustig wie ein Angstschrei: Ein Taucher hängt mehrere frisch erlegte Riesentunas an den Haken und Sekunden später hebt der dazugehörige Hydraulikarm die gewaltigen Körper aus dem Wasser. Bevor sie auf dem Transportboot landen und abgespült werden, laufen dicke Blutfäden aus den harpunierten Köpfen und klatschen auf's Wasser. Mit Mühe hieve ich Kameragehäuse und Tauchequipment auf die schmale Trittstufe am Außenrand des Netzes. In dem Moment ist das Transportboot schon auf dem Weg zu einem Fabrikschiff, das zweihundert Meter weiter vor Anker liegt. Beim Rückweg zum Boot scannt der Blick instinktiv das Blauwasser: Systematisch getötete Tunfische und reichlich Blut im Wasser sind Schlüsselreize, die früher regelmäßig auch Weiße Haie zu Tunfischfarmen gelockt haben. Dass das auch heute noch mangels natürlicher Nahrung der Fall ist, beweist ein zwei Monate altes Youtube-Video, in dem zu sehen ist, wie ein trächtiges Haiweibchen in einer tunesischen Farm mit Schrot förmlich durchsiebt wird.

Tauziehen um Tunas

Zurück an Bord ist der Griff zur Kamera selbstverständlich – Kommissar Zufall taucht schließlich nicht jeden Tag mit, aber wenige Fotos später ist das Transportschiff auch schon auf dem Weg zu uns. Die Kamera verschwindet unter einem Handtuch und Skipper Sean (Name geändert) wimmelt die Besatzung des Transporters mitsamt ihrer Fragen ab so gut es geht.

Zwar hat das „Oh Yeah Cruises & Watersports“ in der Bucht von Mellieha ein Abkommen mit der Fischereigenossenschaft, das ihnen erlaubt, Schnorchler oder Taucher zu den Tunas ins Wasser zu lassen, aber das wird auf deren Webseite weder beworben noch gibt es Tauchausrüstungen zu leihen. Für die meisten Tauchbasen auf Malta sind Besuche der Mastbetriebe tabu wie der Chef einer britischen Basis erklärt: „Es ist außerdem gut möglich, dass Tauchgänge darin im nächsten Jahr gar nicht mehr möglich sind weil die Firma ihre Thunfischnetze falsch deklariert hat und sie rein rechtlich viel weiter entfernt vor der Küste liegen müssten.“

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Der Markt für das Fleisch eines Blauflossentuns ist nicht mehr zu sättigen.

Das Thema selbst wird in der Presse und in Internetforen diskutiert, speziell im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten bekriegen sich Gegner und Befürworter bis auf's Blut. Profit, Tradition, der Job des Einzelnen versus Artenschutz, Wasserverschmutzung durch Futter und Fäkalien und die potentielle Einladung an das Große Weiße Schreckgespenst der Badegäste. Die bösen Blicke, die ich an Bord ernte, sprechen jedenfalls Bände - das Thema ist hochsensibel.

„Schreib nichts Schlechtes, die Fischfarm ist hundertprozentig legal“, meint Sean kurz angebunden. „So geht das jetzt noch weiter bis nach Einbruch der Dunkelheit, die haben noch eine Menge zu tun bis alle Netze leer sind.“

Tatsächlich: Am nächsten Morgen liegt das Fabrikschiff immer noch auf Reede. An die Leine gelegt wurde dagegen zeitweise das Kommandoschiff „Steve Irwin“ von Sea Shepherd. Vor zwei Jahren zog eine maltesische  Fischereigenossenschaft vor ein britisches Gericht, nachdem die radikalen Tierschützer ein Tunfischnetz auf hoher See rammte. Dabei entstand angeblich ein Schaden von einer Million Euro, ein maltesischer Taucher wurde schwer verletzt. Die Klage wurde in diesem Sommer abgewiesen, die Gerichtskosten der Genossenschaft angelastet. In einer offiziellen Stellungnahme von Sea Shepherd heißt es: „Wir haben 800 große, gefährdete Blauflossen-Tunfische befreit, die von Wilderern illegal vor der Küste Libyens gefangen wurden. Wir haben die Netze zerschnitten, und als uns das maltesische Unternehmen, das den Besitz der befreiten Fische beansprucht, verklagt hat, haben wir vor Gericht unseren Mann gestanden und gewonnen – die Tunfische haben gewonnen und die Wilderer verloren.“

Hoffnung macht der Zusammenschluss von zwei weniger energischen aber länger etablierten Organisationen: WWF und Greenpeace setzen sich derzeit für ein Tunfisch-Schutzgebiet in den Laichgründen ein. Einige hundert Kilometer westlich von Ibiza und ebenso weit östlich von Menorca und bis vor die nordafrikanische Küste soll die Schutzzone reichen. Davon sollen nicht nur alle sechs Tunfisch-Arten des Mittelmeeres profitieren - für Meeresschildkröten und Haie ist das nährstoffreiche Seegebiet kaum weniger wichtig.

Filmtipp: Sushi – The global catch (Trailer):

Blauflossenthunfisch: Artenschutz kontra Esskultur | GLOBAL 3000:

Tunfische des Mittelmeeres

Im Mare Nostrum leben sechs Tunfisch-Arten – in absteigender Größe: Blauflossen-Tunfisch (Thunnus thynnus, Rekord: 4,58m, sonst bis 3m), Weißer Tunfisch (T. alalunga, bis 1,4m), Thonine (Euthynnus alletteratus), Echter Bonito (Katsuwonus pelamis, bis 1m), Pelamide (Sarda sarda, bis 90cm) und Fregatten-Makrele (Auxis rochei, bis 50cm). Ist an einer Tauchbasis die Rede von Tunfischen, handelt es sich dabei aber meistens um Bernsteinmakrelen (Seriola dumerili oder die kleineren S. rivolana). Diese Stachelmakrelen können bis knapp unter zwei Meter lang werden und nähern sich im Frühjahr und Herbst den Küsten, zum Laichen und um von der durch die Algenblüte angekurbelten Nahrungskette zu profitieren. Von den echten Tunfischen werden bei Tauchgängen am ehesten noch Pelamiden beobachtet, die umgangssprachlich gern als Bonitos durchgehen. Alle anderen Arten wird man bestenfalls an abgelegenen Seebergen oder exotischen Hochseeinseln begegnen. Die besten Plätze kennt – da schließt sich der Mittelmeer-Kreislauf – leider die harpunierende Fraktion.