Rosen für die Mütter

CUXHAVEN. Bei der traditionsreichen Jugendweihefeier am vergangenen Sonntag im

fast ausverkauften Stadttheater in Cuxhaven hatten sich die Jugendweihlinge etwas sehr Nettes einfallen lassen: nachdem sie ihre Urkunden von ihrem Kurslehrer Dierk Müller und den Jugendweihe-Almanach vom Bertelsmann-Verlag vom Festredner, dem Vizepräsidenten von Jugendweihe Deutschland e.V., Konny G. Neumann erhalten hatten: Sie baten ihre Mütter zu sich auf die Bühne und überreichten ihnen als Dank für die Hege und Pflege in den Kinderjahren eine Rose.

 

Strahlende Gesichter bei den Jugendlichen und ihren Müttern. Die sehr harmonische Feier fand so ihren Höhepunkt im Verständnis der Generationen.

In seiner Festrede hatte der Redner die Jugendlichen aufgerufen, einerseits Träume für die Zukunft zu entwickeln, diese Träume auch zu verwirklichen, dabei jedoch immer an ihre humanistische Verwurzelung und Absicherung zu denken. Die Standortbeschreibung der Freidenker und Humanisten in Cuxhaven „Wir sind nicht Papst, die Ideen von Bischof Mixa und Eva Herrmann sind rückwärtsgewandt, während wir auf Fortschritt bauen" fanden lautstarken Beifall bei den rund 200 Feiergästen.

Die launige Rede von Konny G. Neumann begann bei den Hauptpersonen: „Sehe ich da neben dem sorgfältigen Make-Up der jungen Damen und den gut frisierten Köpfen der jungen Herren nicht auch besondere Lebensfreude in den ersten Reihen ? Feierlich sind sie gekleidet, Stolz und Freude strahlt aus ihren Augen und auch ein wenig Aufregung ist schon mit dabei ... Kurz vor Eurem großen Auftritt beim Einzug in den Festsaal habe ich ja die ehrliche Antwort von Euch bekommen, dass die Hände feucht vor Aufregung sind und das ist auch gut so. Gefühle gehören nun einmal dazu. Wie war es denn heute morgen beim Blick in den Spiegel? Ratschläge der Eltern noch zum großen Auftritt der flügge gewordenen Kinder?"

Dann umriss er die aktuelle und die historische Situation: „Mit großen Schritten eilt ihr, liebe Mädchen und Jungen dem Erwachsensein entgegen; mit dieser Feier begehen wir in diesem feierlichen Rahmen das Fest der Jugend, mit etwa 100.000 weiteren Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland - wie es bereits seit 155 Jahren geschieht.

Der damalige Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Henning Voscherau, der auch selber an der Jugendweihe teilgenommen hat schrieb für unser Gedenkbuch, das aus Anlass der Einhundertjahrfeier in Hamburg herausgegeben wurde, in seinem Grußwort: ‚Die Jugendweihe, entstanden auf Initiative von Freidenkern und Freireligiösen als Gegenstück zur kirchlichen Konfirmation und Kommunion, und die Kulturbestrebungen der Hamburger Arbeiterschaft haben gemeinsame Wurzeln: beide wehrten sich gegen die staatliche Obrigkeit des 19. Jahrhunderts. Der Kampf um Jugendweihe und die Vorbereitungskurse entsprangen dem Aufbegehren gegen die rechtliche und soziale Benachteiligung weiter Bevölkerungskreise. So ist das Ringen um die Durchsetzung der Jugendweihe auch ein Stück Geschichte der Demokratiebewegung.' "

Sein Hauptanliegen kleidete er dann in Zitate eines deutschen Schriftstellers: „Erich Kästner, dessen Bücher öffentlich von den Nazis verbrannt wurden, warnte sehr früh vor dem braunen Spuk und mahnte auch nach der schrecklichen und sinnlosen Zerstörung seiner Vaterstadt durch Bomben der Amerikaner und Briten und dem Tod Tausender von Zivilisten und Flüchtlingen am Ende des Zweiten Weltkrieges, man müsse darauf achten, dass mit dem Wiederaufbau der Städte und der Demokratie die Freiheit ganz errungen werde.
‚Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch', schrieb er und erläuterte dies später in vier Punkten, denen er den folgenden Vorschlag voranstellt: ‚Liebe Kinder', rät er, ‚wenn ihr etwas nicht verstanden haben solltet, fragt Eure Eltern! Und, liebe Eltern', fährt er fort, ‚wenn Sie etwas nicht verstanden haben sollten, fragen Sie Ihre Kinder!'

Als ‚vier archimedische Punkte' bezeichnete Kästner die folgenden Eckpfeiler menschlicher Orientierung:

‚1. Jeder Mensch höre auf sein Gewissen! Das ist möglich. Denn er besitzt eines. Diese Uhr kann man weder aus Versehen verlieren, noch mutwillig zertrampeln. Diese Uhr mag leiser oder lauter ticken, - sie geht stets richtig. Nur wir gehen manchmal verkehrt.

2. Jeder Mensch suche sich Vorbilder! Das ist möglich, denn es existieren welche. Und es ist unwichtig, ob es sich dabei um einen großen toten Dichter, um Mahatma Gandhi oder um Onkel Fritz aus Braunschweig handelt, wenn es nur ein Mensch ist, der im gegebenen Augenblick ohne Wimpernzucken das gesagt und getan hätte, wovor wir zögern. Das Vorbild ist der Kompass, der sich nicht irrt und uns Weg und Ziel weist.

3. Jeder Mensch gedenke immer seiner Kindheit! Das ist möglich. Denn er hat ein Gedächtnis. Die Kindheit ist das stille, reine Licht, das aus der eigenen Vergangenheit tröstlich in die Gegenwart und Zukunft hinüber leuchtet. Sich der Kindheit wahrhaft erinnern, das heiß: plötzlich und ohne langes Überlegen wieder wissen, was echt und falsch, was gut und böse ist. Die meisten vergessen ihre Kindheit wie einen Schirm und lassen sie irgendwo in der Vergangenheit stehen. Und doch können nicht vierzig, nicht fünfzig spätere Jahre des Lernens und Erfahrens den seelischen Feingehalt des ersten Jahrzehnts aufwiegen. Die Kindheit ist unser Leuchtturm.

4. Jeder Mensch erwerbe sich Humor! Das ist nicht unmöglich. Denn immer und überall ist es einigen gelungen. Der Humor rückt den Augenblick an die richtige Stelle. Er lehrt uns die wahre Größenordnung und die gültige Perspektive. Er macht die Erde zu einem kleinen Stern, die Weltgeschichte zu einem Atemzug und uns selber bescheiden. Das ist viel. Bevor man das Erb- und Erzübel, die Eitelkeit, nicht totgelacht hat, kann man nicht beginnen, das zu werden, was man ist: ein Mensch.'

Ich denke in diesem Sinne seid ihr von euren Eltern auf das Leben vorbereitet worden. Hierfür gebührt ihnen Dank und ich denke ein Applaus von Euch an dieser Stelle würde sie freuen!"

Mit Beifall bekundeten die Jugendlichen, die Eltern, Verwandten und Freunde ihre Zustimmung zu Kästners Ansicht.
Nach der Feier bedankten sich zahlreiche Eltern persönlich für die gelungene Feier und vier Elternpaare kamen spontan zu den Veranstaltern und versprachen ihre Mitarbeit, damit zukünftig noch mehr Jugendliche in den Vorbereitungsstunden und auf der Feier in Cuxhaven betreut werden können.

 

Iris Bergmann