Trotz seines Rücktrittsgesuches und eines Lungeninfarktes bleibt der 75-jährige Christoph Schönborn weiterhin Kardinal von Wien. Ein guter Zeitpunkt für eine kritische, weihrauchfreie Bewertung eines tschechischen Flüchtlings aus altem böhmischen Adel, dem in Wien eine Restitution seines Standes gelang, aber mit vielen holprigen Passagen.
Der Kardinal war Nachfolger des möglicherweise bestgehassten Wiener Kardinals aller Zeiten, obwohl diesbezüglich die Latte hoch liegt. Hans Herrmann Groër (Bild), war in einem Artikel im Profil von Josef Hartmann, ein Ex-Zögling Groërs in dessen Zeit als Lehrer im Knabenseminar Hollabrunn, nachgesagt worden, als Bub Opfer von Groërs sexuellen Übergriffen geworden zu sein.
Groer schwieg bis zu seinem Tod im Jahr 2003.
Der Missbrauchsskandal um den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër ist auch heute noch immer ein Paradebeispiel für den Umgang der Kirche mit Sexualstraftätern in ihren Reihen, die lange Zeit dicht geschlossen gehalten wurden um mutmaßliche Kinderschänder zu schützen. Erst wenn Betroffene sexueller Gewalt mit ihrer Leidensgeschichte an die Öffentlichkeit gehen und der Druck durch Medienberichte so stark wird, dass ein Leugnen nicht länger aufrechtzuerhalten ist, kommen Eingeständnisse.
Kardinal Schönborns erste Jahre als Kardinal waren davon geprägt. Entrüstet äußerte sich Schönborn 1995, dass man so mit einem Kardinal verfährt, das sei "unwürdiger Enthüllungsjournalismus". Er nannte die Beschuldigungen "infam". Er nahm Groër in Schutz, anstatt den Dingen auf den Grund zu gehen, was eine Jahrhunderte lang geübte Praxis darstellt: "Mauern und aussitzen".
Die katholische Kirche in Österreich hätte 24 Jahre zuvor weltweite Vorreiterin in Sachen Aufklärung von Missbrauchsfällen in ihren Reihen werden können. Sie entschied sich aber dafür, "einen der größten Knabenschänder Niederösterreichs", wie ihn Michael Imlau, ein von Groër geweihter deutscher Priester, bezeichnet, zu decken und seine Opfer zu diffamieren.
So dauerte es fast 10 Jahre, bis das Leugnen sinnlos wurde und Schönborn Groer und die lange Liste von aufgebrochenen Missbrauchsfällen als ein Problem ansah, mit dem öffentlich umgegangen werden musste. Letztlich zeigt die Austrittskurve unmittelbar nach der Affäre Groër steil nach oben. Der Kirchenmanager richtete eine "unabhängige" Kommission ein, welche die Missbrauchsfälle "schnell" und "unbürokratisch" behandeln sollte. Wer allerdings den Film "Die Kinder lassen grüßen" und "Gelobt sei Gott" gesehen hat, der gewinnt eher den Eindruck, dass es vor allem um "schnell" ging. Denn die Kirche leidet enorm unter dem Imageverlust in der Bevölkerung. Das Image der Kirche ist am unteren Ende der Skala angelangt.
Die Missbrauchsopfer wurden meist mit einer lächerlichen Summe von 5.000 - 20.000 Euro abgespeist, mussten sich aber oft auch zum weiteren Stillschweigen verpflichten. Als Gegenbeispiel dient die Erzdiözese Minnesota, die im Durchschnitt eine halbe Million Dollar als Entschädigung zur Verfügung stellte. Immerhin ist ja das Leben der Opfer in der überwiegenden Zahl der Fälle kaputtgemacht worden. Angesichts dessen war die "Opferschutzkommission", deren Mitglieder ehrenamtlich arbeiteten, ein Bombengeschäft und die Öffentlichkeit hat ihm das durchgehen lassen.
Schönborn ist aber ein guter Kommunikator, dessen stark behauchter Sprechstil etwas Betuliches an sich hat. Er wirkt daher für Sympathisanten sanft und freundlich, für kritische Menschen ist er der Archetyp eines Heuchlers. Man sagt ihm nach, er wäre konfliktscheu, offenbar wegen des Falles "Generalvikar Helmut Schüller", den er mittels eines vor die Tür gelegten Briefes aus seinem Amt entließ.
Heuchlerisch kommt auch sein Lebensstil hinüber, denn offiziell ist der Kardinal für die Gläubigen ein dominikanischer Bettelmönch, wohnt in einer winzigen Wohnung, die aber praktischerweise in das prächtige Erzbischöflichen Palais mit dem Büros der Diözese übergeht, wo der Kardinal den Tag verbringt.
Schönborn ist – so sehr sein Stil verbindlich wirkt – ein Dogmatiker von Beruf. Daran gibt es keinen Zweifel. Die Wahrheit ist katholisch. Auch wenn es hier manchmal Probleme gibt, die selbst einen Professor für Dogmatik in Verlegenheit bringen, gibt es immer noch das Allheilmittel des "Geheimnisses Gottes". So wird in dem von Schönborn verfassten Katechismus die Erbsünde genannt. Sie ist danach ein Teil der menschlichen Natur, "nicht durch Nachahmung, sondern durch Fortpflanzung". Und weiter: "Die Weitergabe ist ein Geheimnis, das wir nicht völlig verstehen können."
Das größte Sympathie-Minus aus humanistischer Sicht, ist aber zweifelsfrei die Reaktion Schönborns auf das konservative Ansinnen des Gottesbezugs in der Verfassung bei Machtübernahme der schwarz-blauen Regierung 2000 gewesen (betrieben primär von ÖVP Nationalrats-Präsident Kohl). Gemeinsam mit den üblichen Verdächtigen in Sachen konservativen Kreisen hat der Kardinal heftig für Gott in der Verfassung Lobby gemacht. Nur der evangelische Bischof Bünker sprach von einem "Traditionsbruch" und fiel damit Schönborn in den Rücken.
Allerdings kann der Kardinal auch auf Lernprozesse verweisen, in einem humanistischen Sinn ein Pluspunkt seiner Persönlichkeit sind. Denn als er sich 2005 in New York auf das glatte Parkett der wissenschaftlichen Diskussion begab und das Intelligent Design befürwortete, offenbar um den Kollegen von der evangelikalen Seite zu imponieren, erntete er einen Lachsturm auf Seiten der Wissenschaftler. Später relativierte er daher seine Aussage in einer sehr selbstkritischen Weise, im Bewusstsein des "Si-Tacuisses-Effektes", was eine sympathische Seite des Dominikaners offenbarte.
Ebenfalls beweglich zeigte sich Schönborn in der Homosexuellen-Frage, zuletzt wieder als er den Stephansdom der Aids-Charity Bewegung des Gery Keszler überließ und sogar bei dem Akt eine Rede hielt. Ob das nicht eher der immer stärker werdenden kirchlichen PR-Abteilung oder einer ehrlichen Überzeugung geschuldet ist, das ist schwer zu beurteilen. Das Thema Katholizismus und Homosexualität ist damit durch Schönborn von "klar entschieden" auf den Modus "Ambiguität" umgestellt worden.
In Summe bleibt aber von Schönborn zumindest kein schlechter Geschmack zurück, da er in vielen anderen Fragen, wie dem Zurückweichen der Kirche und der Konzentration auf das Wesentliche, Augenmaß bewiesen hat. Man darf nie vergessen, welches Personal vor Schönborn im Vatikan en vogue war. In diesem Sinne ist der 75-jährige angesehene Theologe ein Gewinn für Österreich gewesen.
2 Kommentare
Kommentare
Klaus Bernd am Permanenter Link
Fehlt da etwa vor dem letzten Kapitel die Ironie-Warnung ?
Wolfgang am Permanenter Link
Traue keinem, der sagt, das er noch nie gelogen hat, mein Sohn. Wilhelm Busch
Ich traue keinem Theologen, der behauptet, es gäbe ein Leben nach dem Tode. Dreisteste
Lüge aller Zeiten und das unter dem Schutz des Staates. Eine Religion ist so was nicht.