WIEN. (hpd) Ich werde heute Abend für den hpd die Demonstration gegen den Burschenschafter-Ball in der Wiener Hofburg beobachten. Die Umstände dieser Proteste machen aus mir keinen bloßen Beobachter. Sie machen aus mir eine Partei.
Heute gehen Tausende Menschen auf die Straße gegen einen Ball, auf dem sich Rechtsradikale tummeln. Sie gehen auch auf die Straße, um mit der Hofburg eines der Symbole dieses Staates gegen diese Umtriebe zu verteidigen.
Sie protestieren gegen die Teilnehmer dieses Balles, vor deren Buden die schwarz-rot-goldene Fahne Deutschlands hängt. Und die sich nicht schämen, sich trotzdem als Vaterlandsverteidiger aufzuspielen.
Nie Freiheit und Demokratie verteidigt
Die sich auch nicht schämen, sich als Verteidiger der Freiheit aufzuspielen. Sie, die jedes Mal bestenfalls mit "wohlwollender Neutralität" auf der Seite standen, als es galt, Freiheit und Demokratie in Österreich mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.
Das war 1848 so, als kaiserliche Truppen die Arbeiter und Handwerker Wiens in der Praterschlacht erschossen. Das war im Februar 1934 so, als die Arbeiterinnen und Arbeiter von Leoben, Bruck an der Mur, von Linz und Wien mit der Waffe in der Hand für die Republik kämpften, gegen ein menschenverachtendes und verbrecherisches Regime von Klerikalfaschisten, das gerade im Begriff war, sich zu etablieren.
Die Burschenschafter sahen zu und rieben sich die Hände. Sie sahen auch zu, als ein Karl Münichreither schwer verletzt an den Galgen gebracht wurde, als der Georg Weissl aufgehängt wurde und als die Faschisten Koloman Wallisch hinrichteten.
Der Kampf für den Nationalsozialismus
Die Waffen gegen die Klerikalfaschisten ergriffen viele Burschenschafter erst im Juli 1934. Nicht für Demokratie und Republik. Sie taten es, um ein noch menschenverachtenderes und verbrecherischeres faschistisches Regime an die Macht zu bringen.
Das nächste Mal ergriffen viele Burschenschafter die Waffen freudigst in den Märztagen 1938, als es galt, Sozialdemokraten, Kommunisten, Juden zu verhaften und nach Dachau zu transportieren.
Und viele Schmisse auf den Gesichtern vieler Kommandanten oder Ärzte, deren Grinsen die Häftlinge in Auschwitz oder Sobibor bis in die Gaskammer begleitete oder sie in Folterstätten verhöhnte, die als medizinische Versuchslabors getarnt waren, diese Schmissen stammten von Mensuren in Wien, Innsbruck oder Graz.
Der Kampf ging 1965 weiter
Noch einmal griffen die Burschenschafter ein. 1965 störten sie eine Demonstration gegen einen antisemitischen und mit dem NS-Regime sympathisierenden Professor in Wien und einer von ihnen den kommunistischen Widerstandskämpfer Ernst Kirchwegererschlug. Einen alten Mann, der wieder ausgerückt war, Freiheit und Demokratie zu verteidigen – und das Ansehen dieser Republik.
Rechtsradikale aus ganz Europa feiern mit
Zu den Burschenschaften werden sich heute Abend Rechtsradikale und Rechtsextremisten aus verschiedenen Ländern Europas gesellen. Unter der rot-weiß-roten Fahne der Republik, die auf der Hofburg weht, werden sie einander zuprosten und nicht wenige werden sich wünschen, dass auf der Hofburg eine andere Fahne wehe.
Dagegen demonstrieren heute Abend Tausende.
Mit den Anliegen der Demonstrierenden zu sympathisieren, wie es der Autor dieser Zeilen unbestritten tut, macht aus einem Journalisten noch lange nicht Partei. Es mag eine Herausforderung sein, trotz der Sympathie professionelle Distanz zu wahren, aber sie sollte bewältigbar sein.
Die angebliche linke Gefahr
Was heute Abend aus einem Journalisten – aus jedem Journalisten und jeder Journalistin - , der über diese Demonstrationen berichtet, Partei macht, sind die Begleitumstände.
Die Wiener Polizei verbietet es den Überlebenden der Vorgänger der Burschenschaften, vor dem Ort des Vergnügens dagegen zu demonstrieren, dass Rechtsradikale in einem Gebäude der Republik rauschende Ballnächte feiern dürfen.
Die Wiener Polizei riegelt den halben ersten Bezirk ab. Eine Vorsichtsmaßnahme gegen die angeblichen Horden von Krawallmachern unter den Demonstrierenden. Dass es nicht die Protestierenden waren, sondern die Sympathisanten der Burschenschafter und ihrer politischen Vertretung, die im Vorjahr einen SPÖ-Politiker niederschlugen und schwer verletzten, verschweigt die Wiener Polizei.
Gleichzeitig verwehrt die Wiener Polizei Journalistinnen und Journalisten de facto den Zutritt in die Sperrzone. Das kommt einer Zensur gleich.
Heute Abend steht jeder unter Verdacht
Die Wiener Polizei hat auch eigenmächtig ein Vermummungsverbot für neun Wiener Gemeindebezirke erlassen. Laut dieser Verordnung kann jede und jeder, der am heutigen kalten Jännerabend auch nur einen Schal trägt, auf Verdacht angehalten und gezwungen werden, eine Geldstrafe zu bezahlen. Ja, auch nur einen Schal dabei zu haben, ist im Zweifelsfall eine Handlung, die eine Geldstrafe nach sich ziehen kann.
Ob diese Strafen verhängt werden, liegt einzig und allein im Ermessen und daher der Willkür der Polizisten. Es kann Passanten treffen, Demonstrierende, Journalistinnen und Journalisten. Egal, oOb man an der Demonstration gegen Rechtsradikale in der Hofburg teilnimmt oder spazieren geht.
Ein Generalverdacht gegen alles und jeden. Ein unerhörter Eingriff in die gleichen demokratischen und persönlichen Rechte, die die feiernden Burschenschafter seit Jahr und Tag verhöhnen.
Diese Verordnung erweckt den Eindruck, es sei der Staatsnotstand in diesem Land ausgebrochen. Das spottet jeglicher Beschreibung.
Verordnung ist illegal
Das Vermummungsverbot ist nach Meinung von Verfassungsjuristen unverhältnismäßig – und daher weder durch Gesetze noch durch die Bundesverfassung gedeckt. Diese Verordnung ist illegal. An ihrer Durchsetzung wird sich weisen, ob dieses Land auf dem Weg zu einem Polizeistaat ist oder nicht.
Diese Verordnung ist ein klares Signal, dass die Wiener Polizei alles daran setzen wird, die Demonstrationen eskalieren zu lassen. Wer Menschen, die für Freiheit und Demokratie demonstrieren, nach Kräften schon auf dem Weg zur Demonstration kriminalisiert, wird nicht zögern, sie auch auf der Demonstration zu kriminalisieren.
Journalistinnen und Journalisten schützen heute Grundrechte
Das macht aus jedem Journalisten und jeder Journalistin, die heute berichten, Partei. Wenn die Wiener Polizei demokratische Grundrechte unter fadenscheinigen Vorwänden über Bord wirft und alle kriminalisiert, die diese Grundrecht wahrnehmen, ist es unsere Aufgabe, diese Grundrechte zu schützen.
Indem wir hinschauen, zuhören, und die Informationen so schnell wie möglich weitergeben. Indem wir jede Amtshandlung, die auch nur einen Millimeter jenseits des Legalen liegen könnte, so genau wie möglich dokumentieren. Indem wir denen ein Gesicht verleihen, die heute Abend kriminalisiert werden, weil sie ihre Grundrechte wahrnehmen.
Wir haben heute eine demokratische Aufgabe. Das macht aus uns Partei.
Christoph Baumgarten