BERLIN. Die Humanistische Union kritisiert das abenteuerliche Rechtsverständnis der Bundesregierung und fordert sofortigen Stopp aller
heimlichen Online-Durchsuchungen.
Wie gestern bekannt wurde, spionieren deutsche Geheimdienste seit zwei Jahren heimlich private Computer aus. Sie stützen sich dabei auf eine Dienstanweisung, mit der der damalige Bundesinnenminister Otto Schily den Einsatz dieser höchst umstrittenen Ermittlungsmethode gestattet habe. Zu der nunmehr bekannt gewordenen Praxis äußert der stellvertretende Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Dr. Fredrik Roggan: "Es ist besorgniserregend, dass sich der frühere Bundesinnenminister Otto Schily offenbar als Ersatzgesetzgeber verstanden hat. Es ist geradezu abwegig, dass Online-Durchsuchungen ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage zulässig sein könnten." Roggan stellt fest, dass ohne eine gesetzliche Regelung solche heimlichen Ausforschungen illegal sind. "Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die heimlichen Online-Durchsuchungen
durch deutsche Geheimdienste sofort zu stoppen."
Obwohl inzwischen alle Rechtspolitiker davon ausgehen, dass für Online-Durchsuchungen eine explizite gesetzliche Grundlage und möglicherweise sogar eine Änderung des Grundgesetzes nötig wäre, folgt die Bundesregierung bisher dem zweifelhaften Rechtsverständnis von Herrn Schily. In einem Schreiben vom März diesen Jahres verwies sie auf die allgemeinen Befugnisse zur verdeckten Datenerhebung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes als "Rechtsgrundlagen" für heimliche Online-Durchsuchungen der Geheimdienste (§ 9 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 BVerfSchG). Diese Missachtung des Parlamentsvorbehalts für Grundrechtseingriffe durch die Bundesregierung kritisiert Roggan scharf: "Online-Durchsuchungen können tief in das Fernmeldegeheimnis und das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung eingreifen. Für solche Grundrechtseingriffe gilt aus gutem Grund ein Gesetzesvorbehalt. In einem solchen Gesetz müsste klar geregelt sein, unter welchen Voraussetzungen eine Online-Durchsuchung statthaft wäre und wie sich Betroffene dagegen wehren können."
Für die von der CDU geplante Einführung einer Rechtsgrundlage verweist Roggan auf die hohen verfassungsrechtlichen Hürden, die einem heimlichen Eindringen in die Privatsphäre entgegenstehen: "Das Beispiel des Großen Lauschangriffs zeigt, welche materiellen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen für solche Eingriffe in den Privatbereich nötig sind."
Rechtsanwalt Dr. Roggan ist Verfasser der ersten Verfassungsbeschwerde gegen das Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen, in dem Ende letzten Jahres eine Befugnis zur Online-Durchsuchung eingefügt wurde. Die Beschwerdeschrift und weitere Informationen zur Diskussion um Online-Durchsuchungen sind hier dokumentiert.
Sven Lüders