Die moderne Gegenreformation

Die verhasste Religionsfreiheit – zumindest formal

Formal waren alle anerkannten Religionsgemeinschaften gleichgestellt. Wenn auch die katholische Kirche in einigen Bestimmungen privilegiert war. So wurden ganze Passagen aus dem Dollfuß-Konkordat zum Bestandteil der Verfassung erklärt. Und in dem komplexen Ständesystem wurde ihnen eine gewichtige Rolle zugewiesen. Im geplanten “Bundeskulturrat” waren Vertreter der anerkannten “Kirchen und Religionsgemeinschaften” wie selbstverständlich vorgesehen.

Dass zumindest formal allen Staatsbürgern die Religionsfreiheit zugestanden wurde und eigene Kirche nicht Staatskirche, muss eine gewisse Enttäuschung für die katholischen Kirchenoberen gewesen sein. Die katholische Kirche anerkannte die Religionsfreiheit erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil – 30 Jahre nach dem Ständestaat. In den 30ern hielt man derlei moderne Gedanken bestenfalls für notwendige Übel.

Ganz so ernst war es nicht gemeint

Die Punktation mag die schlimmste Befürchtungen etwas abgemildert haben, der Ständestaat nehme die Religionsfreiheit allzu wörtlich: Artikel 28. (1) “Die Anhänger eines in Österreich nicht als Religionsgesellschaft gesetzlich anerkannten Religionsbekenntnisses können sich zur rechtlich organisierten Übung und sonstigen Betätigung ihres Bekenntnisses zusammenschließen. Dieser Zusammenschluß ist von der staatlichen Zulassung des Religionsbekenntnisses als Religionsgemeinschaft abhängig. Durch diese Zulassung erlangt die Religionsgemeinschaft die bürgerliche Rechtsfähigkeit und den staatlichen Schutz ihrer Religionsübung, wird aber auch einer staatlichen Aufsicht unterstellt.”

Kein Zusammenschluss ohne Anerkennung und keine Anerkennung ohne Zusammenschluss. Wer es trotzdem schafft, diesen Zirkelschluss zu überwinden, wird unter staatliche Aufsicht gestellt.

Die Reformierten profitierten im Windschatten

Auch nicht für Lob von Kardinal Innitzer mag die Tatsache gesorgt haben, dass kleinere Kirchen im Windschatten des Austrofaschismus von der staatlich verordneten Gegenreformation profitieren konnten. Die Reformierte Kirche (in Österreich mit den Lutheranern in der Evangelischen Kirche A.B. und H.B. uniert) baute im Jahr 1936 mitten im proletarischen Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus die Zwingli-Kirche. Auf einem Grundstück, auf dem zuvor ein Kinderspielplatz der Gemeinde Wien war - für die Kinder aus den umliegenden Gemeindebauten.

Dass die Stadt Wien seit dem Februar 1934 nicht mehr demokratisch regiert war sondern von einem Regierungskommissär, hat es den Reformierten mit Sicherheit wesentlich erleichtert, dieses Baugrundstück zu erwerben. Dass die sozialdemokratische Stadtregierung der Republikszeit einen Kinderspielplatz für einen Kirchenbau geopfert hätte, erscheint zweifelhaft.

Im Zweifel hat der Staat die Hosen an

Zwischen den Zeilen stellt die nie umgesetzte Verfassung klar, wer im Verhältnis von Staat und katholischer Kirche im Zweifelsfall die Hosen anhat: Artikel 27, Absatz 2: “Durch das religiöse Bekenntnis darf den staatsbürgerlichen Pflichten kein Abbruch geschehen.”

Auch die Konkordatsbestimmung, die der Bundesregierung ein teilweises Vetorecht bei Bischofsernennungen gibt, ist ein klares Signal, dass sich die katholische Kirche im Ernstfall der Staatsräson zu beugen hat.

Das offenbart bei aller Frömmelei den faschistischen Charakter des Regimes. Anders als etwa beim Islamismus wird die Religion als wichtige, in diesem Fall als unabdingbare, Säule des Regimes gesehen, ja als Fundament des Staates. Nur hat sie mitzuhelfen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen – und wird so bei aller Freundschaft zum Instrument des Staates und nicht umgekehrt.

Ein Verhältnis, von dem beide profitieren. Und wenn das Regime so deutlich klerikal ausgerichtet ist wie in Österreich, eines, in dem beide Partner auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet sind.

Unter den Nazis “konkordatsfreies Gebiet”

Der Fall der austrofaschistischen Diktatur brachte auch das Ende der katholischen Umtriebe. Bei allen Ergebenheitsadressen von Kardinal Innitzer betrachteten die Nationalsozialisten die österreichische katholische Kirche weit weniger als potentielle Partnerin denn als Komplizin der verhassten Vorgängerdiktatur.

Adolf Hitler ließ die “Ostmark” zum konkordatsfreien Gebiet erklären. Womit die katholische Kirche in Österreich deutlich schlechter gestellt war als im “Alt-Reich”. Die Kreuze, keine fünf Jahre zuvor wieder in den Klassen aufgehängt, verschwanden.

Auch das Kirchenbeitragsgesetz von 1939 war deutlich ungünstiger als das deutsche Kirchensteuergesetz. Von einigen Nazis wurde es als explizit antikatholische Maßnahme gesehen. Was wohl auch eine Übertreibung war. Immerhin hatte auch die ständestaatliche Verfassung den Kirchen die Möglichkeit eingeräumt, Beiträge – nicht Steuern – mit staatlicher Hilfe einzuheben. Was mangels Notwendigkeit niemand nutzte. Man hing am allgemeinen Steuersäckel.

Das stellten die Nazis ein. Als Entschädigung gab es den Kirchenbeitrag.