(hpd) Die Journalistin und Philosophin Hilal Sezgin erörtert in ihrem Buch “Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen” Fragen wie “Dürfen wir Tiere quälen?”, “Dürfen wir Tiere töten?” oder “Dürfen wir Tiere nutzen?”. Ihr Plädoyer für einen anderen Umgang mit Tieren ist ethischen gut begründet, lässt aber die gesellschaftliche und politische Seite außen vor.
Man muss keine übertriebenen Gefühle für Hunde oder Katzen entwickelt haben, um über den Umgang des Menschen mit den Tieren kritische Überlegungen zu formulieren. Auch bedarf es nicht nur des Blickes auf die Folgen von Massentierhaltung für Hühner oder Kühe, um eine grundlegende Empörung über das Verhalten gegenüber diesen Lebewesen zu entwickeln. Einschlägige Reflexionen können schon sehr viel früher einsetzen und müssen nicht auf einer möglicherweise wirklichkeitsfremden Tierromantik beruhen. Dies macht die erfahrene Journalistin und studierte Philosophin Hilal Sezgin in ihrem Buch “Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen” deutlich. Zwar betreut sie auf einem Gnadenhof ältere Hühner und Schafe und druckt auch auf dem Cover ihres Buches anrührende Fotos von Tieren. Ihr geht es aber nicht – oder besser formuliert: nicht nur – um eine Ansprache des Gefühls, sondern um einen Anstoß des Verstandes. Mit leichter Hand präsentiert sie ein tierethisches Plädoyer für einen Paradigmenwechsel.
Denn die interessanten Fragen in diesem Bereich lauteten nicht mehr “wie in den 1980er Jahren: Sollen wir Tiere überhaupt in unsere ethischen Überlegungen einbeziehen?, sondern: Wie und wie weitgehend sollen wir sie berücksichtigen? Nicht: Haben sie Interessen?, sondern: Worin bestehen ihre Interessen, wie sieht ein vollständiges gutes Leben für Tiere aus, und inwieweit dürfen wir dies beeinträchtigen oder gar beenden?” (S. 12).
Ausgangspunkt von Sezgins Betrachtungen ist eine Kantsche Einsicht, wonach der Mensch ein Zweck an sich sei. Dieses moralische Postulat überträgt sie auf die Tiere. Denn jedes Lebewesen, für das etwas gut oder schlecht sein könne, verdiene eine solche Achtung und Behandlung. Was aus dieser Einsicht folgt, erörtert die Autorin danach bezogen auf folgende Fragen: “Dürfen wir Tiere quälen?” “Dürfen wir Tiere töten?” Und: “Dürfen wir Tiere nutzen?” Hierbei konzentriert sie sich auf Themen wie Fleischkonsum, Nutztierhaltung oder Tierversuche, jeweils konkrete Beispiele und philosophische Erörterungen vermischend.
Bilanzierend konstatiert Sezgin gegen Ende des Buchs, die vorgestellte Moral sei im Laufe ihrer Erörterungen “immer umfassender geworden, weil ich Tiere immer stärker als Individuen mit eigenen Rechten angesehen und ernst genommen habe. Die vorrangige Frage ist nicht mehr: Wie viel Qual darf man einem Tier zufügen? Sondern: Was darf man einem unbeteiligten empfindenden Lebewesen überhaupt abverlangen? Und diesen Perspektivwechsel sollten wir auch im praktischen Tierschutz und in der Gesetzgebung vollziehen: Wir dürfen das Tier nicht von vornherein als ‘Nutztier’ ansehen und auf dieser Grundlage überlegen, wie wir ihm sein derzeit unzumutbares Los ein wenig erträglicher machen können. Sondern jedes Tier hat a priori das Recht auf den Vollzug seines eigenen Lebens” (S. 189). Die Konsequenzen dieser Grundposition entwickelt Sezgin dann im Abschlusskapitel zur Frage: “Wie können wir mit Tieren zusammenleben?”, wobei sie für eine neue Form in Richtung eines rigorosen Bruchs mit bisherigen Gewohnheiten plädiert.
Sezgin kommt das Verdienst zu, die Leser mit der Problematik einer ethischen Rechtfertigung ihres alltäglichen Verhaltens nicht nur “bei Tisch” zu konfrontieren. Dabei spricht sie weniger die Gefühle, sondern eher den Verstand an. Das Buch stellt ebenso eine Einführung in die Tierethik wie eine Wortmeldung zur Kontroverse dar. Während die Autorin einerseits mit Hinweisen auf das “Ich-Bewusstsein” und Schmerzempfinden von Tieren zur Reflexion über den Umgang mit Tieren einlädt, geht sie auch kritisch auf Positionen in der bisherigen Debatte wie etwa auf die von Peter Singer ein. Was dabei fehlt ist der Blick auf die gesellschaftliche und politische Ebene, würde doch ihr Plädoyer für ein rigoroses Umdenken sicherlich auf Widerstände der unterschiedlichsten Art stoßen. Hier bleibt Sezgin leider auf der philosophischen Ebene stehen. Insofern plädiert ihr Buch primär an die richtigen Einsichten von Individuen, nicht für die nötigen Veränderungen in der Gesellschaft. Indessen bietet “Artgerecht ist nur die Freiheit” wichtige Anstöße dafür.
Armin Pfahl-Traughber
Hilal Sezgin, Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen, München 2014 (C. H. Beck-Verlag), 301 S., 16,95 Euro
Siehe auch die Rezension zum Buch von Simone Guski.