Rezension

Manifest für die Tiere

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So schön haben es Schweine in Massentierhaltung nicht
Ferkel im Stroh

Die französische Philosophin Corine Pelluchon plädiert in ihrem "Manifest für die Tiere" dafür, dass menschliche Gerechtigkeitsvorstellungen auch auf Tiere ausgeweitet werden können, bestünde bei ihnen doch durchaus eine "bedingte Handlungsfähigkeit". Auch wenn das Manifest dann doch vielleicht kein Manifest ist, enthält es beachtenswerte Reflexionen und auch Veränderungsvorschläge.

"Unser Verhältnis zu den Tieren ist ein Spiegel, der uns zeigt, wozu wir in den letzten Jahrhunderten geworden sind. In diesem Spiegel sehen wir nicht nur die Schrecken …, sondern auch das bleiche Gesicht einer Menschheit, die ihre Seele zu verlieren droht" (S. 11). Gleich zu Beginn ihres "Manifests für die Tiere" schreibt dies die französische Moralphilosophin Corine Pelluchon, die als Professorin an der Universität Paris-Est Marne-la-Vallée lehrt. Demnach hat die menschliche Gewalt gegenüber Tieren auch etwas mit dem menschlichen Selbstverständnis zu tun. Diese Auffassung bildet den Beginn von Reflexionen, die auf eine grundlegende Änderung menschlicher Denkensarten wie Praktiken gegenüber Tieren abzielen. Die Autorin betont dabei, dass Gerechtigkeitsforderungen und Mitgefühl nicht nur auf das menschliche Umfeld beschränkt sein sollten. Sie fordert eine Erweiterung von Perspektiven, nicht nur um des Leidens der Tiere willen, sondern eben auch hinsichtlich der Einstellungen zu den Mitmenschen, bestehe hier doch ein Zusammenhang.

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"Unsere Gesellschaft ist ungerecht", so schreibt Pelluchon, "weil sie auf dem Spezisismus basiert, einem Postulat, wonach wir die Tiere ganz nach unserem Belieben gebrauchen und missbrauchen dürfen" (S. 26). Als Belege dafür werden immer wieder Beispiele genannt, wobei die Autorin bei allgemeinen Beschreibungen bleibt. Berechtigt kann sie voraussetzen, dass das Leiden und die Qual der Tiere allgemein bekannt sind. Indessen führten derartige Kenntnisse nicht zu grundlegenden Veränderungen. Um eine solche Entwicklung voranzutreiben, bedürfe es einer Politisierung der Tierfrage. Dabei sei die Einsicht wichtig, dass es sich zwar um keine Bürger, aber sehr wohl um politische Subjekte handele. Denn individuelle Interessen und Präferenzen wären den Tieren nachweisbar eigen. Sie würden von diesen auch in Handlungen und Kommunikation verdeutlicht. Daraus ergibt sich auch ein Ansatz für die Autorin, um hier für grundlegende Veränderungen einzutreten. Sie knüpft dabei an ihre Auffassung von der "bedingten Handlungsfähigkeit" an.

Vom Menschen könne dieses Modell auf die Tiere übertragen werden. Dabei würden die rechtlichen Begriffe von Menschen formuliert, welche Tiere rechtens von ihnen erwarten dürften. Die Autorin folgt dann dem von Sue Donaldon und Will Kymlicka entwickelten Modell eines "Zoopolis". Um in allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen auch Tiere einzubeziehen, bedürfe es dann auf unterschiedlichen Ebenen eines politischen Kampfes. Anregungen dazu holt sich die Autorin aus der Geschichte, verweist sie doch immer wieder auf die Abschaffung der Sklaverei als Vorbild. Insbesondere Lincolns Strategie wird hier als übertragbares Vorbild angesehen. Gegen Ende werden auch konkrete Vorschläge vorgetragen. Sie reichen von der Beendigung der Gefangenschaft von Tieren über die Verschärfung des Tierschutzes bis zum Verbot von Hetzjagden oder Pelztierzucht. Durch eine wachsende Bewegung könnten derartige Forderungen umgesetzt werden: "Indem wir den Tieren Gerechtigkeit widerfahren lassen, retten wir unsere Seelen …" (S. 111).

Dieser pathetische Appell findet sich am Ende des "Manifests für die Tiere", das mit "'Animalisten' aller Länder, aller Parteien und aller Konfessionen, vereinigt euch!" (S. 111) an ein anderes Manifest erinnert. Ansonsten argumentiert die Autorin aber durchaus nüchtern, wenngleich ihr die Empörung über die Gewalt gegenüber Tieren immer wieder anzumerken ist. Begründet macht Pelluchon dabei deutlich, dass die angerissenen Fragen auch etwas mit dem menschlichen Selbstverständnis – und nicht nur mit den Tieren – zu tun haben. Es mangelt durchaus an Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für solche Zusammenhänge. In der Gesamtschau klafft bei ihr aber eine Lücke, die zwischen den philosophischen Betrachtungen und den postulierten Reform-Maßnahmen besteht. Denn während die Autorin einerseits grundlegende Änderungen in der Gesellschaft einfordert, macht sie sich andererseits Gedanken über eine bessere Ausbildung von Schlachtern. Dies mag sich aber auch durch die Einsicht in nur schrittweise Veränderungsmöglichkeiten erklären.

Corine Pelluchon, Manifest für die Tiere, München 2020, C. H. Beck-Verlag, 125 Seiten, 12 Euro

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