Problemfall Religionskritik

Sicher, das von Czermak als Religion Beschriebene bestätigt bestimmte Seiten der säkularen Weltanschauung, besonders, wenn man mal religiös war und nach Verlustbegründungen sucht. Aber Atheisten wie Gottgläubige leben heute in und mit Religionen anders als unsere “unmodernen” Vorfahren, deren Christentum Czermak berechtigt seiner Religionskritik unterzieht. Der “Problemfall Religion” beginnt dort, wo der Autor aufhört – nämlich ob es reicht, Irrationalitäten und Verbrechen historisch gewachsener Religionen zu erkennen und diese Erkenntnisse zu verbreiten, die man inzwischen auch in einschlägigen Theologien erörtert findet, oder ob es nötig ist zu erkennen, warum noch immer so innig geglaubt wird.

“Wo bleibt das Positive?” fragt Czermak (vgl. S. 391 ff.). Wenn “Humanismus”, wie bei ihm, lediglich eine wissenschaftliche Erkenntnis und Sammlung von guten Prinzipien bleibt, ja was ist dann und wem das Positive?

Dazu zwei abschließende Anmerkungen, eine zur Religion in der Welt von heute und eine zum Humanismus.

Der für die hiesige freidenkerische Religionskritik bis in die 1960er Jahre hinein entscheidende Gedanke – bis auf einige wenige liberale Reformer von geringem politischem Einfluss – war, dass sich die Kritik an Religion dem Eintreten für einen Sozialismus als einer sozialpolitischen Bewegung, die rational und politisch handelt und entsprechende Institutionen schafft, einordnet, die wiederum Religion zur Privatsache werden lässt, zunächst in der sozialdemokratischen Partei und dann in der Gesellschaft. Seit dem totalen Untergang des Sozialismus als System und als Weltanschauung stoßen antikapitalistische Bewegungen nun fast nirgends mehr auf nichtreligiöse Angebote, außer nationalistische. Gegen diese “Befreiungsreligionen” – wie der radikale Islam eine ist und wie der Papst Franziskus sie vielleicht katholisch haben möchte – gibt es derzeit keine von den sie tragenden Gruppen akzeptierbare nichtreligiöse Alternative. Warum soll dort jemand von Religion lassen? Oder wo gibt es hierzulande eine humanistische Kapitalismuskritik von Belang?

Damit zum Humanismus, den Czermak als “weltlichen Humanismus” vorstellt. Das ist für ihn “moderner säkularer Humanismus”. Als Beispiele führt er Michael Schmidt-Salomons “Manifest” und die “Grundsätze” des HVD Bayern an, offensichtlich, weil ihm die dortigen Zugänge nahestehen.

Humanismus allerdings auf Menschenrechte und errungene demokratische Prinzipien zu reduzieren (vgl. S. 405 f.), ihm ansonsten aber “im Kern ein konsequent wissenschaftliches Weltbild (Naturalismus)” zu bescheinigen (S.408), wird ihm nicht gerecht, ist sehr reduziert. Religions- und Kirchenkritik ist zudem kein dauerhafter Kultur- und Organisationsgrund.

Der Gegensatz Humanismus versus Religion ist bei Czermak gebildet an einem engführenden Religionsverständnis, das zu einem einseitigen Humanismus hinleitet, abstrahierend von all dem, was Humanismus transportiert. Ich für meinen Teil glaube an einen Humanismus, der die Idee der umfassenden und praktischen Barmherzigkeit, der Menschenbildung und Menschenwürde – und der die Mythen findet und pflegt, die ihn auszeichnen und zu einer Kultur machen kann, vielleicht.

 

Gerhard Czermak: Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik. 480 S. Hardcover. Tectum-Verlag. Marburg 2014. 24,95 Euro. ISBN 978–3–8288–3285–5

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