Es werden seitens der Kritiker “Ängste” ins Feld geführt. Wovor gibt es Angst? Was ist mit den behaupteten Ängsten?
Es gibt unterschiedliche Arten von Angst. Hier handelt es sich darum, dass Ideologen Eltern diffuse Ängste einreden, ihr Kind könne durch Aufklärung und Erziehung zur Entdeckung der eigenen Individualität gefährdet werden. Das sind irrationale Ängste, die man nicht noch bedienen darf, indem man ihnen nachgibt. Auch hier tut Aufklärung Not und wenn Eltern noch heute solche Ansätze vertreten, füllt der Bildungsplan offensichtlich eine Lücke, die die alten Pläne aufwiesen.
Gut zu sehen ist das Muster dieses “Ängste-Schürens” bei den Reaktionen auf die GEW- Broschüre, die seit Anfang der 90er Jahre zu den Unterrichtsmaterialien gehört. Hier werden Vorurteile einfach in Frage-Antwort-Spielen gespiegelt und Schülerinnen dadurch in die Lage versetzt, eigene Positionen zu beziehen. Wo hat sie bisher denn schädliche Wirkungen entfaltet? Auf die positiven Erfahrungen von Lehrerinnen, die sie einsetzten, wird nicht gehört.
Hier ist es Aufgabe einer Landesregierung, mit erfahrenen Bildungspolitkern den Angriffen standzuhalten und auch Aufklärungsarbeit zu leisten. Nicht nachzugeben und die Begriffe abzuschwächen.
Wagen Sie eine Prognose? Wird Winfried Kretschmann vor den Religiösen einknicken?
Es ist bisweilen schwierig, hinsichtlich Winfried Kretschmann eine Prognose zu stellen, gerade wenn es um Religion und Religionsgemeinschaften geht. Vor einiger Zeit hätte man auch nicht angenommen, dass er sich so deutlich und unkritisch für eine Fortführung des überkommenen “Religionsverfassungsrechts” ausspricht, wie er das 2013 wiederholt getan hat.
Überraschungen sind bei ihm also nicht ausgeschlossen. Ich glaube aber beim Bildungsplan 2015 nicht, dass er sich gegen den Dresdener BDK-Beschluss, gegen die Grünen in Baden-Württemberg und gegen den eigenen Koalitionspartner stellen wird. Und ich bin mir auch sicher, dass er selbst als Lehrer weiß, wie wichtig das Thema in den Schulen ist. Ich nehme ihm das persönliche Engagement durchaus ab.
Ich halte nur die Ziele für gefährdet, falls den Kirchen und Evangelikalen ein Mitspracherecht eingeräumt wird. Über Inhalte und Umsetzung des Bildungsplans sollten allein Bildungsfachleute entscheiden. Das ist übrigens im Vorfeld bereits geschehen.
Jetzt gibt es auf einmal ganz viele Stimmen, die eine Verschiebung oder Änderung des Vorhabens fordern. Was sagen Sie dazu?
Es wäre gesellschaftlich ein fatales Signal, wenn die Kritiker mit ihrer Hetzkampagne und den teilweise völlig geschmacklosen Plakat-Sprüchen auf diese Weise Recht bekämen. Ich stehe da ganz auf Seiten der Grünen Jugend, die fordert, auf keinen Fall einzuknicken. Wenn andere wichtige Impulse ergänzt werden sollen so ist das möglich ohne die Vielfalt in ihrer Gleichwertigkeit zu streichen. Wir müssen diese Auseinandersetzung klar hier und jetzt führen und dürfen uns nicht von Fanatikern zu einer Scheinruhe zwingen lassen.
Das Interview für den hpd führte Karl Albert.
Aktueller Nachtrag:
Die GEW und der Lehrerverband VBE in Baden-Württemberg sprechen sich für eine Verschiebung des Bildungsplanes aus und fordern “weitere Diskussionen”, im jetzigen Entwurf werde das Thema sexuelle Vielfalt “absolut überhöht”. Vom SPD-Fraktionschef Schmiedel wird scharf kritisiert, dass W. Kretschmann bereits “Korrekturen am Bildungsplan” ankündigt und einzelnen Grünen-Politikerinnen eine Verschiebung des Bildungsplanes auf nach 2015 ins Gespräch bringen. Schmiedel spricht von “Öffentlichen Querschlägen” des grünen Koalitionspartners. Hingegen warnt die Grüne Jugend die Landesregierung vor einem “Einknicken”: “Wir erwarten von den Grünen, dass sie nicht gegenüber dem homophoben Schlossplatz-Mob zurückziehen.” Am Mittwoch hat die grüne Abgeordnete und 1. Vizepräsidentin des baden-württembergischen Landtags, Brigitte Lösch, mitgeteilt, das in der Sitzung der grünen Landtagsfraktion Einvernehmen geherrscht habe, den Bildungsplan nicht zu verschieben. An dem Ziel, die Akzeptanz sexueller Vielfalt im neuen Bildungsplan zu verankern, werde festgehalten.
Verwendete Quellen für Kretschmanns Äußerungen:
“Die Welt” vom 18.02.2014,
Website der Gegenpetition meldet, Kretschmann wolle den Bildungsplan überarbeiten,
Welzheimer Zeitung: Kampf gegen GEW-Broschüre