BERLIN. (hpd) Papst Franziskus ist mittlerweile seit mehr als zwei Jahren im Amt. Manche der anfangs lauten Jubelrufe sind verhaltener geworden, verschiedene seiner Äußerungen werden als widersprüchlich angesehen. Den einen gehen seine Reformschritte nicht weit genug, den anderen viel zu weit.
Die Kritiker aus dem atheistischen Lager hingegen haben die (vorhersehbare) Beobachtung gemacht, dass dieser Papst ein Katholik und eben kein Atheist ist, selbstverständlich auch kein Befürworter der Homo-Ehe und anderer Angelegenheiten, die Atheisten, Agnostiker, Säkulare gerne anders geklärt wüssten. Um zu letzterer Erkenntnis zu gelangen, muss und musste man nicht über hellseherische Qualitäten verfügen. Was bislang fehlt, ist eine auf Fakten basierte Analyse der Politik dieses Papstes.
Deutlich zeigt sich ein kapitalismuskritischer (u.a. "Diese Wirtschaft tötet"), sozial und (in einigen Bereichen, siehe etwa die Forderungen zum Justizwesen) menschenrechtlich orientierter Pontifex, dessen Enzyklika zu Ökologiefragen mit Spannung vor allem von den Basischristen erwartet wird. Nicht zu Unrecht schrieb vor einiger Zeit die TAZ, dass ein "linkerer" Papst wohl kaum zu haben sei. Darüber hinaus zeigen sich u.a. Bestrebungen zu einem Umbau der Kirchenbürokratie, der Kurie, Reformen bei der Vatikanbank, Initiativen zur Ermittlung der Meinungen der einfachen Katholiken zur Kirche, zu aktuellen gesellschaftspolitischen und zu theologischen Fragen.
Deutlich ist, dass (nicht nur) hinter den Kulissen ein erbitterter Machtkampf tobt, dass sich die Gegner des vorsichtigen innerkirchlichen Reformkurses in Stellung gebracht haben und dass es eine Auseinandersetzung um den künftigen Kurs der "Sancta Mater Ecclesia" gibt. Bisweilen wird die Botschaft gestreut, dieser Papst sei bereits (kirchenpolitisch) am Ende, er könne (wolle?) sich nicht durchsetzen, er werde von zu mächtigen Gegenkräften ausgebremst. Leider fehlt es bislang völlig an auch nur halbwegs substantiierten Analysen dessen, was sich in der katholischen Kirche, im Vatikan und weltweit derzeit vollzieht. Kirchenkritiker haben zwar den einen oder anderen Aspekt kommentiert, oft aber völlig aus dem Zusammenhang gerissen, meist in nur polemischer Absicht. Wer allerdings wissen möchte, was innerkatholisch derzeit abläuft und welche Perspektiven erkennbar werden, bekommt keine Antworten. Einiges von dem, was zu beobachten ist, erinnert an die Ära Gorbatschow in der damaligen Sowjetunion, an das Gezerre um Reformen, immer wieder ausgebremst vom Apparat und konservativen Gegenspielern des Parteichefs, man denke nur an die Rolle Ligatschows und anderer Bürokraten. Ein Schritt vor, zwei zurück?
Interessante Überlegungen hat in diesen Tagen der Theologe Peter Paul Kaspar aus Linz vorgelegt. Seine zentrale These lautet: "...Franziskus (muss) mit seinen Reformern den legendären 'langen Marsch durch die Institution' antreten. Selbst wird er wohl nur die erste Strecke anführen können – in der Etappe und nicht an der Spitze, wie Strategen ja immer schon wussten." Die Stellungnahme aus Linz enthält eine Analyse, was dieser Papst machen kann und was nicht, in welchem Rahmen er bleiben muss, um nicht zu scheitern, und wie er damit aber doch die Reformkräfte ermutigt und ihnen Spielräume eröffnet.
Soll der Papst mit seinen Kompetenzen "durchregieren" oder tradierte Denkschablonen durch offene Debatte (wie in der Ehe- und Familienangelegenheit, auch mit der Ermittlung der Meinung der einfachen Kirchenmitglieder) aufbrechen? Kaspar schreibt: "Auf die Vergleichsebene 'Diktatur oder Demokratie' gehoben: Der Diktator darf nicht selbst die Demokratie ausrufen – sonst würde er von den konservativen Autoritären gestürzt. Doch er kann die Reformer ermuntern, Reformen vorzuschlagen. Die kann er dann – um im Schema diktatorischer Strukturen zu bleiben – gnädig abnicken."
Mit dem Hinweis auf die Personen Müller (den Chefinquisator, dem aber auch gewisse Sympathien für Elemente der Befreiungstheologie nachgesagt werden, dem vatikanischen Ligatschow) und Marx (Mitglied der päpstlichen Kommission für Strukturreformen und die Reform der Kurie) zeigt Kaspar aber auch auf, innerhalb welchem kirchenpolitischen Spektrum in den nächsten Jahren die wohl entscheidenden Auseinandersetzungen stattfinden: zwischen den Hardcore-Kräften und den gemäßigten Erneuerern. Ohne ein weiteres kräftiges Wirken der Reformkräfte würden letztere allerdings an Einfluss verlieren.
Man muss die Analyse von Kaspar keines in Gänze teilen, dass aber ein verantwortlicher Katholik, zumal ein Papst, das Risiko einer Kirchenspaltung oder gar eines Auseinanderfallens in mehrere (regionale oder ideologische) Teile nicht in Kauf nehmen will, versteht sich von selbst. Ein (schneller) Durchmarsch der Reformkräfte ist auf keinen Fall zu erwarten, zumal die Interessen auf den verschiedenen Kontinenten auch sehr unterschiedlich sind. Zu rechnen ist eher damit, dass es künftig stärker regionale Unterschiede innerhalb der katholischen Kirche geben wird.
Für die Überlegungen von Kaspar spricht einiges, nicht zuletzt die immer wieder von diesem Papst in die Öffentlichkeit vermittelten Zeichen (etwa der Bescheidenheit, des Engagements für Flüchtlinge, für die Armen usw., seine Äußerungen zu "Barmherzigkeit"), die eine Ermutigung für jene Kräfte in der Kirche sind, die eine Umorientierung wünschen.
In diesen Tagen hat das Wort des Kardinalsstaatssekretärs Parolin die Runde gemacht, dass der Erfolg des irischen Referendums zur Homo-Ehe nicht nur eine Niederlage der christlichen Prinzipien, sondern eine "Niederlage für die Menschheit" sei. Selbstverständlich wird man diese unglaubliche Anmaßung zurückzuweisen haben. Nicht untergehen sollte aber bei der Beurteilung, dass es lediglich eine persönliche Bemerkung des vatikanischen Regierungschefs war und dass er auch gesagt hat, dass die Kirche diese Realität berücksichtigen müsse.
Was aber "fehlt", ist die offizielle Verdammung aus dem Vatikan. Der Ausgang des Referendums in dem traditionell "katholischen Irland" muss erhebliche Irritationen in der Kurie ausgelöst haben. Dass es keinen formellen Protest des Vatikans gegen das irische Votum gegeben hat und dass die deutschen Bischöfe "beredt" geschwiegen haben, kann auch als Erfolg des bisherigen Vorgehens von Franziskus gewertet werden, wie dies Paul Kreiner jüngst im Berliner Tagesspiegel erläutert hat. Seine These zum Vorgehen des Papstes ähnelt der von Kaspar: der Papst öffne die Kirche für Diskussionen, gebe aber die Richtung (bewusst) nicht vor, weil er der Weltkirche Geltung verschaffen wolle, nachdem bisher allein der Vatikan das Sagen gehabt habe.
Das Thema bleibt spannend, denn noch niemals hat es den Versuch eines Umbaus der katholischen Kirche und den umfassenden Versuch gegeben, sie ihren Platz in der Moderne finden zu lassen. Der Ausgang dieses historischen Prozesses ist nicht vorhersagbar. Er ist offen.
Den Kirchenkritikern wird somit auf lange Sicht der Gegenstand ihrer Kritik erhalten bleiben. Manches Mal mehr Analyse von ihnen würde helfen, den Blick zu schärfen.
2 Kommentare
Kommentare
Horst Herrmann am Permanenter Link
Schade, dass diese "Analyse" selbst so wenig "faktenbasiert" ist: Auf die Gefahr hin, dass ich den Hund abgebe, der bellt, weil er getroffen ist, frage ich nach, weil der Autor sich gerade dazu nic
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ich wundere mich, dass tendenziell Papst Franziskus hier als Reformpapst hingestellt wird, der nicht so kann wie er gern möchte. Dies scheint mir doch wenig faktenbasiert... An ihren Taten sollt ihr sie messen.
Halten wir es mit Karlheinz Deschner: Die Kirche kann sich nicht reformieren, denn dies würde ihre Selbstaufgabe bedeuten. Wenn man natürlich minimalinvasive kosmetische Eingriffe als Reform bezeichnen will...
Kurzum: Ein apologetischer Text in Richtung Papst Franziskus, der an seinem eigenen "kritischen" Ansatz scheitert.