Interview

Nietzsche gegen das Christentum

Es klingt, als ginge es Ihnen nicht lediglich um Nietzsche. Instrumentalisieren damit nicht auch Sie Nietzsche? Tun also das, was Sie anderen vorwerfen?

Nur dann, wenn Nietzsche nicht schon von Kind an auf Selbstdenken gesetzt und sich nicht zum radikalen Aufklärer entwickelt hätte, der jedoch auch Aufklärung und Aufklärer nicht von Sottisen verschonte, wenn er Inkonsequenzen aufgespürt zu haben glaubte. Würde ich den dominanten Umgang mit Nietzsche und mit Fragen der Nietzscheinterpretation nicht als exemplarisch einschätzen, hätte ich mich auch als Autor längst anderen Themen zugewandt. Interpretations- und wohl auch weltanschauungskritische Akzente gehören in einer möglichst nietzscheangemessenen Nietzscheinterpretation unabdingbar dazu.

 

Was hat es mit dem Titel auf sich? Wem wird hier der Tod angedroht?

Das Zitat entstammt einem Aufsatz des 18-Jährigen, der sich mit Kriemhilds Reaktion auf die Ermordung ihres Gatten Siegfried zu identifizieren scheint. Cum grano salis kann es als Kürzel für die frühe Motivation der Auseinandersetzung des Kindes mit dem Gott seiner Väter verstanden werden, da dieses Kind, den Glaubensvorgaben seiner Familie entsprechend, in einigen Texten den Eindruck erweckt, niemanden anders denn den Allmächtigen als verantwortlich für das vielmonatige Leiden und den Tod seines früh verstorbenen Vaters rekonstruiert zu haben. Die Drohung bezog sich zuerst nur auf den Allverantwortlichen, dann auf den heimischen Glauben, später auf Christentum und weltflüchtige Religionen insgesamt. Zuletzt bildet sie ebenso wie etwa der “Fluch auf das Christentum” aber nur noch eine einzelne Facette im Ensemble nietzschescher Motivationen.

 

Letzte Frage: Erst nach einer Pause von 10 Jahren haben Sie jetzt wieder ein Buch zu Nietzsche vorgelegt. Was bringt es an Neuem und in welchem Verhältnis steht es zu Ihren übrigen Veröffentlichungen zu Nietzsche?

Nachdem ich zu seinem hundertstem Todestag im Sommer 2000 eine Streitschrift “Wider weitere Entnietzschung Nietzsches” und kurz danach mit “Der alte Ortlepp war’s wohl doch” einen Band zu Nietzsches verheimlichtem frühen Anreger Ernst Ortlepp vorgelegt hatte, wollte ich meine Argumente wirken lassen; zumal ich schon 1991 bis 1994 Nietzsches Entwicklung während seiner beiden ersten Jahrzehnte in “Nietzsche absconditus oder Spurenlesen bei Nietzsche” ausführlich diskutiert hatte.

Außerdem legte ich seit 1983, vor allem aber ab 1994 im “Jahrbuch Nietzscheforschung”, zu dessen Erfolg ich meinen Beitrag leisten wollte, eine Reihe kleinerer, besonders ausgefeilter Arbeiten vor. Nicht selten bekam ich jedoch zu hören, ich schriebe zwar spannend, doch meine Bände direkt zu Nietzsche sowie auch der Band zu Ernst Ortlepp seien zu umfangreich und meine Methodenkritik in “Wider weitere Entnietzschung Nietzsches” wäre sehr speziell. Für derartige Lektüre hätten nur wenige selbst der ernsthaft Interessierten Zeit. Es fehle eine meine Thesen insgesamt präsentierende, komprimierte und preiswerte Fassung auf höchstens 250 Seiten, möglichst bei Reclam. Solange diese nicht vorläge, sabotierte an erster Stelle ich selbst den Erfolg meiner Argumentationen…

Diesen Vorwurf teste ich nun. “Dem gilt es den Tod, der das gethan” bietet deshalb acht besonders informationshaltige, möglichst gut lesbare Vorträge, die dank ihrer Anordnung und inhaltlichen Vernetzung ermöglichen, Nietzsches Entwicklung primär als betroffener Christentumskritiker und früher “Feind … Gottes” Schritt für Schritt so nachzuvollziehen, dass sie von seiner frühen Kindheit bis zu den spätesten Schriften nicht nur als verständlich, sondern als konsequent, ja “logisch” erscheint.

Nun hatte ich jedoch in den Jahren nach der Erarbeitung von “Nietzsche und Sokrates”, 1969, meinem ersten Buch über Nietzsche, in welchem dessen Denkentwicklung als Auseinandersetzung mit Sokrates’ skizziert ist, immer deutlicher den Eindruck gewonnen, Äußerungen zum späten Nietzsche seien in hohem Grade willkürlich, hingen quasi in der Luft, wenn man nicht dessen gesamte Entwicklung gründlich aufgearbeitet und auch ansonsten seinen eigenen Horizont ganz erheblich ausgeweitet hätte.

Dennoch habe ich nur zu sehr Wenigem publiziert, weil ich nur dann veröffentliche, wenn ich nichts Vergleichbares kenne. Schließlich wird viel zu viel und auch zu schnell gedruckt, geschweige denn ins Netz gestellt. Da ich 1980 für meine Aufarbeitung der Entwicklung Nietzsches, mit der ich noch immer nicht zu Ende gekommen bin, wenigstens ein Jahrzehnt ansetzte, habe ich unter der Voraussetzung, die Rezeption meines tradierte Konzepte wenigstens erweiternden, wenn nicht sprengenden genetischen Ansatzes würde eher noch mehr Zeit benötigen, mit größeren Veröffentlichungen zum späteren Nietzsche gewartet und lediglich in Hochschulveranstaltungen und Vorträgen einiges zur Diskussion gestellt. Nun jedenfalls liegt ein vielfach angefragtes Komprimat meiner Thesen und Überlegungen zur Entwicklung dieses so treffsicheren Kritikers vor. So kann jetzt jeder sein Urteil über Nietzsche überprüfen; und vielleicht spannende Entdeckungen machen.

 

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Das Buch ist auch bei unserem Partner denkladen erhältlich.