Interview

"Wie bewahrt man eigentlich seine Würde in dem ganzen Wahnsinn?"

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Professor Thomas Metzinger.

Der Klimawandel ist eines der großen Themen der Gegenwart. Während die einen noch versuchen, das Schlimmste zu verhindern, beschäftigen sich andere bereits mit der Frage, wie die Folgen des Klimawandels abgemildert werden können. Der Philosoph Thomas Metzinger findet, dass es dringend an der Zeit wäre, uns dem Klimawandel auch auf geistiger Ebene zu stellen und mentales Katastrophenmanagement zu betreiben. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit ihm über sein neues Buch "Bewusstseinskultur".

hpd: Herr Prof. Metzinger, der Klimawandel dürfte das größte Problem sein, mit dem die Menschheit gegenwärtig konfrontiert ist. Es wird ja momentan intensiv darüber diskutiert, was sich auf technischer Ebene ändern müsste, damit das Schlimmste verhindert werden kann. Auch in Ihrem Buch geht es um den Umgang mit dem Klimawandel – aber nicht um die technischen Aspekte.

Thomas Metzinger: Ich schließe das durchaus nicht aus, dass irgendjemand eine neue und wirklich gute Idee hat und dass irgendeine technische Zwischenlösung kommt. Aber genau dieses Versprechen von neuen Technologien, die die Schäden beseitigen, die durch das aktuelle Wachstum entstehen, das ist eben schon lange integraler Bestandteil dieser kapitalistischen Wachstumsrhetorik. Und ich fände es unethisch, systematisch immer weiter Schaden anzurichten unter diesem weltanschaulichen Vertrauen auf immer neue Technologien. Auch die technische Entwicklung wird irgendwann einmal an rein physikalische Grenzen stoßen – es wäre eine ziemlich unseriöse Wette, ernsthaft etwas anderes anzunehmen. Wir diskontieren seit Jahrzehnten die Lebensqualität und die verbleibenden Handlungsoptionen für zukünftige Generationen – und wir tun dies wissentlich. Aber trotzdem könnte es natürlich passieren, dass hier etwas ganz Neues entwickelt wird. Ich glaube aber nicht, dass das passiert.

Ein konkretes Beispiel, das viele Leute verstehen werden, ist die Kernfusion. Nehmen wir mal den besten denkbaren Fall, wir würden alle technischen Probleme mit der Kernfusion tatsächlich lösen, bis 2040. Das ist extrem optimistisch, so etwas wirklich zu glauben. Aber nehmen wir an, es klappt, dann müsste es ja noch einen Rollout für diese Technologie geben. Das heißt: Es müssten sehr viele Fusionsreaktoren auf der ganzen Welt noch rechtzeitig gebaut und erfolgreich in Betrieb genommen werden. Und das in dem Zeitfenster, das uns noch zur Verfügung steht, wenn wir nicht vollständig die Kontrolle verlieren und einen katastrophischen Verlauf verhindern wollen, der sich bei einer Erderwärmung von mehr als zwei Grad sicher ergeben würde. Und das ist eben nicht zu realisieren. Es geht ja nicht nur darum, irgendwelche technologischen Möglichkeiten zu entdecken, sondern das Problem ist ja: Diese Technologien müssen dann weltweit implementiert werden, in allen Ländern. Und das halte ich nicht mehr für machbar. Deswegen würde ich nicht alleine auf die Technologie-Karte setzen wollen.

Sie setzen vor allem auf die Kopf-Karte, wenn man es so formulieren möchte. Sie plädieren in Ihrem Buch dafür, dass sich angesichts des Klimawandels vor allem in unseren Köpfen etwas ändern müsste. Was konkret?

Einiges. Das Buch ist zwar recht kurz, aber trotzdem steht ziemlich viel drin. Die erste These ist, dass wir uns jetzt zuallererst radikal ehrlich machen müssen. Ich glaube, es gibt im Moment schon viele Leute, die wissenschaftlich gut informiert sind und die bereits deutlich sehen "Das geht sehr wahrscheinlich schief mit der Rettung der Erdatmosphäre. Wenn man die globalen Zahlen anschaut, dann wird die Katastrophe kommen.". Sie haben aber das Gefühl, das darf man nicht sagen – man darf es nicht aussprechen, weil das insbesondere den jungen Leuten den Mut nimmt und sie deprimiert, weil das auch politisch gefährlich ist und zu Fatalismus führt.

Was vermutlich nicht ganz von der Hand zu weisen sein dürfte …

Vielleicht. Aber Zweckoptimismus und Oberflächlichkeit sind in dieser Situation eben noch viel gefährlicher. Was wirklich politisch gefährlich ist, ist ein wahnhafter und verlogener Zweckoptimismus.

Thomas Metzinger ist Philosoph und Kognitionsforscher. Er war Professor für theoretische Philosophie an der Universität Mainz. Er arbeitet seit vielen Jahren an der Schnittstelle zwischen Philosophie des Geistes und kognitiver Neurowissenschaft. Er beschäftigt sich außerdem mit den ethischen, anthropologischen und soziokulturellen Konsequenzen des Fortschritts in den Neurowissenschaften und der Künstlichen Intelligenz. Metzinger ist Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) sowie des Hans-Albert-Instituts (HAI).

Warum?

Weil man ihn psychologisch und politisch nicht durchhalten kann. Weil der Zweckoptimismus, der nicht nur bei Liberalpopulisten und Leugnern, sondern auch in Teilen der Klimabewegung weit verbreitet ist, zu emotionalem Ausbrennen führt, zu Verbitterung und Zynismus. Im Buch habe ich geschrieben: "Das Festhalten am Zweckoptimismus raubt uns darüber hinaus die geistige Energie, die wir gerade jetzt so dringend brauchen, denn es verursacht einen permanenten inneren Konflikt: Ein Teil von uns weiß, dass das, was wir nach außen hin als unser persönliches oder politisches Ziel formulieren und einfordern, in Wirklichkeit etwas ist, wovon wir selbst nicht vollständig überzeugt sind. Ein Teil von uns würde zwar immer noch gern daran glauben; ein anderer Teil hat schon längst damit aufgehört." Die Klimabewegung hat da meiner Meinung nach ein psychologisches Nachhaltigkeitsproblem, ein emotionales Nachhaltigkeitsproblem. Denn der Klima"wandel" – wie Sie es beschönigend nennen – und seine Folgen sind ja Dinge, die wir alle bis ans Ende unseres Lebens aushalten müssen. Schon das Wort "Klimakrise" ist ja eine Beschönigung, weil eine Krise einen Anfang und ein Ende hat. Was wir aber jetzt in Gang gesetzt haben, wird die Menschheit viele Jahrhunderte begleiten, selbst wenn wir schon morgen alle Emissionen stoppen. Deshalb argumentiere ich, dass die allgemeine Einstellung, die wir jetzt dazu haben, letztlich kontraproduktiv ist und dass man sie auch rein psychologisch nicht durchhalten kann. In der allgemeinen Bevölkerung ist es aktuell noch etwas schlimmer, aber auch das wird sich ändern. "Augen zu und Daumen lutschen" – so hat es eine bekannte deutsche Zen-Meisterin einmal beschrieben. Und deshalb sollten oder müssen wir erstmal diesen unglaublich schweren Schritt machen, ehrlich zu sein, ehrlich zu sehen, wie schlimm es wirklich aussieht. Es geht jetzt um Schadenbegrenzung und um intelligentes Katastrophenmanagement.

Außer dem Zweckoptimismus: Was konkret machen wir denn Ihrer Meinung nach falsch?

Ganz wichtig in dieser Debatte ist immer, sich klar zu machen, worauf sich das Wort "wir" eigentlich jeweils bezieht. Heißt "wir" die 8 Milliarden Menschen auf dem Planeten? Heißt "wir", die 83,7 Millionen Deutschen; meinen wir mit "wir" die wissenschaftlich informierten säkularen Humanisten? Heißt "wir" die Leute, die Bücher lesen oder sogar schreiben? Das sind ganz unterschiedliche Wirs. Es gibt Täter, es gibt Opfer, und es gibt Leute die so tun, als ob sie schlafen. Leute, die so tun, als ob sie schlafen, kann man nicht wecken.

Nehmen wir mal an, "wir" wäre die Bundesrepublik Deutschland. Ein Fehler, den wir machen, ist, dass wir meinen, dass dauerhaftes grünes Wachstum tatsächlich möglich wäre. Oder dass eine vernünftige CO2-Bepreisung gegen die deutsche Wirtschaftslobby – oder die USA, Indien und China – tatsächlich durchsetzbar wäre. Ich muss deutlich sagen, dass ich Philosoph bin und kein Wirtschaftswissenschaftler, aber für mich als Laien sind bestimmte Argumente wie zum Beispiel die von Ulrike Herrmann von der taz wirklich überzeugend, dass emissionsfreie Energie aus verschiedenen Gründen auch in Zukunft sehr teuer bleiben wird. Das heißt, wir können nicht – wie viele Leute noch glauben – an dem auf permanentem Wirtschaftswachstum aufgebauten Modell festhalten, weil wir denken, dass es bald nicht-fossile Energie im Überfluss geben wird. Das wird so nicht laufen, da gibt es jede Menge technische Probleme, das Zeitfenster ist einfach zu klein. Und das bedeutet, dass wir in den reichen Ländern aus dem Wachstumsmodell aussteigen müssen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, das zu tun: Entweder so schnell wie möglich, um unsere eigenen Kosten gering zu halten, oder eben, indem wir gezwungen werden auszusteigen, weil wir das Ding tatsächlich gegen die Wand fahren. "Transformation by Design" oder "Transformation by Desaster" – das ist die Formel, die manchmal in der angelsächsischen Debatte auftaucht. Und wenn man sich anschaut, dass heute 67 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung gegen ein Aus des Verbrennungsmotors sind, wenn man sieht, wie sich etwa Herr Wissing und Herr Lindner und Herr Merz in vollständiger Kenntnis der Tatsachen verhalten, wenn man die 18 Prozent AfD-Wähler sieht, dann ist noch nicht einmal klar, ob wir hier im kleinen, reichen Deutschland unter allerbesten Randbedingungen die Energie- und Verkehrswende schaffen. Und das, obwohl wir eines der wenigen Länder sind, die es wirklich schaffen könnten. Es gibt immerhin eine dritte logische Alternative zu "Transformation by Design" oder "Transformation by Desaster": Desaster (without Transformation).

Jetzt sind wir dann aber doch irgendwie wieder bei technischen Dingen gelandet. Kommen wir doch lieber noch einmal zu dem zurück, was in den Köpfen von Menschen angesichts des Klimawandels schiefläuft.

Das, was immer noch große Teile der Allgemeinbevölkerung nicht richtig verstehen, ist die Trägheit physikalischer Systeme, also das Beharrungsvermögen des Weltklima-Systems, wenn das erst einmal ins Rutschen und Rollen geraten ist. Das ist so ähnlich, als würde man in einem Auto bei Tempo 100 auf der Autobahn den Motor ausmachen und es im Leerlauf weiter rollen lassen. Haben Sie es schon mal probiert? Man wundert sich, wie lange das noch rollt. Es ist kontraintuitiv.

Leider sind nicht nur manche physikalischen Systeme träge, sondern auch wir selbst. Da ist zum Beispiel die Trägheit unserer politischen Institutionen. Es werden starke Statements gemacht von der UNO, von der EU, von unabhängigen Politikern, aber es wird trotzdem einfach nicht genug getan, weil die politische Institutionen stark von der Wirtschaftslobby unterwandert sind. Ein anderes Beispiel dafür ist die "Debatte" um die künstliche Intelligenz. Wir erleben also gerade, dass wir nicht mehr schnell reaktionsfähig sind auf politischer Ebene, auch weil die notwendigen Maßnahmen einfach nicht durchzusetzen sind, leider gerade auch in Demokratien.

Hinzu kommt aber auch das menschliche Gehirn mit seinen 83 Milliarden Neuronen, das in weiten Teilen einfach starr ist. Es wird immer gerne viel über kognitive Flexibilität und Neuroplastizität geredet – das ist ein mediengängiges Modethema – aber die funktionale Architektur unserer Gehirne, die wir aus der biologischen Evolution ererbt haben, die ist in recht großen Teilen eben doch starr. In der Welt unserer Vorfahren haben sich bestimmte Eigenschaften bewährt, die uns heute in große Gefahr bringen. Eine ist Gier, eine ist Neid, eine andere ist Angela Merkels "Auf Sicht fahren". In hochgefährlichen und hochkomplexen Umgebungen wie denen unserer Steinzeitvorfahren war es gut, sich nicht an feste, lange Zukunftspläne zu halten, keine großen Visionen zu haben, weil es einfach darum ging, die nächste Stunde zu überleben. Man musste gierig sein, wenn es einmal etwas zu essen gab. Neid hat den Fortpflanzungserfolg erhöht. Und das führt jetzt eben dazu, dass wir die Lebensqualität zukünftiger Menschen auf dem Planeten total diskontieren, dass wir Kosten systematisch externalisieren und auch dazu, dass die Politiker einfach keine Anreizstruktur vorfinden, die es lohnt ernsthaft in die Zukunft zu denken. Was sich lohnt – siehe Lindner, Wissing und Merz – ist gut gemachte Beihilfe zur Selbsttäuschung. Im Grunde ist das ja das Geschäftsmodell der organisierten Religion.

Dass die Menschheit unter einer gewissen kollektiven Trägheit leidet, ist sicher nicht zu bestreiten, aber vollkommen starr können unsere Hirne ja nun auch nicht sein, denn dann hätte es ja nie irgendeine Art von Entwicklung in der Menschheitsgeschichte gegeben.

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Es gibt da zwei Komponenten. Die eine ist die Evolution, die funktionale Architektur unserer Gehirne. Aber die Frage ist natürlich, was ist wirklich fest verdrahtet und was lässt sich vielleicht in der Kindheit in einem bestimmten Zeitfenster der Entwicklung noch ändern? Wir müssten dringend mehr Ressourcen in diese Art von Forschung investieren. Aber da tut sich dann gleich das nächste Problem auf, denn unser Selbstmodell entsteht ja in verkörperten, kulturell eingebetteten Gehirnen. Nehmen wir zum Beispiel die Religion. Wenn man die Zahlen des Pew Research-Instituts zugrunde legt, wird bis 2050 die Zahl der religiösen Menschen auf der Erde steigen, während die Zahl der Konfessionsfreien im Verhältnis abnehmen wird. Das heißt, während sich die Klimakatastrophe voll entfaltet, wird wahrscheinlich ein Großteil der Menschheit fest in einem religiösen System verankert sein. Ich sage auch das Entstehen neuer Religionen voraus. Und natürlich ist die Grundbotschaft fast aller Religionen die der Sterblichkeitsverleugnung. Das heißt, es gibt immer ein Hintertürchen: Dieses Leben wird nicht das einzige und nicht das letzte sein. Und das führt natürlich dazu, dass es den Druck aus dem menschlichen Handeln herausnimmt, es in diesem Leben gut zu machen, sich geistig weiterzuentwickeln. Religion ist ja ein adaptives Wahnsystem – so formuliere ich es in meinem Buch – und das Leben in einem Wahnsystem schließt natürlich toxische Informationen aus dem eigenen Realitätsmodell aus. "Immunisierungsstrategie" ist nicht einfach nur ein ideologiekritischer Begriff, der dann von Hans Albert in die Wissenschaftstheorie eingeführt wurde – es ist auch eine erfolgreiche komputationale, ganz und gar nicht-begriffliche Strategie, die menschliche Gehirne entwickelt haben, um in einer gefährlichen Umwelt zu überleben. Unsere eigenen Gehirne sind sozusagen unseriös. Und genau das verhindert Veränderung. Religiöse Menschen haben grundsätzlich bestimmte Bereiche in ihrem Wirklichkeitsmodell, die durch wissenschaftliche Evidenz und rationale Argumente nicht berührt werden – wie die "firmware" in einem Computer, die man nicht so leicht ändern kann. Das ist der ganze Trick dabei. Und in Amerika sieht man ja derzeit, was das für Auswirkungen in Hinblick auf den Klimawandel haben kann. Dort glauben die streng religiösen, fundamentalistischen, evangelikalen Gruppierungen fest daran, dass der Klimawandel eigentlich nicht existiert. In der Summe sind das etwa 44 Prozent der Amerikaner. Er wird als Lüge dargestellt.

Dass religiöses Denken nicht besonders progressiv ist, darin werden sicherlich die meisten Leserinnen und Leser des hpd zustimmen. Trotzdem weiß ich jetzt noch immer nicht, was wir Ihrer Meinung nach angesichts der auf uns zurollenden Folgen des Klimawandels in unserem Denken ändern sollten. Der Titel Ihres Buchs lautet ja "Bewusstseinskultur". Was ist damit gemeint?

Bewusstseinskultur heißt, dass man eine ethische Einstellung zu den eigenen geistigen Zuständen einnimmt. In der klassischen Ethik fragt man ja "Was ist eigentlich eine gute Handlung?", "Was macht eine Handlung zu einer guten Handlung?" Ich schlage vor, dass wir komplementär die Fragen hinzufügen: "Was ist eigentlich ein guter Bewusstseinszustand?", " Was wären wertvolle Bewusstseinszustände oder welche wollen wir politisch, sozial, kulturell als wertvoll behandeln?" Übrigens: Es geht vielleicht gar nicht so sehr darum, etwas "in unserem Denken zu ändern". Die Evangelikalen haben nicht einfach nur falsche Überzeugungen oder "denken nicht progressiv genug" – das wäre eine viel zu oberflächliche Betrachtungsweise.

Und? Was sind wertvolle Bewusstseinszustände?

Ich habe natürlich ganz persönlich eine Meinung darüber, was ein wertvoller Bewusstseinszustand und eine gute Bewusstseinskultur wären. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass andere Leute da ganz andere Vorstellungen haben als ich. Worum es geht in dem Buch ist, zuerst einmal eine Diskussion darüber zu eröffnen, was ein etwas tieferer, weiterführender gesellschaftlicher Kontext sein könnte, um mit dieser neuen historischen Epoche umzugehen, die jetzt anbricht und in der die Menschheit möglicherweise scheitert. Ich denke, es ist nicht mehr intellektuell redlich, noch Optimist zu sein. Und wenn man sich dieser Diskussion stellt, ergeben sich ganz viele Fragen. Was sind zum Beispiel wertvolle Formen des bewussten Erlebens? Was können wir in einem normativen Sinne darüber sagen? Und wenn es richtig ist, dass wir in den reichen Ländern unseren Lebensstandard werden absenken müssen, wenn es ohne Verzicht einfach nicht gehen wird, dann ist eine wichtige Frage, wie man das so machen könnte, dass es noch attraktiv ist. Lässt sich vielleicht eine Form des Zusammenlebens finden, die attraktiver ist als dieser von Gier getriebene Konsumkapitalismus, den wir jetzt haben? Denn die Bevölkerung macht es ja sonst nicht mit.

Natürlich wäre es ein Missverständnis, dass wir jetzt alle meditieren sollen, um den Klimawandel noch aufzuhalten. Das sage ich nicht. Ich sage: Wenn man ganz realistisch schaut, sind unsere Optionen auf Schadensbegrenzung und intelligentes Katastrophenmanagement begrenzt. Und das, was ich mit Bewusstseinskultur auch meine, das ist genau die Frage nach einem wirklich nachhaltigen, intelligenten Katastrophenmanagement.

Geht es primär darum, durch die Entwicklung einer neuen Bewusstseinskultur effektiver Dinge tun oder lassen zu können, die dem Klimawandel dann zuträglich sind oder ihn abschwächen? Oder geht es dabei primär darum, dass wir den Klimawandel mental erträglicher erleben?

"Ertragen" ist, glaube ich, ein gefährliches Wort, ein falsches Wort. Bewusstseinskultur ist für mich nicht Palliativmedizin oder so etwas. Es gibt da ganz verschiedene Ebenen. Eine Ebene ist eher abstrakt. Ich behaupte, die Menschheit verliert im Moment gerade ihre Würde und sie wird diese Tatsache auch irgendwann erkennen. Auch das Bild des Menschen wird sich dann ändern. Was gerade geschieht, beschädigt unser Selbstwertgefühl als Mitglied einer solchen Gesellschaft, einer genau solchen Spezies, weil wir unsere eigene Handlungsunfähigkeit und das wahrscheinliche Scheitern erkennen müssen. Auf einer abstrakten Ebene meint Bewusstseinskultur: Wie bewahrt man eigentlich seine Selbstachtung innerhalb dieses ganzen Wahnsinns? Wie kann man sich selbst noch im Spiegel angucken? Wie kann man für sich eine Rolle finden in dieser historischen Epoche, die es doch noch erlaubt, zu sagen "Ich wäre ein Teil der Lösung gewesen, wenn es denn eine gegeben hätte – an mir hat es nicht gelegen"?

Unterhalb dieser Würde-Ebene gibt es dann auch eine psychohygienische Resilienz-Ebene. Die Psychiater merken bereits, dass sich da ein größeres Problem anbahnt, denn es gibt heute bereits Leute, die kommen in Behandlung, weil sie diese ganzen schlechten Nachrichten einfach nicht mehr aushalten können. Also ist die Frage, wie wir eine Form von Resilienz entwickeln können, die wir brauchen, um nicht innerlich zugrunde zu gehen als in einer solchen Epoche lebende Menschen. Ein bisschen pseudokritisch zu posieren wird nicht mehr helfen. Bewusstseinskultur könnte dann zum Beispiel etwas zu tun haben mit dem, was die alten stoischen Philosophen gesagt haben, dass man überlegen sollte, was man überhaupt beeinflussen kann und was nicht, um dann das zu ändern, was man ändern kann, und das ruhen zu lassen, was man eben nicht ändern kann. Vielleicht ist auch die buddhistische Philosophie eine Ressource, die der säkulare Humanismus noch nicht erkannt hat. Ihre Hintergrundannahmen über die Struktur des menschlichen Geistes sind mittlerweile wissenschaftlich wesentlich plausibler als die des Rationalismus und der Aufklärung.

Nun machen Sie in Ihrem Buch ja auch Vorschläge, wie der Weg zu einer neuen Bewusstseinskultur aussehen könnte. Zum Beispiel, indem man die Rationalität der westlichen Philosophie mit östlichen Techniken des Nicht-Denkens verbindet, die spiritueller sind.

Vorweg: Ich verkünde hier nichts, ich predige auch keine neue Moral und es gibt zunächst auch keine politische Agenda. Ich sage: Uns fehlt da etwas und wir sollten einmal ehrlich darüber reden, was genau es ist, das uns fehlt. In diesem neuen historischen Kontext müssen wir das einfach tun. Ich glaube, wir sind in einer dermaßen kritischen Situation, dass wir uns jetzt in einer Art Blütenlese das Beste aus allen Menschheitstraditionen nehmen müssen ohne in philosophische Fachdebatten abzugleiten oder einfach nur "unser Denken zu ändern". Und die asiatische und die indische Kultur haben einfach über viele Jahrhunderte ein enormes Praxiswissen im Umgang mit dem eigenen Geist entwickelt, von dem ich behaupte, das könnte jetzt gerade hilfreich sein. Natürlich sind die philosophischen Modelle dahinter, die metaphysischen Vorstellungen, für uns nicht haltbar. Und natürlich könnte meine Annahme auch falsch sein. Man müsste es halt mal ausprobieren, ob man es schafft, durch eine etwas ernsthaftere Meditationspraxis, ohne metaphysisches Disneyland und jenseits des üblichen Eso-Geschwurbels, tatsächlich sein Verhalten zu ändern und ob man es schafft, auf diese Weise mit weniger auszukommen.  

Nun stellt sich für mich aber die Frage, warum ich mir das alles antun soll mit der anstrengenden Entwicklung einer neuen Bewusstseinskultur und dem Verzicht. Wenn ich davon ausgehe, dass der Drops mit dem Klimawandel eh schon gelutscht ist, kann ich doch auch einfach auf die Pauke hauen, solange es noch geht.

Klar. Man könnte auch einfach sagen: Alles Quatsch, wir brauchen eine hedonistische Bewusstseinskultur! Wenn wir guten Rotwein trinken und schön immer weiter tote Tiere essen, dann können wir das alles am besten ertragen. Großes Leid wird kommen, also rächen wir uns und bringen einfach vorsätzlich noch mehr Leid in die Welt. Einen gut organisierten Tanz auf dem Vulkan machen bestimmt auch große Teile der Bevölkerung mit. Aber ein Kriterium für eine gute Bewusstseinskultur ist meines Erachtens: Sie muss vor dem Panikpunkt und nach dem Panikpunkt funktionieren, der ja irgendwann kommen wird. Und ob so eine asozial-hedonistische Einstellung nach dem Panikpunkt noch funktioniert, da habe ich meine Zweifel.

Wie sieht es denn mit Ihrer eigenen Bewusstseinskultur und Ihrer persönlichen Resilienz in Sachen Klimawandel aus? Wie geht es Ihnen, wenn Sie Menschen begegnen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen? Oder wenn der Nachbar eine neue Ölheizung einbaut und im Urlaub um die Welt fliegt? Oder wenn Sie sehen, dass der Einsatz neuer Technologien verzögert wird, bloß weil Akteure in Politik und Wirtschaft sich ihre Pfründe sichern wollen?

Es funktioniert leider nur begrenzt. Was ich versuche, was aber gleichzeitig auch unglaublich schwierig ist, das ist, irgendwie doch noch eine annehmende und auch mitfühlende Haltung zu Leuten zu haben, die man als rationale Personen eigentlich aufgegeben hat. Bei allem auch immer zu sehen, dass genau dieselben Leute, die ganz viele schreckliche Sachen tun und sagen, auch gleichzeitig bezaubernde und entzückende menschliche Seiten haben können. So sind wir eben. Aber wie gesagt: Es gelingt mir nur schwer. Weil alles, was ich so erlebe – auch die positiven Reaktionen auf das Buch, durch das sich anscheinend viele junge Leute von der Philosophie gesehen fühlen – eigentlich zeigt, wie absolut hoffnungslos das ist. Und da nicht aggressiv zu werden und nicht in Menschenverachtung abzugleiten, ich glaube, dabei hilft mir zum Beispiel meine eigene Meditationspraxis.

Glauben Sie denn, dass das, was Sie da in Ihrem Buch skizzieren, überhaupt großflächig funktionieren könnte?

Ich denke nicht. Ich persönlich traue uns das eigentlich nicht zu. Es ist aber nicht verboten, einfach das Richtige zu tun, auch wenn es wenig Aussicht auf Erfolg gibt. Im selben Sinne, darf man auch einfach mal versuchen, das aufzuschreiben, was man selbst für das Richtige hält. Ich denke, es besteht trotz allem ein Wert darin, überhaupt erstmal diese Diskussion zu ermöglichen, eine erste Plattform zu schaffen. Vielleicht haben andere Leute dann viel bessere Ideen.

Die Frage, die mir während des Lesens eigentlich die ganze Zeit im Kopf herum ging, war: Für wen schreibt der Metzinger dieses Buch eigentlich? Die allermeisten Menschen haben meiner Erfahrung nach eigentlich überhaupt kein Interesse daran, ihr Inneres zu erforschen und mentale Prozesse zu kultivieren. Und von den wenigen, die daran Interesse haben, sind die einen extreme Rationalisten, die bei Begriffen wie "Spiritualität" und "Meditation" die Augen verdrehen, und die anderen sind spirituell Interessierte, die aber Rationales extrem unattraktiv finden und denen Ihre Aussagen über Religion und die ganze düstere Sicht auf die Dinge nicht gefallen dürften.

Ich weiß. Es ist ein gezielter Versuch, sich vollkommen zwischen alle Stühle zu setzen. Nur so kann man etwas wirklich Neues entdecken. Einige werden sagen "Jetzt wird der alt, jetzt kommt der uns mit Meditation!". So werden bestimmte viele "kritische Humanisten" und artige Altlinke aus meiner Generation reagieren. Die eher oberflächlichen der jungen Klimaaktivisten werden schockiert sein wegen der düsteren Vision, weil manche von ihnen vielleicht eine Selbstwirksamkeits-Illusion kultivieren, die das Selbstwertgefühl stabilisiert: "Wir können es noch reißen, wir müssen das jetzt drehen, wir haben die historische Verantwortung!" Manche der Meditierenden werden dagegen sagen: "Oh, das macht mir jetzt aber kein schönes Gefühl! Da steht ja jetzt was über reines Bewusstsein und dann soll es vielleicht trotzdem keinen Gott geben und kein Leben nach dem Tod? Puh, das fühlt sich irgendwie nicht richtig an… Zu verkopft!" Ist es nicht hervorragend, ein Buch zu schreiben, das fast jeder irgendwie ärgerlich findet?

Naja, wirklich jeder?

Was für mich wirklich überraschend war, ist, dass in den Monaten, seitdem das Buch erschienen ist, bis auf eine einzige Person niemand, aber wirklich niemand, gesagt hat: "Das ist doch alles Quatsch mit dem Pessimismus, wir können das schaffen!" Es gibt dagegen viele Reaktionen von Leuten, die sagen: "Ich habe mir das schon die ganze Zeit genau so gedacht, ich sage es aber nicht öffentlich." Es gibt anscheinend bereits eine schweigende Mehrheit von Leuten, die das Gefühl haben, man darf den Leuten nicht die Party verderben und die Wahrheit aussprechen. Und das wollte ich einfach mal outen, weil ich dachte, es hat vielleicht einen eigenen Wert, wenn sich einer mal hinstellt und das offen ausspricht. Übrigens habe ich so auch erfahren, dass es Leute gibt, die schon einen Schritt weiter sind. Denen ist es völlig klar, dass der Kollaps kommt, also auch ein zivilisatorischer Kollaps. Denen ist das, was ich schreibe, noch nicht finster, noch nicht realistisch genug. Ein führender Kollapsologe hat mir neulich gesagt, den Panikpunkt, von dem Sie, Herr Metzinger schreiben, den wird es nie geben. Die Stumpfheit und die Beharrungskraft der Allgemeinbevölkerung ist so groß, dass es so lange keine Panik geben wird, bis die Katastrophe sich völlig entfaltet. Und erst dann wird man das alles in der historischen Retrospektive erkennen und richtig verstehen, etwa so wie es zum Beispiel mit der Entstehung des Dritten Reiches war.

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