Grundrechte für Menschenaffen

Kant gegen Bentham

Kant machte die Menschen zu Minaturgöttern

Obwohl Kant die Grenzen der Vernunft auslotete, untermauerte er mit seiner Transzendentalphilosophie die absolute Sonderstellung des Menschen. Er ging in seiner Begründung der Moral vom denkenden, autonomen Subjekt aus und wurde zum Lieblingsphilosophen der christlichen Theologen, weil er mit seiner Erkenntnistheorie und viel mehr noch mit seiner Ethik die Menschen zu Miniaturgöttern machte. So sind die Denkstrukturen und das Gewissen vor jeder Erfahrung (a prioiri) in uns vorhanden, also nicht von dieser Welt. Sie sind unbedingt, das heisst, sie haben keine empirische Ursache und folglich sind sie ewig. Wirklich moralisch handelt nur, wer völlig interesselos und uneigennützig das Gute tut.

Immanuel Kant
Immanuel Kant

All dies sind die Eigenschaften des christlichen Gottes, dem hier über das Hintertürchen der Philosophie eine vorübergehende Bleibe eingerichtet wurde. Schon der Zeitgenosse Kants und deutsche Klassiker Friedrich Schiller hat sich darüber lustig gemacht, als er schrieb: “Gerne dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung, und so wurmt es mich oft, dass ich nicht tugendhaft bin.” Empfindungen und Gefühle sind laut Kant subjektiv und taugen deshalb nicht zur Begründung der Moral. Die Folge ist ein Anthropozentrismus, der im Windschatten der katholischen Kirche segelt und deren ideologischer Behauptung von der “Heiligkeit des menschlichen Lebens” und der alttestamentlichen Forderung der Genesis: “Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.”

Wissenschaftlich haben Kant und die christlichen Theologen gegen Darwin längst den Kürzeren gezogen. Die aktuellen Bugwellen des Darwinismus heissen Evolutionäre Ethik und Soziobiologie. Die Moral ist keineswegs apriori beziehungsweise göttlichen Ursprungs, sondern ein Produkt der Evolution. In der Menschheitsentwicklung war es ein Überlebensvorteil für die Gruppe, wenn sich ihre Mitglieder nicht rein egoistisch, sondern kooperativ und altruistisch verhielten.

Singers Personenbegriff trifft auf Widerstand

Wegweisend für die aktuelle Tierrechtsdebatte in Deutschland ist der australische Philosoph Peter Singer, ein Vertreter der utilitaristischen Ethik. In seinen Büchern “Die Befreiung der Tiere” (1975) und “Praktische Ethik” (1979) postulierte er jenen Personenbegriff, welcher der aktuellen Debatte in Deutschland den Stempel aufdrückt: Eine Person ist nicht dadurch definiert, dass sie der Gattung Mensch angehört (Speziesismus), sondern durch ihre besonderen Fähigkeiten Rationalität, Selbstbewusstsein, Autonomie und Moralfähigkeit. Gemäss dieser Definition sind nicht alle Angehörigen der Gattung Mensch schützenswerte Personen, beispielsweise die Föten, dahinvegetierende Menschen und Neugeborene. Andererseits werden laut Singer die grossen Menschenaffen zu Personen, weil sie die definierten Fähigkeiten aufweisen. Singers Thesen wurden Ende der 80er Jahren in Deutschland heftig bekämpft. Allen voran von der katholischen Kirche, von den Vertretern der kantischen Vernunftethik und von Behindertenverbänden.

Singer wollte mit seinem modifizierten Personenbegriff zwei ethische Probleme lösen: Einerseits die grausame Behandlung von Nutz-, Zoo- und Versuchstieren, andererseits das Verbot der aktiven Sterbehilfe. Anfangs der 90er Jahre startete Singer zum Schutz der Menschenaffen das “Great Ape Project” (GAP). Sowohl der Personenbegriff als auch das GAP konnten sich in der europäischen Ethikdebatte nicht durchsetzen. Kritik an Singers Personenbegriff kam auch aus den Reihen der utilitaristischen Ethik. Selbst Singers Lehrmeister, der Philosoph Richard M. Hare, warnte vor der “Untugend, substantielle Probleme mit verbalen Kunstgriffen lösen zu wollen”.

“Die schärfsten Kritiker der Elche…”

Aus diesem Grunde mutet es etwas seltsam an, wenn die GBS zwei Jahrzehnte später mit demselben Personenbegriff die Tierrechtsdebatte wieder aufnimmt und tendenziell die Menschenaffen unnötig vermenschlicht, indem diese näher an den Menschen herangeführt werden als dies für deren Schutz nötig wäre. Dass der Mensch keine absolute Sonderstellung hat, ist aufgrund der Erkenntnisse der Evolutionstheorie längstens nachgewiesen. Zudem hat die wissenschaftliche Forschung tatsächlich gezeigt, dass vor allem die Menschenaffen viel mehr können, als früher angenommen. Dennoch bleibt die Differenz zwischen Menschen und Menschenaffen bedeutend grösser als dies mit der minimen genetischen Differenz gerne suggeriert wird.

Der Mensch hat unter den Lebewesen immer noch eine relative Sonderstellung. Bei Menschenaffen wie auch bei anderen Tieren gibt es Vorformen von moralischem Verhalten, aber es ist übertrieben zu behaupten, sie besässen die Fähigkeit zur Moral. Damit werden in der Tierrechtsdebatte im vermeintlichen Interesse der Tiere ethische Begriffe dermassen überstrapaziert, dass sie schlussendlich alles bedeuten und folglich gar nichts. Die VertreterInnen der Tierrechte laufen Gefahr, dass sie jene Kreise spiegeln, deren Ansichten sie bekämpfen. Gegenüber dem Magazin “Cicero” erklärte der Anthropologe und GBS-Beirat Volker Sommer freimütig: “Die schärfsten Kritiker der Elche, waren früher selber welche”. Sommer hat laut eigenen Aussagen eine “Theologen-Vergangenheit”.

Mensch mit einer moralischen Sonderstellung

Singer verwickelt sich in der “Praktischen Ethik” immer wieder in Widersprüche und fällt auch in den von ihm bekämpften Speziesismus zurück. So argumentiert er, “dass Tiere nicht fähig” seien, über die Moral ihrer Ernährung zu reflektieren. Daher sei es “unmöglich, die Tiere für das verantwortlich zu machen, was sie tun.” Damit liefert er das Argument für die Sonderstellung des Menschen; nicht in der absoluten, sondern in der relativen, schwächeren Form. Auch der Philosoph und Vertreter des utilitaristischen Ansatzes, Dieter Birnbacher, hielt anlässlich der GBS-Pressekonferenz fest, dass der Mensch seine “moralische Sonderstellung” auch dann behalte, wenn wir bereit seien, “Grundrechte für Menschenaffen in gewissen Grenzen anzuerkennen”. Denn der Mensch behalte “viele Eigenschaften und Merkmale, die ihn von den Tieren unterscheiden”, wie zum Beispiel “Selbstbewusstsein” und “Reflexionsfähigkeit”. Zudem sei der Mensch “wahrscheinlich – das ist nicht ganz klar – leidensfähiger als die meisten Tiere”.

Geltende Tierschutzgesetze erlauben Tierquälerei

Die Tierrechtsdebatte wurde in den Medien in Deutschland prominent aufgegriffen, insbesondere von der ZEIT und vom SPIEGEL. In den Schweizer Medien hingegen blieb es stumm. Stattdessen wurde breit über den Zürcher Zoo berichtet, wo nun die Elefanten einen millionenteuren Swimmingpool haben. Das schlechte Gewissen über die Einsperrung der Zootiere lässt sich die Schweiz viel Geld kosten und spart sich damit vorübergehend eine grundsätzliche Diskussion, die bitter notwendig wäre. Denn: Wer Menschenaffen vor Gitterstäben dahinsiechen sieht und sich nicht darüber empört, dessen moralische Sonderstellung unter den Lebewesen ist tatsächlich gefährdet. Dasselbe gilt für die Massentierhaltung und die Versuchstiere.

Die geltende Tierschutz-Gesetzgebung genügt offenbar nicht, denn sie erlaubt Tierquälerei. Deshalb ist die Einführung von Tierrechten, die von Tieranwälten eingefordert werden können, dringend geboten. Dafür müssen aber die Tiere nicht erst als “natürliche Personen” definiert und vermenschlicht werden.

 

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von infosperber.ch.